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Politik: Schröder und Europa: Das Eigentliche lässt sich nicht befehlen

Manchmal zieht jemand aus falschen Annahmen richtige Schlussfolgerungen. Dem Bundeskanzler ist das jetzt widerfahren.

Manchmal zieht jemand aus falschen Annahmen richtige Schlussfolgerungen. Dem Bundeskanzler ist das jetzt widerfahren. Er sieht sich vom Auswärtigen Amt über die Planungen der EU nicht ordentlich informiert und glaubt, dass es deshalb dauernd für Deutschland zu nachteiligen Entwicklungen kommt. Die EU-Kommission selbst hält der Regierungschef für schlecht unterrichtet und an deutschen Belangen wenig interessiert. Deshalb wünscht Schröder bald die Etablierung eines Europaministers, der ihm direkt zuarbeitet. Bald, das wäre nach dem 22. September, falls der Kanzler dann noch Schröder heißt.

Ein Europaminister - England und Frankreich, dazu einige deutsche Bundesländer, haben positive Erfahrungen damit gemacht. Nur bewirkt er noch keine Wunder. Und an der falschen Analyse, die zu Schröders Meinungsbild führte, könnte auch ein Europaminister nichts ändern: Die EU-Kommission speziell und Brüssel und das Europäische Parlament allgemein sind weder deutschfeindlich noch an Deutschland desinteressiert. Die deutsche Politik hingegen begreift die EU zu wenig als Chance. Die Bundesregierung versteht nur partiell, wie die EU tickt, sie will es auch, etwas arrogant, gar nicht wissen. Deshalb wird sie viel zu spät auf Entwicklungen aufmerksam. Dann aber verhält sich die Regierung Schröder gelegentlich undiplomatisch oder, indem sie die Folgen direkter Einreden nicht bedenkt, sogar tölpelhaft.

Ein schönes Beispiel dafür ist die Geschichte des blauen Briefs aus Brüssel, dessen Absendung Schröder nur mit Gewalt verhindern konnte. Als der vakant werdende Posten des EU-Generaldirektors II für Wirtschaft und Währung in einem internen Verfahren neu vergeben werden sollte, hatte sich der Kanzler bei Kommissionspräsident Prodi massiv eingeschaltet und eine offene Ausschreibung verlangt. Schröder wollte einen - zweifellos hoch qualifizierten - deutschen Kandidaten platzieren, Klaus Regling. Das gelang. Nur erwies sich Regling auch in Brüssel als unabhängiger Kopf, der zudem beweisen wollte, dass er nicht His Masters voice ist. Er war es, der den blauen Brief wegen der deutschen Verstöße gegen die Maastricht-Kriterien auf den Weg bringen wollte. Dass es in Brüssel längst ein auf Europa orientiertes Identitäts- und Loyalitätsgefühl gibt, hat sich bis nach Berlin noch nicht herumgesprochen.

Auch von einer vom Auswärtigen Amt verschuldeten Informationslücke kann keine Rede sein. Der deutsche Botschafter bei der EU, Wilhelm Schönfelder, gilt als hochqualifiziert und in Brüssel bestens vernetzt. Zusammen mit dem EU-Generaldirektor für Personal und Verwaltung, Horst Reichenbach, gelingt es ihm auch unter tätiger Mithilfe des Kanzleramtschefs immer öfter, deutsche Kandidaten für Spitzenpositionen der EU zu nominieren. Diese "Steinmeier-Runde" ist ein schönes Beispiel dafür, dass erfolgreich ist, wer nach den Regeln der EU mit- und nicht gegen sie spielt.

Die Vorstellung, die Kommission, oder gar deren Präsident Prodi persönlich, würde sich nach Anordnungen des deutschen Kanzlers richten, ist weltfremd. Schröder ordnet an, Europa pariert? Das funktioniert nicht. Europäische Politik ist weit mehr Intuition als Institution. Bri-tanniens Eiserne Lady Maggie Thatcher hat sich vor 20 Jahren mit ihrer Politik des I want my money back dramatisch isoliert. Aber England war in einer Randlage - Deutschland ist Europas Mitte. Jeder in Brüssel und in der EU versteht, wenn Deutschland seine Interessen in Europa formuliert. Aber eben in Europa, nicht dagegen.

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