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Schule

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Schule: In Grenzen mobil

Ein Schulwechsel der Kinder ist für viele Eltern eine Horrorvorstellung. Von einem Umzug in ein anderes Bundesland ist jedoch nur ein Bruchteil der Kinder und Jugendlichen betroffen.

Man kennt die Klagen: Ein Schulwechsel der Kinder sei bei einem Umzug von einem Bundesland ins andere ein unkalkulierbares Abenteuer, die Schullandschaft sei ein Flickenteppich, wer von NRW nach Bayern wolle (die Länder sind austauschbar), müsse um das Fortkommen seiner Kleinen fürchten. Andere Bücher, andere Lehrpläne, andere Schulsysteme – ein Horror. Bundesministerin Annette Schavan (CDU) sieht sogar eine Angst im Volk umgehen, die Angst vor dem Umzug mit Kindern. Der Föderalismus, der nach Ansicht vieler Kritiker nur ein Durcheinander bringt, habe ein Akzeptanzproblem, sagt Schavan.

Aber wie viele Familien mit Kindern erleben den an die Wand gemalten Horror eigentlich? Von Zahlen ist meist nicht die Rede, wenn Kritik geübt wird. Und das könnte Gründe haben: Denn kaum eine Familie mit Kindern erlebt jemals die große Umzugsreise, der Schulwechsel über Landesgrenzen hinweg ist alles andere als die Regel. Das zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes, die für den Tagesspiegel aufbereitet worden sind. Im Jahr 2006 sind demnach 77.728 Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 18 Jahren zwischen zwei Bundesländern umgezogen, Ausländerkinder eingerechnet. Das sind knapp 0,8 Prozent der etwa zehn Millionen in dieser Altersgruppe, zu der auch viele Azubis zählen. Die Binnenwanderung in Deutschland ist seit Jahren relativ stabil, mit einer leicht rückläufigen Tendenz, die geringe Quote fällt also nicht aus dem Rahmen. Auf die gesamte Schulzeit hochgerechnet müssen somit wohl nur fünf bis sechs Prozent der Schüler in Deutschland damit rechnen, in ein anderes Land umgeschult zu werden – geht man davon aus, dass es manche in ihrem Schülerleben zwei oder drei Mal trifft. Umgekehrt aber heißt das: Deutlich mehr als 90 Prozent gehen von der ersten bis zur letzten Klasse im gleichen Land in die Schule. In der großen Mehrheit sogar im gleichen Land- oder Stadtkreis. Derzeit gibt es in Deutschland 36.500 staatliche Schulen – statistisch gesehen kommen also auf jede Schule zwei bis drei Umzugskinder aus einem anderen Land pro Jahr.

Schaut man sich die Zahlen etwas genauer an, fällt eines auf: der Großteil der Umzüge mit Kindern findet zwischen Nachbarländern statt. Ein Viertel der Zuzüge von Schulkindern in Baden-Württemberg stammt aus Bayern, umgekehrt gilt die gleiche Quote. Jedes zweite Kind, das 2006 nach Rheinland-Pfalz gezogen ist, stammte aus NRW oder Hessen. Das legt den Schluss nahe, dass zumindest zu einem Gutteil der Wechsel in ein anderes Bundesland in Wirklichkeit nur ein Umzug im Umland ist. Damit haben viele Eltern also auch bei einem Landeswechsel relativ ortsnah die Gelegenheit, sich auf die neue Schulsituation einzurichten. Besonders ausgeprägt ist dies im Umfeld der Stadtstaaten: Allein ein Siebtel der knapp 78.000 Schülerumzüge findet zwischen Berlin, Hamburg und Bremen sowie Brandenburg, Niedersachsen und Schleswig- Holstein statt. Für die Hauptstadtregion heißt das konkret: 65 Prozent der zugezogenen Schüler in Brandenburg kommen aus Berlin, 42 Prozent der Berliner Zuzügler unter 18 Jahren kommen aus Brandenburg. Die geplante engere Kooperation der beiden Nachbarländer erleichtert also in jedem zweiten Umzugsfall mit Kindern den Wohnortwechsel. Dagegen sind Fernumzüge seltener. Zwischen den größten Ländern Bayern und NRW etwa gab es nur 2607 Umzüge in der besagten Altersgruppe – das sind 3,3 Prozent von allen.

Aber könnte es nicht doch sein, dass ohne föderale Schulsituation die Mobilität höher wäre? Dass Angst vor einem Schulwechsel Mobilität behindert? Der Blick in die USA legt nahe, dass dem nicht so ist. Dort ziehen auch nur etwa zwei Prozent der Altersgruppe von fünf bis 19 Jahren (also sogar inklusive der Studienanfänger) jährlich zwischen Bundesstaaten um. Auch in Großbritannien deuten die veröffentlichten Zahlen des Statistikamtes nicht auf eine wesentlich höhere Mobilität von Familien mit Kindern hin. Dort sind 2005 knapp 170.000 Kinder zwischen null und 15 Jahren mit ihren Familien überregional umgezogen, wobei weit über die Hälfte dieser Umzüge auf die Metropole London und deren Umland entfällt – was auf Deutschland übertragen wohl eher der Wanderung innerhalb eines großen Bundeslandes entspricht.

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