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Schulsystem: Flicken am Teppich

Einheitlichkeit im deutschen Schulsystem ist vorerst eine Illusion – und dennoch könnte sie kommen.

Berlin - Bildungsdschungel, Flickenteppich, Kleinstaaterei – es ist immer wieder das gleiche Jammern, wenn es um die Bildungspolitik in Deutschland geht. Denn die ist in den Händen der Länder, und dort passiert eben das, was in der Politik gelegentlich vorkommt: Es ändert sich was. Es sei denn, siehe Hamburg, ein Volksentscheid kommt dazwischen. Wobei der nur die sechsjährige Grundschule gekippt hat, nicht aber eine weitere Neuerung (die so neu nicht ist): die Stadtteilschule als Sekundarschule neben dem Gymnasium.

Der Hamburger Schulstreit war und ist für die Parteien ein Anlass, ihre Positionen zu betonen. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) freut sich über einen Sieg für das Gymnasium, Grünen-Chef Cem Özdemir stellt unbekümmert fest, das grüne Anliegen sei auch nach der direktdemokratischen Abfuhr richtig (nach dem Motto: eine Bataille verloren, aber nicht den Krieg). Und einmal mehr wird die Forderung laut, man müsse jetzt endlich ein einheitliches Schulsystem bekommen.

Freilich ist das Verlangen nach Einheitlichkeit im deutschen Schulwesen ein frommer Wunsch, dem die Firnis jahrzehntelanger Vergeblichkeit anhaftet. Denn es besteht in der Bundesrepublik kein Konsens darüber, wie das Schulsystem bundesweit aussehen könnte. Zwischen SPD, Grünen und Linken einerseits und Union und FDP andererseits gibt es keine wirkliche Verständigung – der Knackpunkt ist die Gesamtschule beziehungsweise die Frage, wie lange Kinder in einer Schule gemeinsam unterrichtet werden sollen. Abbild des Mangels an Konsens zwischen den Parteien ist das Schulsystem, wie es sich in den Ländern darbietet. Oder anders gewendet: Der Bundesgesetzgeber könnte, würde er zuständig, nur nach der alten Reformationsdevise handeln: Cuius regio, eius religio.

Freilich ist der Schuldschungel nicht ganz so undurchsichtig, der Flickenteppich nicht gar so unübersichtlich. Zumal die Vielgestaltigkeit des deutschen Schulwesens nur dann als problematisch wahrgenommen wird, wenn man allein die Draufsicht aus luftiger Höhe gelten lässt. Aus der Froschperspektive sieht es ganz anders aus. Denn die meisten Pennäler haben es bis zu ihrem Abschluss nur mit einem Schulsystem zu tun. 90 bis 95 Prozent eines Schülerjahrgangs kommen gar nicht in die Verlegenheit, im Laufe ihrer Schulzeit in ein anderes Bundesland umziehen zu müssen. Und dass es 16 unterschiedliche Schulsysteme gibt, ist zwar nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig: Im Kern gibt es nur drei oder vier, je nachdem (siehe Grafik). Das herkömmliche dreigliedrige Schulsystem findet sich in Reinform in Bayern und Baden-Württemberg, zudem in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen, dort aber mehr oder weniger stark ergänzt um die Gesamtschule. Sachsen hat das zweigliedrige System in Reinform: Dort gibt es neben dem Gymnasium nur noch die Mittelschule (statt getrennter Haupt- und Realschulen). Dieses zweigliedrige System gibt es auch in neun weiteren Ländern (darunter demnächst Berlin), in denen aber auch Gesamtschulen bestehen, wobei der Anteil der Schüler dort unterschiedlich groß ist. Der Trend der vergangenen Jahre war eindeutig: Er ging hin zum sächsischen Modell der Zweigliedrigkeit (auch wenn Gesamtschulen deswegen nicht gleich abgeschafft wurden). Dieses System hatte die Regierung Biedenkopf in den frühen 90er Jahren als Kompromissmodell entworfen, es sollte Vorbild werden für alle Länder.

Sachsen spielte damals noch eine Vorreiterrolle – wie man heute sieht, nicht ganz erfolglos: Biedenkopf verweigerte die Übernahme der neunjährigen Gymnasialzeit aus dem Westen und blieb beim Abitur nach zwölf Jahren wie zu DDR-Zeiten (was auch näher am international üblichen Standard lag, deutsche Abiturienten kamen eher spät auf die Hochschulen und in die Jobs). Das „G 8“ setzt sich seither Schritt für Schritt auch in den anderen Ländern durch, beginnend im Saarland und nun auch in Bayern – wenn auch begleitet von Protesten mancher Eltern- und Lehrerverbände.

Dieser bundesstaatliche Weg zu mehr Einheitlichkeit könnte auch bei der Schulstruktur insgesamt gelingen – die Länder nähern sich peu a peu an mit dem Ergebnis, dass in einigen Jahren die Zweigliedrigkeit der Standard ist (wobei die Erfahrung lehrt, dass die Landesregierungen noch das eine oder andere eigene Schleifchen dranknüpfen). Denn das dreigliedrige System ist aus demografischen Gründen unter Druck geraten, in manchen Regionen selbst in Bayern und Baden-Württemberg finden sich nicht mehr genügend Schüler für getrennte Haupt- und Realschulen. Und weil immer mehr Länder die Haupt- und Realschulen zu Sekundarschulen zusammenfassen (wenn auch von Land zu Land mit unterschiedlichem Namen), dürfte der Druck auf die beiden Südländer noch wachsen. In Stuttgart hat man mit der Werkrealschule – einer Erweiterung der Hauptschule – schon einen ersten Schritt gemacht.

Was die Gesamtschule wiederum anfällig macht (neben der Tatsache, dass sie auch nach 40 Jahren umstritten ist), sind die relativ schlechten Ergebnisse in den Vergleichstests der vergangenen Jahre. Die Gesamtschulen konnten oft nicht einmal das Realschulniveau erreichen. Auch der Hamburger Volksentscheid gegen längeres gemeinsames Lernen aller Kinder könnte nun dazu beitragen, dass die Gesamtschulanhänger sich sich mit der kleinen Lösung – der Sekundarschule als Teil-Gesamtschule neben dem Gymnasium – zufriedengeben.

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