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Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz

© dpa/Bernd von Jutrzcenka

Schulz und Macron: Warum das Prinzip Messias an der Realität scheitert

SPD-Kanzlerkandidat Schulz und Frankreichs Präsident Macron werden als Erlöser stilisiert. Deutschland liebt aber Pragmatiker, um Enttäuschungen zu vermeiden. Das ist gut für die Demokratie. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Die Erlösung der Welt, drunter macht er es nicht. Die erste Rede, die Emmanuel Macron am Sonntag als französischer Präsident hielt, war eine Verkündigung: In Frankreich sei soeben entschieden worden, ob das Land sich den Anfechtungen der Demokratie stelle oder ob es „dem Licht der Aufklärung den Rücken kehre“. Frankreich, in seinem Selbstvertrauen erschüttert, stehe nun „am Beginn einer außergewöhnlichen Renaissance“. Macron versprach die Wiederaufrichtung der Nation und die „Neubegründung Europas“. Er versprach, „die Exzesse des Weltenlaufs“ zu korrigieren. Größer geht’s nicht.

Dieses Epos kommt einem bekannt vor. Die Welt in Unordnung, ein Volk/ein König/ein Messias mit einer Aufgabe, das Versprechen von Wiedergeburt und Reinigung: Das ist eine universelle religiöse Erzählung. Als Barack Obama 2009 als Präsident eingeschworen wurde, hielt er eine ganz ähnliche Rede. Auch er beschwor ein Land in einer tiefen Krise und sagte, es sei Zeit, das „gottgegebene“ Versprechen wieder einzulösen, dass alle Menschen gleich und frei seien.

Martin Schulz und die SPD haben versucht, den Kandidaten nach dem Vorbild des politischen Erlösertypus zu modellieren. Als Gottkanzler sollte der Messias, ein einfacher Mann aus Würselen (Gott offenbart sich den Zimmermannssöhnen/Schafhirten) eine Aura der Entrücktheit erhalten. Noch am Wahlabend beschwor Martin Schulz mit dem alten Arbeiterlied „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“ eine Reformbewegung herauf, die ebenfalls einen heilen Urzustand feierte, das vorindustrielle Idyll. Die Wahlverlierer Kraft und Albig geißelten sich an seiner statt.

Religiöse Überhöhung des Politischen

Barack Obama, Emmanuel Macron, Martin Schulz, sie alle versuchten und versuchen sich mehr oder weniger erfolgreich an der religiösen Überhöhung des Politischen. Das hat etwas Antidemokratisches. Die Begeisterung, die diesem Politikertypus von Anhängern ihrer jeweiligen „Bewegung“ im eher linksliberalen Spektrum entgegengebracht wird, entspricht der Hoffnung nach einem guten Autokraten unter Rechtskonservativen. Der messianische Politikertypus steht für den Durchmarsch gegen die Widrigkeiten des Systems – nichts anderes versprechen Donald Trump, Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan. Sie geben vor, nicht fehlen zu können, des Korrektivs – also „des Systems“ – nicht zu bedürfen.

Das Erlösermodell ist aber dazu verdammt, an der Realität zu scheitern. Im Fall Obamas war das ein polarisierter Kongress. Im Fall Macrons könnte es ein erbittert kämpfender Gewerkschaftsblock sein und ein Europa, in dem Deutschland und Frankreich eben nicht machen können, was sie wollen, sondern auf Polen, Ungarn und Griechen angewiesen sind. Oder sie scheitern wie Martin Schulz schon weit vor einem möglichen Amtsantritt an der Frage: Was ist der Inhalt?

Deutschland, mit seiner Pathos-Phobie, liebt eher die Pragmatiker und vermeidet so die große Enttäuschung. Am Ende gelten die Pragmatiker als erfolgreicher, nicht etwa, weil sie tatsächlich mehr erreicht haben, sondern weil sie eh nur wieder Steuerentlastungen für die Mitte, die Verringerung der Schulden, ein wettbewerbsfähigeres Arbeitsrecht, maximal einen europäischen Finanzminister versprechen.

Am Ende ist das wohl besser. Denn Enttäuschung ist Gift für die Demokratie. Und die Enttäuschten neigen dazu, sich noch größeren Hoffnungen hinzugeben.

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