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Für viele eine letzte Instanz: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg

© dpa

Schutz für Whistleblower: Auch ein Verdacht kann Unrecht sein

Das Urteil des Menschenrechtsgerichthofs über einen Arzt, der seinen Chef anzeigte, hat Signalwirkung. Aber eine andere, als viele hofften. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Manchmal geht es ungerecht zu. Es gut zu meinen, richtig machen zu wollen und dann die Welt und das Recht gegen sich zu haben, ist hart. So erging es einem Arzt, dessen Beschwerde vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) abgewiesen wurde (Az.: 23922/19).

Der Deutsche war an einer Liechtensteiner Klinik tätig. Als auffällig viele Patienten mit Morphindosen verstarben, schöpfte er Verdacht gegen seinen Vorgesetzten, den Klinikchef. Sterbehilfe? Mord? Er ging zur Staatsanwaltschaft, es gab Wirbel in der Presse und eine Kündigung – für ihn.

Der Klinikchef wurde dagegen entlastet. Der Deutsche wehrte sich mit einer Schadensersatzklage, verlor und sah sich im Ergebnis in seinem Grund- und Menschenrecht auf Meinungsfreiheit verletzt. Der EGMR sah es anders.

Politisch passt das Geschehen in die Diskussion um eine EU-Richtlinie

Ein Fall, wie einem Whistleblower Unrecht wiederfährt? Wie einer, der einen Verdacht melden, einen Missstand beseitigen will, zum Opfer wird? Manche Kommentare zu dem Fall und nicht zuletzt der Mediziner selbst erwecken diesen Eindruck.

Politisch passt das Geschehen in die Diskussion um eine EU-Richtlinie, die Whistleblower besser schützen soll. Im fortschrittlichen linken Lager wird gefordert, sie schärfer als verlangt ins deutsche Recht umzusetzen. Im konservativen rechten tut man sich schwer.

Es dürfte klar sein, auf welcher Seite man vom EGMR-Urteil enttäuscht ist. Man hatte sich ein Signal erhofft, dass den Gesetzgeber in die Pflicht nimmt.

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Doch Gerichte sollen Fälle entscheiden und mit Signalen zurückhaltend sein. Das ist hier passiert. Dem Mediziner wurde seinerseits vorgeworfen, er habe seinen Verdacht nicht ausreichend geprüft, ehe er sich damit an die Staatsanwaltschaft wandte.

So sahen es auch die Gerichte bis hinauf zum EGMR. Nun wirkt es, als sei der Ehrliche der Dumme; ein abschreckendes Beispiel für alle, die einen Missstand melden wollen.

Zum Whistleblowing gehört Verantwortung

Vielleicht ist das ungerecht. Vielleicht aber steckt in dem Urteil doch ein Signal, das es verdient, wahrgenommen zu werden: Es reicht nicht, es gut zu meinen und richtig machen zu wollen. Man muss mehr tun. Ein Hinweisgeber muss prüfen, wem er welche Hinweise gibt.

Ein Verdacht, der nicht gerechtfertigt ist, ist ebenfalls Unrecht. Ihn allzu leichtfertig in die Welt zu setzen, kann auch Unrecht sein. Das Urteil des EGMR kann deshalb auch so gelesen werden: Zum Whistleblowing gehört Verantwortung.

Das ist, unabhängig vom Einzelfall, nicht das schlechteste Signal. Das Blame Game, die Zuweisung von Schuld, ist einer multimedialen Netzwerkwelt zum Gesellschaftssport geworden. Für jede Misere, jede Krise gibt es Schuldige; und wenn sie noch nicht festgestellt wurden, liegt auch darin ein Missstand, für den es wiederum Schuldige geben muss.

Whistleblowing ist nötig, das Ansinnen, es zu ermöglichen, ist gut. Aber es kann kein Schema geben, das Whistleblower aus der Verantwortung entlässt.

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