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Politik: Schwarz, rechts, anregend. Alan Keyes ist ein schriller Vogel. Und er ist der unterhaltsamste aller Kandidaten.

Etliche Male kam Alan Keyes nur knapp mit dem Leben davon. Da war er wieder auf Wahlkampftour irgendwo in der tiefsten Provinz unterwegs und hatte abends an die Tür einer abgelegenen Farm geklopft.

Etliche Male kam Alan Keyes nur knapp mit dem Leben davon. Da war er wieder auf Wahlkampftour irgendwo in der tiefsten Provinz unterwegs und hatte abends an die Tür einer abgelegenen Farm geklopft. Der Besitzer sah Keyes, holte zur Sicherheit erstmal die Knarre und ließ sich dann mit abnehmendem Misstrauen erklären, warum Keyes sein Mann sei. Nicht wenige hat Alan Keyes überzeugt. So lacht er denn auch, wenn er die Geschichte erzählt.

Nein, Präsident wird er dennoch nicht. Doch seine Chancenlosigkeit hat viel damit zu tun, dass Alan Keyes der interessanteste und unterhaltsamste der amerikanischen Präsidentschaftskandidaten ist. Er vertritt die Gattung der schrillen Vögel, der skurrilen Außenseiter, die im Feld der Zentristen - Gore, Bush, Bradley, McCain - im diesjährigen Vorwahlkampf auffallend unterrepräsentiert sind. Wenn am heutigen Dienstag im kleinen Neuengland-Staat New Hampshire die erste reguläre Vorwahl stattfindet, ist der Ausgang für Keyes eine Überlebensfrage. Ohne Prozente an den Wahlurnen gibt es keine Spenden von Unterstützern, ohne Spenden keinen erfolgreichen Wahlkampf.

Neunzig Prozent der Schwarzen wählen Demokraten. Prominente Afroamerikaner in der Führung der Republikaner sind selten. Viele in der Partei freuen sich, dass Keyes nun hilft, das Image der Republikaner zu verbessern, die als latent rassistisch gelten. Stolz auf Exotik schwingt mit, wenn Amerikas weiße Rechte ihre Unterstützung für den schwarzen Ultrarechten verkünden.

Die Steuer - eine "Form der Sklaverei"

"Wenn jeder seinem Gewissen und seinen Überzeugungen gemäß wählen würde, wäre mir die Nominierung sicher", glaubt Keyes. Ohne ihn wäre das republikanische Bewerber-Quintett um eine unorthodoxe Stimme ärmer. Eigenständig ist beispielsweise seine Position zum Jugendstrafrecht: "Ständig das Mindestalter für die Todesstrafe oder für die Verurteilung von Teenagern herabzusetzen, ist nichts anderes als das Eingeständnis unseres Versagens als Gesellschaft."

Weniger unorthodox ist seine Haltung zur Abtreibung. Den Tod eines Fötus will er selbst bei Vergewaltigung oder Inzest nicht hinnehmen - anders als Bush und McCain. Die einzige Ausnahme seiner strikten "Pro-life"-Position formuliert Keyes im Gespräch mit dem Tagesspiegel so: "Wenn ein Kind als unbeabsichtigte Nebenwirkung von medizinischen Bemühungen, das Leben der Mutter zu retten, zu Tode kommt, kann ich das akzeptieren - in jedem anderen Fall wäre dies eine Sünde vor der Allmacht Gottes, in dessen Angesicht wir uns nicht erdreisten dürfen, zwischen gewolltem und ungewolltem Leben zu unterscheiden."

Bei der Probe-Abstimmung in Iowa im vergangenen August landete Keyes mit fünf Prozent auf dem siebten Rang und hatte damit immerhin Ex-Vizepräsident Dan Quayle geschlagen. Als am vergangenen Montag die Bürger Iowas zum "Caucus" schritten, schoss Keyes mit 15 Prozent gar auf den dritten Platz hinter Bush und Forbes vor.

Zusammen mit den anderen Kandidaten der christlichen Rechten, Gary Bauer für die kleinen Leute und Steve Forbes für Big Business, hat Keyes es geschafft, Abtreibung erneut zum zentralen Thema zu machen. Bush und McCain hassen diesen Moral-Test und eiern heftig, wenn sie zwischen ihrer grundsätzlichen Gegnerschaft und praktikabler Familienpolitik einen Mittelweg suchen. Keyes zwingt sie dazu, die Stringenz ihrer Positionen zu durchdenken.

Dass Republikaner bei Vorwahlen nach rechts rücken und die Abtreibung als Maßstab für moralische Standhaftigkeit entdecken, ist normal. Ungewöhnlich ist, dass auch bei den Demokraten plötzlich über "abortion" gestritten wird, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen. Bill Bradley etwa attackiert Al Gore mit dem Vorwurf, der Vizepräsident habe sich als junger Abgeordneter nicht konsequent für das Recht auf Abtreibung eingesetzt. Gore stimmte damals für ein Gesetz, das den Fötus als Person charakterisiert, und schrieb 1983 einem Wähler: "Es ist meine tief empfundene Überzeugung, dass Abtreibung Unrecht ist."

Bradley bezichtigt Gore auch der Lüge und des "negative campaigning", der Attacken auf ihn mit Hilfe von Halbwahrheiten und Unterstellungen. Im positiv gestimmten Wohlstandsland Amerika ist dies der neue Wahlkampfhit geworden: Man wirft dem Gegner vor, "negativ" zu sein. Problem nur: Man wird so selbst zum Attackierenden. Für Bradley bringt dies die Gefahr mit sich, so meint die Kommentatorin Margaret Carlson, dass er den Wählern "als derjenige im Gedächtnis haften bleibt, der in Iowa verliert und in New Hampshire jammert".

Bradley und McCain brauchen Siege gegen Gore und Bush. Deshalb stapfen sie tapfer durch den Schnee, karren aus Washington und Chicago Hundertschaften von Schülern und Studenten heran, um an Türen zu klopfen und Plakate zu schwenken. Im libertär-unabhängigen New Hampshire wischt man den Establishment-Kandidaten gerne eins aus. Hier zählt, anders als in den Groß-Bundesstaaten, weniger das Geld und die Parteimaschine als fleißige, persönliche Basisarbeit. Für Bradley und McCain gilt daher: Wenn es hier nicht klappt, wo dann?

Berufung auf die Gründerväter

Störenfriede wie Keyes können sich da zurücklehnen. Er hat ein Thema, das maßgeschneidert ist für New Hampshire, wo weder Landes-Einkommens- noch Mehrwertsteuer erhoben werden. Keyes argumentiert, dass die Regierung im Prinzip jeden verdienten Dollar kontrolliert. So lange es ein Recht des Kongresses sei, die Bundes-Einkommenssteuer hoch- oder runterzusetzen, verfüge Washington im Grundsatz über alle Einkünfte. Keyes will zur ursprünglichen Regelung der US-Verfassung zurück, die Einkommensteuer - als "moderne Form der Sklaverei" - abschaffen und die Staatsgeschäfte über Zölle und eine höhere Mehrwertsteuer finanzieren. "So entscheidet jeder Bürger durch sein Kaufverhalten, wie viel Geld er der Regierung zukommen lässt."

Neben Gott sind es meistens die Gründerväter, die Keyes ins Gefecht führt. Viele Argumente beginnt er mit einem Rekurs auf den Geist der Verfassung. So verlangt er den Austritt Amerikas aus der WTO, weil dort "nichtdemokratische Staaten vertreten sind und über das Schicksal der USA mitentscheiden - was ein Bruch unserer verfassungsmäßigen Ordnung darstellt". Ob die USA sich dann auch aus der UN verabschieden müssten, will Keyes nicht klar beantworten.

In ihm nur einen bizarren Ideologen der fundamentalistischen Rechten zu sehen, wäre falsch. Keyes bekennt sich zu den freiheitlichen und libertären Impulsen Amerikas. Deutlich wird dies in seiner Position zur Homosexualität. Jede rechtliche Anerkennung hält er für gotteslästerlich. Schwule Ehen oder lesbische Adoptiveltern gelten ihm als Blasphemie und als Verletzung des Prinzips, dass menschliche Freiheit in Gottes Ordnung stattfinden müsse. Gleichzeitig sagt er: "Wir wollen andererseits natürlich keine Regierung, die das Recht hat, in Schlafzimmern herumzuschnüffeln. Die Freiheit des Einzelnen heißt auch, dass das, was im privaten Raum freiwillig zwischen Erwachsenen getan wird, nur deren und nie unser aller Angelegenheit sein darf."

Dies ist der Keyes, der selten gesehen wird. Für Amerikas Beobachter wie für ausländische Wahl-Kommentatoren gilt, dass Differenziertheit bei einem Rechtsaußen-Kandidaten weder erwünscht ist noch beschrieben wird. Keyes hat sich deshalb laut über den Rassismus der Medien beschwert, die ihn als "Agitator", als "Paranoiker", als "schreienden Säugling" oder "randalierenden Trunkenbold" bezeichnen.

Seinen Unterhaltungswert bezieht Keyes aus seiner Gabe, stimmgewaltig über den moralischen Zerfall zu predigen und auch aus Fragen zur Finanzierung der Nasa einen Diskurs über menschliche Freiheit in Gottes Ordnung zu machen. Die bewegte Karriere des 49-Jährigen begann als Diplomat in Zimbabwe und Indien; unter Reagan wurde er US-Vertreter bei der UN im Botschafterrang; kurzfristig leitete er eine Universität; seit über zehn Jahren arbeitet er als Talkshow-Gastgeber im Radio und scheitert wieder und wieder mit Anläufen auf einen Senatorensitz zu Hause im Bundesstaat Maryland.

Neulich nahm Keyes es mit dem Unterhaltungswert allzu wörtlich. In Iowa hatte ein Musiksender die Ladefläche eines Riesen-Lastwagens mit Plastikpolstern ausgestattet und in "Woodstock-Schlammloch" umgetauft. Der Moderator versprach, denjenigen Politiker zu unterstützen, der sich als Erster zwischen die ravenden Kids werfen würde. Keyes nahm die Herausforderung an, sprang als "stagediver" in die Menge und wurde erwartungsgemäß auf Händen weitergereicht. Die Musik zu dem Spektakel kam von der Hardcore-Gruppe "Rage Against The Machine" ("Wut gegen die Maschine").

Gary Bauer, als rechter Präsidentschaftskandidat etwas pietistischer als Keyes, mäkelte daraufhin, eine Musikband ohne Moral sei der Untermalung eines republikanischen Wahlkampfes unwürdig. "Ach Gary", erwiderte Keyes, "ich bin garantiert der erste Politiker, der sich in einen virtuellen Schlammpfuhl geworfen hat und mit perfekt sitzender Krawatte wieder herauskam!"

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