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Schweden: Die Konsenstradition siegt

In den 90er Jahren erlebte Schweden zahlreiche ungewöhnlich brutale Attentate aus der rechten Szene. Doch dann wurde es wieder ruhig.

So stoppten Neonazis nach einem Bankraub die sie verfolgenden Polizisten und richteten sie mit Kopfschüssen aus nächster Nähe hin, einer der Täter war ein adoptierter Schwarzer. Gewerkschaftler wurden ermordet, der sogenannte Lasermann erschoss wahllos Ausländer auf Stockholms Straßen, der posthum weltbekannte Krimiautor Stieg Larsson wurde für seine antifaschistische Zeitung „Expo“ verfolgt, und die abendliche Altstadt war unheilvoller Sammelpunkt der Gewaltbereiten.

Doch dann folgte ein ruhiges Jahrzehnt. „Erfreulicherweise gab es kaum spektakuläre Gewalttaten von Rechtsaußen seit den 90er Jahren“, bestätigt auch der antifaschistische „Expo“-Redakteur David Lagerlöf. Den seit dem Zweiten Weltkrieg wohlhabenden Schweden gelang es damals, frühzeitig die Wirtschaftskrise zu überwinden. Es gibt im EU-Vergleich weniger Menschen, die nichts zu verlieren haben. Den schwedischen Grundkonsens „Lieber hohe Steuern und dafür umfassende soziale Sicherheit und Chancengleichheit für alle“ musste sogar die gegenwärtige bürgerliche Regierung übernehmen, um die jahrzehntelange Dauerherrschaft der Sozialdemokraten zu brechen.

Der auf Kompromisse, Vergebung und Reintegration getrimmten Wohlfahrtsnation gelang es zudem, mit dem inzwischen weltweit nachgeahmten Ausstiegsprojekt „Exit“ jungen Menschen aus der Szene zu helfen. Sozialarbeiter sind oft selbst Ex-Neonazis. Gerade auch in Haftanstalten wurde verurteilten Rechtsextremisten Hilfe zum oft gefährlichen Ausstieg angeboten.

Doch Experten befürchten, dass auch in Schweden eine neue Gewaltwelle bevorsteht. „Das geht immer in Wellen. Nach der Ebbe kommt die Flut und umgekehrt. Die Neonazis aus den 90ern wurden alt, kamen ins Berufsleben, gründeten Familien. Aber in Schweden formiert sich derzeit der Nachwuchs“, warnt nicht nur Lagerlöf, der schon mit Stieg Larsson an der journalistischen Erfassung der rechtsextremen Szene arbeitete. So erfreue sich etwa die bekannteste Nachwuchsorganisation „Nationale Jugend“ Zulauf. „Wer aufgenommen werden will, muss einen Kampfsport ausüben und an armeeähnlichen Übungen teilnehmen. Auch wenn das nicht illegal ist, muss es ja einen Grund dafür geben“, sagt der „Expo“-Redakteur.

Auch der schwedische Staatsschutz „Säpo“ hat seine Überwachungsroutinen für die Rechten verschärft. Zum einen sorgte ein Heckenschütze Ende vergangenen Jahres für wochenlange Panik in Malmö, weil er scheinbar wahllos südländisch aussehende Menschen aus dem nächtlichen Hinterhalt erschoss, ähnlich dem Stockholmer Lasermann in den Neunzigern. Zudem sorgte die heftige Kritik am Totalversagen des benachbarten, norwegischen Sicherheitsdienstes, der den Utöya-Massenmörder Anders Behring Breivik anscheinend vorzeitig hätte stoppen können, für eine Sensibilisierung. In beiden Fällen handelte es sich allerdings, nach Ansicht der Polizei, eindeutig um vereinsamte Einzeltäter mit rassistischen Ansichten und erheblichen psychischen Erkrankungen – aber ohne jeglichen Kontakt zu anderen Terrornetzwerken. „Aber das sind dennoch Warnsignale“, sagt Lagerlöf.

Zudem haben die Wahlen Ende vergangenen Jahres einen Rechtsruck mit sich gebracht. Die ehemals rechtsextremen und nun nur noch ausländerfeindlichen Schwedendemokraten (SD) kratzten in ihren südschwedischen Hochburgen teilweise an der 20-Prozent-Marke und haben mit ihrem historischen Einzug ins Parlament eine politische Zäsur in der bislang nahezu rechtspopulismusfreien schwedischen Politik geschaffen.

Aber auch hier greift bislang die schwedische Konsenstradition über Parteigrenzen hinweg erstaunlich effektiv. Bei den Reichtagswahlen erzielte die SD 5,7 Prozent und ist im Parlament eigentlich das Zünglein an der Waage. Aber die betont einwanderungsfreundlich auftretende bürgerliche Regierungskoalition aus vier Parteien lehnt eine Zusammenarbeit rigoros ab und nimmt dafür immer wieder Abstimmungsniederlagen, selbst bei wichtigen Reformen, in Kauf. Die Medien des skandinavischen Landes können die SD seit deren Reichstagseinzug zwar nicht mehr wie früher ignorieren. Aber die Berichterstattung ist erstaunlich sachlich und sehr kritisch. Rund 25 Prozent der etwa 9,5 Millionen Schweden haben einen Migrationshintergrund. Doch trotz seiner großzügigen Einwanderungspolitik stemmt sich das Land im Norden Europas gut gegen die Rechten. Selbst der Bau von Moscheen und das Tragen von Kopftüchern spielt in der öffentlichen Debatte so gut wie keine Rolle. André Anwar

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