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Politik: Schwedische Informationshappen

Zunächst tat die Regierung in Stockholm so, als seien alle Landsleute in Sicherheit – jetzt spricht die Außenministerin in Phuket vom „nationalen Trauma“

Mit versteinerter Mine tritt Schwedens Außenministerin Laila Freivalds vor die Mikrofone: Die Seebebenkatastrophe in Asien sei eine „internationale Tragödie und ein nationales Trauma für Schweden“. Die Politikerin, die sich mittlerweile im thailändischen Phuket befindet, um sich über die Situation zu informieren, sagte kurz vor ihrem Abflug, dass von der Katastrophe „sehr viele Schweden“ betroffen seien. Zu weit mehr als tausend Landsleuten habe man noch immer keinen Kontakt, „und ich fürchte, dass viele von ihnen nicht mehr gefunden werden“, sagte sie. Damit gab die wegen ihrer Verschwiegenheit hart kritisierte schwedische Regierung zum ersten Mal zu, dass das Seebeben sehr viel mehr Opfer gefordert haben kann, als man zunächst vermittelt hatte.

Für viele Schweden war das, was die Regierung nicht offiziell einräumen wollte, schon kurz nach den ersten Meldungen über das verheerende Seebeben klar: Denn das Neun-Millionen-Einwohner-Land Schweden stellt mit etwa 30 000 Touristen eine der größten Reisegruppen in der Region (zur Zeit der Flut waren etwa 8000 Deutsche dort). Thailand ist gerade bei nordeuropäischen Familien als Winterreiseziel beliebt. Viele Familien wollen in den Badeorten Phuket und Khao Lak der dunklen, kalten Jahreszeit entfliehen. Zu den 1500 vermissten schwedischen Urlaubern kommen mehr als 400 aus Norwegen sowie jeweils etwa 200 aus Dänemark und Finnland.

Während das offizielle Stockholm noch bis Montagabend davon sprach, dass alle Schweden in Sicherheit seien, hatten Radio und Fernsehen längst die Programme geändert und sendeten nahezu kontinuierlich Nachrichten aus den Krisengebieten. Bei vielen Schweden wurden Erinnerungen an den Untergang der Ostseefähre „Estonia“ wach, bei dem vor zehn Jahren 852 Menschen starben – 552 von ihnen waren Schweden. Die Schilderungen von Überlebenden ähnelten sich: Der fast aussichtslose Kampf gegen die Fluten, die verzweifelte Suche nach Verwandten, Partnern und Freunden. „Es wird nicht viele Menschen in Schweden geben, die niemanden kennen, der jetzt von der Katastrophe betroffen ist“, sagte Freivalds in Phuket.

Die Verzweiflung der Angehörigen, die Ungewissheit über das Schicksal vieler Vermisster hat erfinderisch gemacht: Mit Hilfe der nordeuropäischen Telekom-Gesellschaften wurde eine Gruppen-SMS an alle schwedischen Handybesitzer in der Krisenregion geschickt. In der Kurznachricht des Außenministeriums werden die Überlebenden aufgefordert, sich umgehend bei Konsulaten oder Botschaften zu melden. Offenbar mit Erfolg, denn die fürchterlich lange Liste mit Namen von Vermissten konnte wenigstens ein wenig gekürzt werden.

Zeitungen hatten der Regierung vorgeworfen, sie halte Informationen zurück, um eine Panik zu verhindern. Jetzt aber bereitet die Regierung vorsichtig die eigenen Landsleute darauf vor, dass in der Erdbebenregion möglicherweise hunderte schwedische Urlauber ums Leben gekommen sind. Krisenstäbe wurden gebildet, eine Luftbrücke für den Rücktransport organisiert. „Ich schäme mich, Schwede zu sein“, sagte eine verzweifelte Urlauberin in Thailand, die im Fernsehen berichtete, wie andere Länder ihre Landsleute schon längst ausgeflogen haben, während die schwedische Regierung noch immer an einer „Bedarfsanalyse“ arbeite.

Helmut Steuer[Stockholm]

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