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Bald nicht nur das Land der Banken, sondern auch des Mindestlohns?

© dpa

Schweiz: Mindestlohn 22 Franken pro Stunde

An diesem Sonntag stimmt die Schweiz über die Einführung eines Mindestlohns ab. Kommt er, wäre er einer der höchsten weltweit.

Das Restaurant in der Zürcher Altstadt ist rappelvoll, die Gäste bestellen Geschnetzeltes, Salate und Biere. Die Bedienungen jonglieren Teller und Gläser an Tischen und Stühlen vorbei. Die meisten Servierkräfte sind zwar froh, dass sie einen Job haben. „Nur, wir verdienen doch etwas wenig“, beklagt sich Ramona (25 Jahre). Sie verdient nach eigenen Angaben rund 16 Schweizer Franken pro Stunde (etwa 13 Euro). In Zürich reicht das kaum, um über die Runden zu kommen – die Schweizer Metropole gilt als eine der teuersten Städte der Welt. Im Supermarkt kostet ein Hühnchen (1,5 Kilogramm) rund 22 Franken (18 Euro). Für eine Wohnung mit 70 Quadratmetern muss man oft weit mehr als 2000 Euro pro Monat an Miete hinlegen.

Gewerkschaften und Regierung trommeln für 22 Franken mindestens

Doch Ramonas Gehalt könnte bald einen Sprung nach oben machen: Am Sonntag stimmen die Schweizer über die Einführung eines landesweiten Mindestlohnes von 22 Franken (etwa 18 Euro) pro Stunde ab. Bei einer Arbeitszeit von 42 Stunden würde Helvetiens Lohnuntergrenze dann bei 4000 Franken (rund 3300 Euro) im Monat liegen. Das Hochpreisland Schweiz hätte dann einen der höchsten Mindestlöhne weltweit.
Die Gewerkschaften und die Sozialdemokraten werben für den 22-Franken- Mindestlohn; Regierung und Unternehmer lehnen ein staatlich verordnetes „Lohndiktat“ vehement ab. Der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Paul Rechsteiner, erläutert seine Position so: „Wer Vollzeit arbeitet, der muss vom Lohn auch leben können. Das verlangt die Menschenwürde.“ Alles andere sei eine „Schande“.

Der MIndestlohn kurbelt die Wirtschaft an, meinen seine Verteidiger

In der Schweiz müssen sich rund 330 000 Menschen, etwa zehn Prozent der Erwerbstätigen, mit einem Stundenlohn von unter 22 Franken begnügen. Frauen sind besonders betroffen. Sie arbeiten vor allem in der Gastronomie und Hotellerie, im Einzelhandel, als Putzkräfte oder im Garten- und Landschaftsbau . Viele Geringverdiener kommen mit dem kargen Lohn nicht aus – und können auch kaum etwas fürs Alter zurücklegen. „Niedriger Lohn heißt später auch niedrige Rente“, sagt Silva Semadeni, sozialdemokratische Abgeordnete in Bern. Die Geringverdiener würden somit „doppelt bestraft“. Gewerkschaftsboss Rechsteiner wirbt mit weiteren Vorteilen des Mindestlohnes: Die Gehaltsuntergrenze werde „Profitmachern“ das Handwerk legen. Arbeitgeber, die anständig zahlen, müssten sich nicht mehr vor „unlauteren Konkurrenten“ und „Dumpinglöhnen“ fürchten. Zudem würden die Einnahmen der Sozialkassen wegen der höheren Löhne steigen, der Staat müsse armen Menschen weniger Geld zuschießen. Letztlich kurbele ein Mindestlohn von 22 Franken auch die Wirtschaft an. Weil die Verbraucher mehr Geld in der Tasche hätten und somit auch mehr kaufen könnten.

3300 Euro pro Monat - das könnte die Nachbarschaft anlocken

Genau bei diesem Punkt aber haken die Gegner ein. „Mit 22 Franken würde ein im internationalen Vergleich hoher gesetzlicher Mindestlohn eingeführt“, erklärt Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann von der wirtschaftsfreundlichen FDP. Es bestehe die große Gefahr, dass „Arbeitsplätze unterhalb der Mindestlohngrenze verschwinden“, warnt der frühere Unternehmer. Die Leidtragenden wären genau diejenigen, denen die Gewerkschaften helfen wollten. Martin Schmid, FDP-Abgeordneter in der zweiten Parlamentskammer, dem Ständerat, führt ein weiteres Argument ins Feld: die „falschen“ Anreize: Wenn ein 16-jähriger Schulabgänger mit einem einfachen Hilfsjob 4000 Franken pro Monat verdienen kann, nehme seine Bereitschaft, eine Berufslehre zu absolvieren, rapide ab.

Gegner des Mindestlohnes fürchten zudem, dass Ausländer von den üppigen Zahlungen in der Schweiz angelockt würden. Gerade in den benachbarten EU-Staaten Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich können viele Menschen von einem 3300-Euro-Mindestlohn nur träumen.

Jan Dirk Herbermann

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