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Ein Plakat der Schweizerischen Volkspartei (SVP) gegen "Masseneinwanderung".

© dpa

Update

Schweizer stimmen für Begrenzung der Zuwanderung: Angst vor dem Anderen

Die Mehrheit Schweizer sympathisieren mit der Anti-Einwanderungskampagne der rechtsnationalen Schweizerischen Volkspartei - und stimmten am Sonntag für eine Begrenzung der EU-Zuwanderung. Wie konnte es dazu kommen?

Nur einige Tausend Stimmen gaben den Ausschlag, doch der SVP-Vorsitzende Toni Brunner triumphierte. Bereits vor Bekanntgabe des Ergebnisses rief er unter dem Jubel seiner Parteigänger: Ganz egal, wie es ausgehe, das Ergebnis müsse der Regierung zu denken geben. „Weil offenbar das Schweizer Volk viel näher bei den Problemen“ der „Masseneinwanderung“ sei als die verantwortlichen Politiker. Seine SVP hatte die Abstimmung erzwungen. Die Regierung, alle anderen großen Parteien und auch die Wirtschaftsverbände hielten dagegen. Mit dem hauchdünnen Ja riskieren die Schweizer jetzt einen harten Konfrontationskurs mit der Europäischen Union. Die Eidgenossenschaft macht klar, dass sie auch in den Beziehungen zur EU auf einem nationalen Sonderweg beharrt. Am Ende könnte aber ein „wirtschaftlicher Scherbenhaufen“ stehen, wie die Gegner der Initiative immer wieder betonten.

Was sind die Konsequenzen?

Im Kern verlangt die SVP-Initiative eine Neuverhandlung des Schweizer Abkommens mit der EU über die Personenfreizügigkeit. Innerhalb von drei Jahren soll die neue Übereinkunft stehen – mit Kontingenten und Obergrenzen für Zuwanderer aus Deutschland, Österreich oder Luxemburg in die Eidgenossenschaft. Zudem müssen die Eidgenossen jetzt die Verfassung explizit um die Höchstbegrenzung ergänzen. Einen anderen Weg gibt es nicht, da die Regierung mit der Zulassung der Abstimmung diese schon als rechtskonform gebilligt hat. Jetzt muss sie Wort für Wort umgesetzt werden.

Die EU dürfte sich nicht auf Neuverhandlungen über das Abkommen zur Personenfreizügigkeit einlassen, das machten Diplomaten klar. Dann aber müsste die Schweiz einseitig den Vertrag kündigen – das liegt in der Logik des SVP-Plans. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte bereits im November in einem Interview mit der „NZZ“ indirekt damit gedroht. „Die Mitgliedstaaten würden niemals die Loslösung der Personenfreizügigkeit von den übrigen Grundfreiheiten akzeptieren.“ Mit keinem anderen Nicht-EU-Mitglied ist die volle Freizügigkeit von Menschen, Waren, Kapital und Dienstleistungen vereinbart worden wie mit der Schweiz mit dem Abkommen aus dem Jahr 2002.

Damit aber gefährden die Eidgenossen den Fortbestand sechs anderer wesentlicher Abkommen mit der EU akut (Bilaterale I). Diese bilateralen Abkommen umfassen die Themen Forschung, Landverkehr, Luftverkehr, Handel mit Industrieprodukten, Öffentliches Beschaffungswesen, Handel mit Agrarprodukten. „Die Bilateralen sind ein wichtiger Grund dafür, dass die Schweiz heute so gut dasteht“, betonte das Pro-EU-Lager. „Diese Vorteile gelten nur, solange unser Land die Spielregeln auf dem europäischen Markt einhält. Dazu zählt auch die Personenfreizügigkeit.“ Die Wirtschaftsverbände betonten zudem: „Für unsere Unternehmen ist es überlebenswichtig, dass sie gut ausgebildetes Personal aus dem Ausland einstellen können.“ Doch das half nicht.

Wie reagiert die EU?

Bereits an diesem Mittwoch könnten die Folgen des Schweizer „Ja“ klar werden. Dann sollten die 28 Mitgliedstaaten der EU-Kommission eigentlich ein Verhandlungsmandat erteilen, um mit der Schweiz ein sogenanntes Rahmenabkommen zu schließen. Dieses sollte die Beziehungen, gerade im Bereich des Binnenmarkts, auf eine neue Grundlage stellen. Daran hängt auch ein geplantes Abkommen über die Integration der Schweiz in den europäischen Energiebinnenmarkt. Dies könnte jetzt aufgeschoben werden.

Wie haben die Einwanderungsgegner die Schweizer überzeugt?

Im Abstimmungskampf hatte die SVP auf ihre alten Parolen vertraut, die sie zur stärksten Partei Helvetiens gemacht haben: die Schweiz den Schweizern. Das Boot ist voll. Dabei konnte sie sich auf eine stark ausgeprägte Skepsis gegen alles Nichtschweizerische in weiten Teilen des Landes verlassen. Eine Nettozuwanderung von 80.000 Migranten pro Jahr in den vergangenen Jahren bei einer Gesamtbevölkerung von acht Millionen Menschen sei einfach zu viel. Insgesamt stieg der Ausländeranteil in der Schweiz auf gut 25 Prozent. Das Wort vom „Dichtestress“ machte die Runde. Die SVP unterstrich in ihrer Kampagne, wofür sie Ausländer verantwortlich macht: „Zunehmende Arbeitslosigkeit, überfüllte Züge, verstopfte Straßen, steigende Mieten, Verlust von wertvollem Kulturland durch Verbauung der Landschaft, Lohndruck, Ausländerkriminalität, Asylmissbrauch.“ Die Migranten belasteten die Sozialsysteme und erhielten überdurchschnittlich oft staatliche Hilfszahlungen. Gut ausgebildete Einwanderer wie die Deutschen verdrängten die Einheimischen von den Arbeitsplätzen.

Knapp hinter den Italienern bilden die 300.000 Deutschen die zweitgrößte Einwanderungsgruppe in der Schweiz. Menschen aus Berlin, Leipzig oder Köln arbeiten als Ärzte, Wissenschaftler, Manager, sie füllen die Lücken in Hotels, bei der Pflege oder im Verkehrswesen. Auf die deutschen Zuwanderer zielen SVP-Politiker mit Vorliebe. „Einzelne Deutsche stören mich nicht, mich stört die Masse“, sagte die SVP-Frau Natalie Rickli. Vor allem in den ländlichen Gebieten der Deutschschweiz folgten die Stimmbürger den SVP-Parolen in großen Scharen, oft deutlich über 55 Prozent. Im italienischsprachigen Tessin lag die Zustimmung sogar bei fast 70 Prozent – in dem südlichen Kanton erreicht die Arbeitslosigkeit hohe Werte. Die beiden großen urbanen Zentren im Land jedoch, Zürich und Genf, lehnten die „Abschottungsinitiative“ ab. Auch die französischsprachigen Regionen der Eidgenossenschaft sagten Nein.

Der Politologe Michael Hermann brachte es auf den Punkt: „Die Schweiz ist gespalten.“

Wie reagiert die EU?

Während die EU-Kommission diplomatisch reagierte, wurden im Europaparlament direkt nach Bekanntgabe des Ergebnisses harte Konsequenzen gefordert. „Wir müssen der Schweiz gegenüber deutlich machen, dass sie Zugang zum Binnenmarkt nur behalten kann, wenn sie die Freizügigkeit akzeptiert“, sagte der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab, der auch im zuständigen Ausschuss des Parlaments sitzt. Die Eidgenossen hätten sich „mit diesem Ergebnis erst einmal von Europa verabschiedet. Die bilateralen Abkommen müssen nunmehr gekündigt werden.“ Auch die Sozialdemokraten im EU-Parlament unterstützen diese harte Haltung. „Die Schweiz hat lange von der Einwanderung aus EU-Staaten profitiert“, teilte ihr Fraktionschef Hannes Swoboda aus Österreich mit: „Wenn die Schweiz diese begrenzt, wird sie nicht mehr auf die wirtschaftlichen und handelspolitischen Vorteile zählen können, die sie jetzt genießt. Rosinenpickerei gibt es mit uns nicht.“

Ausdrücklich begrüßt wurde das Schweizer Votum auf EU-Ebene nur von Kräften am rechten Rand des politischen Spektrums. „Das sind wunderbare Nachrichten für die nationale Souveränität und Freiheitsfreunde in ganz Europa“, sagte der Europaabgeordnete Nigel Farage, der auch Chef der europaskeptischen britischen Unabhängigkeitspartei Ukip ist.

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