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Politik: Schwindel erregend

Von Moritz Döbler

Es ist Zeit, zornig zu werden. Ein großes, ein wichtiges Thema, das alle ganz persönlich betrifft, droht, im Koalitionsmurks, in den Halbheiten eines kleinen gemeinsamen Nenners unterzugehen. Die Rede ist von der Gesundheitsreform. Nur wenige verstehen, was auf dem Tisch liegt. Niemand kann die Folgen annähernd exakt beziffern.

Und doch muss es jetzt, mitten im Fußballtrubel, plötzlich ganz schnell gehen. Am Sonntag sollen die Eckpunkte der Reform stehen, und dann ist schon fast Sommerpause. Wie groß die Aufgabe ist, war schon lange, schon weit vor den ersten Wahlkampftagen im vergangenen Jahr klar. Wie klein die Antworten ausfallen, zeigte sich in den letzten Wochen.

Der ideologische Gegensatz von Bürgerversicherung und Kopfpauschale hat sich wundersam verflüchtigt, ein neuer Fonds soll nun das Allheilmittel sein. Offensichtlich geht es der Koalitionsregierung vor allem darum, mehr Geld ins System zu pumpen. Keine Rede ist mehr davon, welche Leistungen die Krankenkassen auch in Zukunft noch bezahlen sollen und welche nicht. Keine Rede ist mehr von Grundsätzlichem. Stattdessen werden Milliarden hin und her geschoben, dass einem Hören und Sehen vergeht.

Wie wenig das funktioniert, wie wenig die Riesenzahlen am Ende stimmen, hat eine andere Großreform gezeigt: die des Arbeitsmarkts. Das Hartz-Projekt, ebenfalls von SPD und Union gemeinsam beschlossen, hat neue Milliardenlöcher aufgerissen, die Probleme des Arbeitsmarkts aber nicht annähernd gelöst.

Die Gesundheitsreform könnte ein ähnliches Fiasko werden, wiederum von einer breiten parlamentarischen Mehrheit verabschiedet. „Es geht in keinem Fall darum, den Bürgern in die Tasche zu greifen“, sagt die Bundeskanzlerin. Das klingt beruhigend, wird sich aber als falsch herausstellen. Steuern sollen für die Gesundheitsreform steigen, dafür die Krankenkassenbeiträge sinken. Eine hübsche Gleichung; aufgehen wird sie nicht, weil so eine Gleichung noch nie aufgegangen ist. Sicher, die Steuern werden steigen – aber dann wird sich flugs ein neues Kassendefizit auftun, womit der Traum von den dauerhaft und deutlich sinkenden Beiträgen bis zur nächsten Gesundheitsreform verschoben wäre.

Nicht gelogen, aber mindestens ein bisschen geschwindelt ist Merkels Absage an die SPD-Idee, dauerhaft 35 bis 45 Milliarden Euro jährlich aus Steuereinnahmen in das System zu pumpen. „Das kann man vergessen“, sagt sie bastamäßig. Vergessen? Na ja, nicht ganz. 16 bis 24 Milliarden sollen es jetzt sein – das ist ein gradueller, aber kein prinzipieller Unterschied.

Nun liegt es in der Logik der aktuellen Debatte über Demografie, die kostenfreie Versicherung von Kindern über Steuermittel – also solidarisch durch alle Bürger – zu finanzieren. Das kann man durch eine regelmäßige Überweisung des Bundes an die Krankenkassen sicherstellen. Aus allen anderen Aufgaben des Gesundheitssystems aber sollte der Steuerzahler herausgehalten werden.

Statt vor allem über die Einnahmen des Gesundheitswesens nachzudenken, müssen die Ausgaben stärker ins Blickfeld rücken. Statt eine neue staatliche Bürokratie aufzubauen, muss es zu mehr Wettbewerb zwischen den Kassen kommen. Und weil das eine große Herausforderung ist, kommt es zwar auf ein paar Tage oder sogar Wochen nicht mehr an. Aber viel mehr Zeit dürfte nicht nötig sein. Denn die Lösungen liegen allesamt auf dem Tisch. Gefragt sind beherzte Entscheidungen, nicht faule Kompromisse.

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