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Caberta

© Malzkorn

Scientology: Die Fluchthelferin

"Getarnte Teufel" nennt sie die Scientologen. Ursula Caberta unterstützt Aussteiger aus der Psycho-Sekte beim Weg zurück ins Leben. Dafür wird sie bedroht und beschimpft.

Es kommt nur noch selten vor, dass Ursula Caberta von Scientologen nicht gleich erkannt wird, aber neulich erst hatte sie wieder so einen Fall. Es war in der Hamburger Innenstadt, direkt nach der Arbeit. Auf der Mönckebergstraße kam ihr eine junge Frau entgegen und drückte ihr eine Scientology-Broschüre in die Hand. Das Material ist dazu gedacht, neue Mitglieder zu werben. Dass die Organisation in Hamburg keine Passanten auf der Straße ansprechen darf, daran hielt sich die Frau nicht. Caberta hätte die Ordnungswidrigkeit melden können. Doch sie beließ es dabei, sich kurz namentlich vorzustellen. Der Effekt war derselbe. Die junge Frau packte schnell ihre Sachen zusammen und verschwand. „Irgendwann habe ich auch mal Feierabend“, sagt Ursula Caberta – und muss selbst ein wenig lachen. „Offenbar haben die nur schlechte Fotos von mir.“

Das wäre erstaunlich. Immerhin ist Ursula Caberta Deutschlands profilierteste Expertin in Sachen Scientology. Seit 15 Jahren leitet sie die Hamburger „Arbeitsgruppe Scientology“, und für Mitglieder der Psycho-Sekte ist die Einrichtung der Innenbehörde so etwas wie der größte anzunehmende Feind. Mit ihm in Kontakt zu treten gilt für Mitglieder intern als Schwerverbrechen. Die Arbeitsgruppe berät Aussteiger und dokumentiert das Wirken der Organisation. Die Erkenntnisse haben dazu beigetragen, dass der Verfassungsschutz Scientology als demokratiefeindlich einstuft. Die Beobachtung läuft seit zehn Jahren.

Zudem hat sich Cabertas Gruppe über die Grenzen Hamburgs hinaus einen Namen gemacht. Zu ihrem „Schwarzbuch Scientology“, das sie morgen im Rathaus vorstellt (siehe auch die Rezension auf Seite 7), schrieb Bayerns Innenminister Günther Beckstein das Vorwort. Und vor knapp zwei Wochen begaben sich die beiden Stiefkinder der Berliner Scientology-Direktorin in Cabertas Obhut. Die 14-jährige Tochter floh mit ihrem 25-jährigen Bruder, weil sie befürchtete, in ein Scientology-Internat nach Dänemark geschickt zu werden. Beide haben inzwischen schriftlich ihren Ausstieg erklärt.

Wo die Geschwister sich aufhalten oder wie es in dem Fall weitergeht, darüber will Caberta allerdings nicht sprechen. „Kein Kommentar“, sagt sie gleich zu Beginn des Gesprächs. Sie will die beiden schützen. Sie sagt es freundlich, aber sehr bestimmt. Verglichen mit der Hektik der vergangenen Tage ist es hier, im dritten Stock des ehrwürdigen Backsteinbaus nahe der Elbe und der Speicherstadt, ungewöhnlich ruhig. Ein paar Mitarbeiter laufen vorbei, Telefone aber klingeln selten. Das war zuletzt anders. „So einen Ansturm der Presse habe ich noch nie erlebt“, sagt einer ihrer Kollegen. Ihr neues Buch und der Ausstieg der beiden Berliner Geschwister haben für Aufregung gesorgt.

Für Scientology kommt der Fall einer PR-Katastrophe gleich. Der Arbeitsgruppe in Hamburg hingegen bringt er zusätzliche Unterstützung in der Öffentlichkeit. Das ist wichtig, gerade jetzt. Im vergangenen Jahr erklärte Scientology Europa zur neuen Kampfzone. Die US-Führung der Organisation ist unzufrieden mit den Erfolgen der europäischen Kollegen, also müssen wieder mehr Mitglieder geworben werden. Die Anfang des Jahres eröffnete Berliner Zentrale an der Otto-Suhr-Allee, 4000 Quadratmeter groß, ist ein wichtiger Baustein dieser Expansion. Hinzu kommt, sagt Caberta, dass die Menschen schnell wieder vergessen, wie bedrohlich Scientology ist. „Ich weiß nicht, warum, aber ich habe das Gefühl, dass wir mit unserer Aufklärungsarbeit gerade wieder bei null anfangen.“ Vor sechs Jahren klang sie noch anders. „Scientology wird in Deutschland keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen“, sagte sie damals. Diese Aussage würde sie heute nicht mehr unterschreiben.

Bei der Gründung der Arbeitsgruppe war sie optimistischer. Damals, 1992, gab die Diplom-Volkswirtin und rechtspolitische Sprecherin der SPD ihr Bürgerschaftsmandat ab und begann, ihre Einrichtung aufzubauen. Drei, vier Jahre vielleicht, glaubte sie, würde es dauern, bis der Prozess abgeschlossen wäre. Analysieren und dokumentieren, die Ergebnisse den anderen Bundesländern vorstellen – damit müsste es eigentlich getan sein. Dann wüsste man, wie Scientologen ticken. Und keiner würde sich mehr zu einem Gespräch oder Test in eine „Org“ einladen lassen, wie Scientologen ihre Dependancen nennen. Aus dieser Überlegung heraus entstand auch die provisorische Bezeichnung ihrer Truppe als Arbeitsgruppe.

Nur wenige Tage nach der Eröffnung des Büros ahnte sie, dass die Aufgabe größer sein würde als erwartet. Ihre Nummer war kaum bekannt, trotzdem klingelte das Telefon ohne Unterbrechung. Scientologen und Aussteiger meldeten sich, sie wollten ihre Geschichte erzählen und von ihren Erfahrungen berichten. Und sie brachten Unterlagen vorbei, Bücher, Zertifikate, Namenslisten. Das ist heute noch so. Mancher Aussteiger packt ein paar Kisten, setzt sich ins Auto und stellt sie Ursula Caberta vor die Tür. Es ist ein symbolischer Akt, ein erster wichtiger Schritt der Abnabelung. Häufig aber reicht er nicht aus.

„Mit den Füßen draußen zu sein ist das eine. Der Kopf braucht länger“, sagt Caberta. Wie lange, das sei individuell verschieden. Es hängt von der Dosis ab, die Scientology seinen Mitgliedern verabreicht. Sie musste selbst lernen, wie die Mechanismen greifen, die aus klugen Ärzten oder glücklichen Familienvätern willige Befehlsempfänger machen. Ihre Erkenntnis: Jeder ist beeinflussbar. Irgendeinen Punkt gibt es immer, an dem Scientology durchdringt und sagt: Du bist unglücklich. Du brauchst Hilfe.

Voraussetzung für ihre Beratung ist daher vor allem eine Eigenschaft: zuhören können. Und dann begreifen, welche Probleme gelöst werden müssen. Häufig sind Mitglieder verschuldet. Sie haben ihr Einkommen und ihre Ersparnisse in die zahlreichen, kostspieligen Auditings, Lernmaterialien und Kurse gesteckt, um das versprochene Ziel zu erreichen: den erlösenden Zustand als „Operierender Thetan“, befreit von jeglichen irdischen Problemen. So wie es der 1986 verstorbene Scientology-Gründer L. Ron Hubbard erdacht hat.

Die Arbeitsgruppe steht als Mittlerin im engen Kontakt zur Handelskammer und zur Schuldnerberatung. Oder sie versucht auf dem kurzen Weg, Wohnungen zu vermitteln. Andere Hilfe kommt beispielsweise von Zeitungslesern, die von Einzelfällen erfahren und anfragen, was sie tun können. Über die Jahre ist ein Netzwerk von Helfern entstanden.

Ob und mit welchem Tempo die Arbeitsgruppe hilft, hängt einzig von den Betroffenen ab. Das sei wichtig, sagt Caberta, das könne man nicht vorher festlegen. „Manche Kontakte ziehen sich über Jahre hin. Die rufen mal an, melden sich dann plötzlich nicht mehr oder zögern lange, ob sie wirklich aussteigen sollen.“ Mitunter wissen die Mitarbeiter der Arbeitsgruppe erst nach etlichen Gesprächen, dass der erste Kontakt der Anfang des Ausstiegs war. Die Scham der Betroffenen ist in jedem Fall groß. Geduld und Offenheit sind gefragt, immer wieder.

Wie viele Scientologen tatsächlich aussteigen, ist unklar. Caberta geht davon aus, dass sich nur ein kleiner Teil der deutschen Mitglieder – der Verfassungsschutz schätzt die Zahl auf 5000 bis 6000, Scientology spricht von bis zu 30 000 – bei ihr meldet. Die Mehrheit versucht es aus eigener Kraft. Die Erfolge ihrer Arbeit liest die Arbeitsgruppe nicht an Statistiken ab, sondern zum Beispiel an durchgefochtenen Gerichtsurteilen. In Hamburg gilt die Organisation, die sich als Kirche oder Religionsgemeinschaft ausgibt, als Gewerbebetrieb, der Geld erwirtschaftet. Eine Folge: Scientology darf, wie jedes andere Unternehmen auch, Passanten nicht auf der Straße ansprechen. Andere Urteile bestätigten das totalitäre, gegen das Grundgesetz gerichtete Wirken. Und vor dem Bundesarbeitsgericht gelang es einem ehemaligen hauptamtlichen Scientologen, Lohnforderungen gegen die Organisation durchzusetzen.

Andere Rückmeldungen gehen per Post ein. Drohbriefe und Aufforderungen, ihren Job aufzugeben, erhält Ursula Caberta regelmäßig. Beschimpft wird sie auch. Erst kürzlich hat sie zwei Strafanzeigen gegen unbekannt gestellt, weil im Internet beleidigende Äußerungen zu finden waren. Und gerade in den vergangenen Tagen versuchten Anwälte von Scientology mehrmals, die Auslieferung ihres neuen Buches zu stoppen oder zumindest einzelne Passagen streichen zu lassen. Erfolglos, bisher.

Ob die Anfeindungen sie noch beeindrucken? Ursula Caberta zieht kurz an ihrer Dunhill, rauft sich die Haare und blickt ein wenig gelangweilt aus dem Fenster. Die Frage bekommt sie häufig gestellt. „Es gehört zum Job“, sagt sie schließlich. Aber natürlich sei das nicht angenehm. Einmal haben Scientologen eine ehemalige Freundin aus ihrer Jugendzeit aufgespürt und sich als Detektive ausgegeben, um mehr zu erfahren. Caberta wusste nicht einmal mehr, wie die Frau heißt. Scientology fand sie trotzdem. Und vor sieben Jahren, als Caberta privat für eine Woche nach Florida flog, um Freunde zu besuchen und Scientology-Gegner zu treffen, musste sie vorzeitig wieder abreisen. Sie konnte ihr Hotelzimmer nicht mehr verlassen. Vor der Tür hatten sich Scientologen postiert und skandierten: „Nazi criminal, go back to Germany.“ „Das sind schon sehr spezielle Erfahrungen“, sagt Caberta lakonisch. In die USA fährt sie seitdem nicht mehr.

Ans Aufgeben hat sie trotz der Bedrohungen aber noch nie gedacht. Im Grunde, sagt sie, hat sich Scientology die Arbeitsgruppe mit ihrem Verhalten selbst eingebrockt. Das war schon in der Anfangszeit so, Ende der 80er, als die Fraktionen in der Hamburger Bürgerschaft erstmals ernsthaft prüften, ob die Politik aktiv werden müsse. Schon damals versuchte Scientology, offensiv Einfluss zu nehmen. „Mitglieder der Organisation nahmen bei Beratungen im Rathaus teil und bedrohten Abgeordnete.“ Einschüchtern ließ sich aber keiner – dafür war der Konsens über die Fraktionen hinweg zu groß. Aus den Untersuchungen und Ermittlungen in der Zeit ging dann 1992 die Arbeitsgruppe Scientology hervor. Und Caberta, die nach ihrem Austritt aus der SPD und einer kurzen Mitgliedschaft in der WASG heute parteilos ist, wurde gefragt, die Leitung der Einrichtung zu übernehmen.

Den politischen Konsens von damals wünscht sie sich auch heute, wenn es darum geht, Scientology zu bekämpfen. Sie fordert mehr staatliche Einrichtungen in den einzelnen Bundesländern, ideal wäre eine dem Bundesinnenminister unterstellte Abteilung. „Unsere Erfahrungen hier in Hamburg zeigen es. Wenn es mehr Anlaufstellen gäbe, würden viel mehr Mitglieder von selbst kommen, um sich beraten zu lassen oder ganz auszusteigen.“ Ein entsprechender Bericht der Enquetekommission mit Handlungsempfehlungen liegt seit neun Jahren vor. „Wenn man es politisch wollte, könnte eine bundesweite Stelle schnell geschaffen werden.“

Effektiver aber sei es, ein Verbotsverfahren gegen die Psycho-Gruppe einzuleiten. Das müsse das eigentliche Ziel sein, sagt Ursula Caberta. Das vorliegende Material reiche dafür aus. Sie tat sich lange schwer mit dieser Forderung. Öffentliche Aufklärung würde genügen, glaubte sie jahrelang. Heute sagt sie: „Scientology wird immer dreister. Wir schaffen es nicht mehr, wir müssen Scientology verbieten. Mit ihren Desinformationskampagnen gelingt es ihnen immer wieder, als getarnter Teufel im Engelskostüm aufzuerstehen.“

Nur manchmal hat sie auch Mitleid mit den Scientologen. Wenn sie ihnen beim Anwerben neuer Mitglieder begegnet, zum Beispiel. „Die meisten Mitglieder in Deutschland sind Opfer für mich. Sie geraten auf irgendeinem Weg in das System und müssen dann funktionieren.“ Der Druck sei immens. Vor allem, wenn man auf der Straße zusätzlich noch dem Feind begegnet. Die junge Frau auf der Mönckebergstraße jedenfalls wird sich Ursula Cabertas Gesicht gemerkt haben.

Marc Winkelmann

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