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Demonstranten halten ein „Free Carola“-Schild bei einer MAhnwache in Köln für die Kapitänin der „Sea Watch 3“ hoch.

© Federico Gambarini / dpa / AFP

Seenotrettung im Mittelmeer: Die Kriminalisierung der Helfer geht immer weiter

Carola Racketes Verhaftung ist nur der jüngste Fall. Schon seit Jahren wird die Arbeit der Seenotretter in Europa mit juristischen Mitteln behindert.

Auch wenn Carola Rackete langsam zum Gesicht eines europäischen Problems wird: Sie ist nicht die einzige, die wegen ihres Engagements für Menschenleben Probleme mit Europas Justiz bekommen hat. Im Mai wurde Claus-Peter Reisch, der Kapitän der „Lifeline“  auf Malta zu 10.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Die Kapitänin der Juventa, Pia Klemp, und ihre Crew erwarten noch im Sommer ihre Anklage auf Sizilien. Und bereits vor fünfzehn Jahren geriet der Lübecker Kapitän der Cap Anamur Stefan Schmidt vor Gericht, weil er 37 Schiffbrüchige aus dem Meer gezogen hatte. Erst 2009 wurde er freigesprochen.

Die Vorwürfe sind viele: Mal werden die Retter, wie Schmidt, juristisch selbst zu Schleusern, mal gelten die Ermittlungen, wie im Fall von Rackete, angeblicher Beihilfe zur illegalen Migration, unerlaubtem Eindringen in nationale Hoheitsgewässer oder Widerstand gegen ein Kriegsschiff. Claus-Peter Reisch wurde vorgeworfen, die „Lifeline“ sei nicht ordnungsgemäß registriert gewesen.

Das, worum es eigentlich geht, ist nie Teil von Ermittlungen oder Anklage: Die Rettung von Menschen. Da wäre das Recht auch klar auf Seiten der Angeklagten. Der „Verband Deutscher Kapitäne und Schiffsoffiziere“ nahm dazu dieser Tage Stellung, nachdem Rackete festgenommen wurde: Es sei „unstrittig, dass Seeleute immer verpflichtet waren und verpflichtet sein werden, Menschen aus Seenot zu retten“. Selbst wer den Schiffbruch aus Leichtsinn provoziere, werde an Bord genommen.

Inzwischen aber, so der Verband, würde von Seeleuten erwartet, die „Schiffbrüchigen im Mittelmeer in solche erster und zweiter Klasse einzuteilen“. Auch wenn es ums Anlanden gehe, habe es derlei nie zuvor gegeben: „Es ist kein Fall bekannt und es wäre unvorstellbar, dass ein unbekannter Segler, der nach dem Untergang seiner Yacht ohne Ausweispapiere geborgen würde, nicht an Land gebracht werden dürfte.“

Auswanderung ist ein Grundrecht, Einwanderung aber nicht

Mit Migranten sieht es da schon anders aus: Zwar sieht etwa die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ausdrücklich Auswanderung als Grundrecht vor, ein Recht auf Einwanderung in einen andern Staat erwähnt sie aber nicht. Und immer mehr Gesetze in Europa behandeln Einwanderung gar wie ein Delikt.

So wird, wenn es um die Anlandung von Geretteten geht, inzwischen jene „Schutzlücke“ breiter, die Retter und Juristinnen beklagen. Pia Klemp, Kapitänin der Juventa, sagte im Frühjahr dem Tagesspiegel: „Das Seenotrettungsrecht ist nicht dafür ausgelegt, mit Leuten umzugehen, die niemand haben will.“

Dafür wird auch die Rettung rechtlich umgedeutet, wie kürzlich Nicola Canestrini erläuterte, der Anwalt der Juventa-Crew: Dreh- und Angelpunkt der Argumentation der Anklage, soweit er von ihr weiß, – die Anklageschrift ist auch nach einem Jahr noch nicht fertig – sei der Unterschied zwischen „Rettung“ und „Übergabe“. Die Frage ist also, ob die Besatzung der Juventa wirklich Menschen aus dem Meer fischte, die sie in Seenot entdeckte, oder ob sie sie gezielt von Schleppern übernommen habe. Canestrini sieht darin ein echtes Problem, denn natürlich seien die Schiffe der NGOs in Gegenden des Mittelmeers unterwegs, wo Schiffbrüchige zu vermuten sind. Gegenden, die andere, Tanker, militärische und Handelsschiffe, inzwischen immer öfter meiden, weil sie Ärger und massive wirtschaftliche Verluste fürchten, wenn sie Schiffbrüchige aus dem Meer holen.

Italien macht Druck auf Panama, den Rettungsschiffen die Flagge zu entziehen

Dies ist nur ein Mittel zur Verhinderung und Kriminalisierung von Seenotrettung. Dafür haben Europas Regierungen inzwischen viele Ansatzpunkte gefunden, die anders als die Festnahme einer Kapitänin keine Schlagzeilen machen. Im Bremer Weser-Kurier gab kürzlich der Reeder Christoph Hempel darüber Auskunft, der Inhaber der Reederei Jasmund Shipping, die das frühere Vermessungsschiff  „Aquarius“ an die Seenotrettungorganisation SOS Méditerranée vermietet hatte. Retten konnte die Aquarius nicht mehr, nachdem ihr mehrfach die Flagge entzogen wurde. Hempel spricht offen von Druck Italiens auf Panama: Rom drohte demnach, auch andere Schiffe unter panamaischer Flagge würden in italienischen Häfen nicht mehr anlanden können, wenn das Land der Aquarius nicht die Flagge entziehe.

Doch Reeder Hempel bekommt seit zwei Jahren auch keine neuen Kunden mehr. Dabei gäbe es viele, die sein Schiff gern wieder für Vermessungsarbeiten chartern würden, sagte er dem Weser-Kurier. Offensichtlich trügen die Drohungen des italienischen Innenministers Matteo Salvini Früchte, der ankündigte, die Aquarius werde auch künftig Schwierigkeiten bekommen: „Nachdem im vergangenen Jahr klar war, dass die Aquarius nicht mehr als Rettungsschiff für Geflüchtete tätig sein wird, haben wir diverse Häfen im Mittelmeer zwecks eines Liegeplatzes angefragt. Alle Hafenagenten lehnten jedoch mit der Begründung ab, sie hätten keinen Platz im Hafen oder selbst keine freien Kapazitäten, sich um das Schiff zu kümmern.“ Das habe er noch nie erlebt und auch Reederkollegen nicht. Normalerweise sei jeder Hafenagent froh über diese Einnahmen, sagte Hempel. „Ich halte das für vorgeschobene Gründe, um den Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, die vielleicht im Zusammenhang mit der Aquarius entstehen könnten.“ Einige seiner Kapitäne, die das Schiff einst gesteuert hätten und inzwischen auf anderen Schiffen arbeiteten, würden vermehrt herausgewinkt und kontrolliert: „Ganz offensichtlich sind sie auf eine Beobachtungsliste gesetzt worden.“ Er habe sie deshalb „angewiesen, vorsichtshalber nicht nach Italien zu fahren“.

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