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Innenminister Horst Seehofer (CSU) ist nun bereit, der Seenotrettung politisch zu helfen – doch das eine große Aufgabe.

© Jussi Nukari/Lehtikuva /AFP

Seenotrettung in der EU: Horst Seehofers neue Milde

Einst riskierte Seehofer in der Flüchtlingsfrage den Bruch der Union. Nun engagiert er sich für eine EU-Regelung zur Seenotrettung. Was steckt dahinter?

Sommer 2018, großes politisches Drama: Bundesinnenminister Horst Seehofer fordert, dass anderswo in der EU registrierte Asylbewerber an der deutschen Grenze abgewiesen werden sollen. Kanzlerin Angela Merkel stellt sich dagegen, sie will eine EU-Lösung. Doch die EU-Vereinbarungen, die sie zur Eindämmung der Migration schmiedet, reichen dem CSU-Vorsitzenden nicht. Zwischenzeitlich droht Seehofer sogar mit Rücktritt, die Unionsgemeinschaft von CDU und CSU steht vor dem Bruch.

Sommer 2019, das Kontrastprogramm: Immer wieder irren Schiffe privater Seenotretter mit Flüchtlingen an Bord durchs Mittelmeer. Seehofer kritisiert seinen italienischen Amtskollegen Matteo Salvini dafür, dass er die italienischen Häfen für sie geschlossen hat. Als das deutsche Rettungsschiff „Alan Kurdi“ in Malta anlegt, bietet Seehofer die Aufnahme von Geflüchteten an. Seehofer setzt das Thema beim Innen- und Justizministertreffen in Helsinki auf die Tagesordnung. Er will einen Mechanismus, damit sich nicht bei jedem Schiff ein „quälender Prozess“ bei der Verteilung der Flüchtlinge entwickelt. Es geht um eine „Koalition der Hilfsbereiten“, die Seehofer mit seinem Kabinettskollegen, Außenminister Heiko Maas (SPD), anstrebt.

Selbst Parteikollegen scheinen irritiert angesichts der neuen Töne, die vom Bundesinnenminister zu vernehmen sind. Seehofer, der sich vergangenes Jahr über die Abschiebung von 69 Migranten an seinem 69. Geburtstag freute, galt bislang nicht als Verfechter einer humanitären Lösung in der Seenotrettung. Seehofer weigerte sich 2018 sogar, Gerettete vom Seenotrettungsschiff „Lifeline“ in Deutschland aufzunehmen – und das obwohl mehrere Bundesländer sich bereit erklärt hatten. Zwischen Libyen und Südeuropa dürfe es kein „Shuttle“ geben, sagte er da.

Mit einer Lösung wird erst im September gerechnet

Doch nun ist Seehofer bereit, zu helfen – nur ist das ein dickes Brett. Die EU-Regierungen haben sich weder in Helsinki noch in Paris auf jene „Koalition der Hilfsbereiten“ einigen können, die im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge künftig übernimmt und untereinander verteilt. Immerhin vermeldete am Montagabend der französische Staatspräsident ein Zwischenergebnis: 14 der 28 EU-Mitglieder seien im Grundsatz dazu bereit. Acht von ihnen hätten dies auch förmlich zugesagt.

Macron nannte neben seinem Land, Deutschland, Finnland, Luxemburg, Portugal, Litauen, Kroatien und Irland. Die anderen sechs wollen noch Grenzlinien für ihr Engagement einziehen, berichtete die französische Tageszeitung „Le Monde“ unter Berufung auf Regierungskreise. Mit einer Lösung wird erst im September gerechnet. Der Mechanismus soll möglichst greifen, sobald sich ein Schiff mit Schiffbrüchigen der europäischen Seegrenze nähert.

Dass die De-facto-Koalition dennoch so schwer in eine dauerhafte Form zu bringen ist, hat viel mit Italiens Innenminister Salvini zu tun. Noch 2019 sah es so aus, als könnten Seehofer und Salvini politische Verbündete werden und sich in der Migrationspolitik abstimmen. Doch das Verhältnis ist stark abgekühlt. Laut „Spiegel“ will Seehofer erst jetzt entdeckt haben, wo der Italiener steht: „Ich kenne ihn aus mehreren Begegnungen, aber unsere Wege haben sich getrennt, weil er sich sehr weit nach rechtsaußen bewegt hat.“ Auf einen Brief Seehofers mit der Bitte, die Häfen wieder zu öffnen, antwortete Salvini: „Absolut nicht“.

Italien und Malta sind die Hauptziele der zentralen Mittelmeerroute für die aus Nordafrika startenden Flüchtlinge. Beide haben mit der Drohung, ihre Häfen weiter geschlossen zu halten, ein Blockademittel in der Hand. Sie wollten dem Vernehmen nach sicherstellen, dass nicht nur die Passagiere der privaten Seenotretter auf den EU-Norden verteilt werden, sondern auch die anderen, die es ohne Schiffbruch nach Europa schaffen und dort stranden. In Italien kommt Berechnungen zufolge nur jeder zehnte angelandete Migrant von einem NGO-Schiff.

Salvini dürfte an einer Änderung des Status quo wenig Interesse haben

Italien und Malta haben in einem Brief an die EU zudem verlangt, dass auch andere Länder ihre Häfen öffnen sollten – gemeint ist in erster Linie Frankreich, das zwar Gastgeber der Krisentreffen ist, aber sich selbst gegen Migranten abschottet. Auch Deutschland, das sich jetzt für einen Verteilmechanismus starkmacht, hat sich bisher grundsätzlichen Änderungen am EU-Asylsystem verweigert. Rom wie La Valletta fürchten zudem, dass die EU-Partner ihre Zusagen nicht einhalten und die Menschen doch nicht sofort nach Norden verteilt werden. Nicht ohne Grund: Auf Malta mussten Gerettete schon wochenlang trotz Zusagen auf die Aufnahme in andere Ländern warten.

Es ist anzunehmen, dass Salvini an einer Änderung des Status quo wenig Interesse hat. Mit seinem Einfahrtverbot für Seenotretter in italienische Häfen produziert er genau jene Bilder, die die anderen EU-Mitglieder fürchten. Salvinis Partei hingegen profitiert: Die radikale Lega, die bei der Parlamentswahl im Frühjahr 2018 noch 17 Prozent einfuhr, steht bei einer Zustimmung von 60 Prozent. Auch viele, die in Italien nicht rechts wählen, sind wütend, dass die EU dem Süden das erste Management der Flucht aufbürdet.

Statt eines Verbündeten ist Salvini nun also zum Gegenspieler Seehofers geworden. Aber woher rührt Seehofers Wandlung? Ist es überhaupt eine?

Von vielen seiner Prinzipien ist Seehofer schließlich nicht abgerückt. Er plädiert weiter für einen besseren Schutz der Grenzen – aus seiner Sicht sind weder die europäischen noch die Binnengrenzen ausreichend geschützt. Trotzdem ist seine neue Positionierung in der Seenotrettung auffällig. Einer der wichtigsten Faktoren dürfte sein: Er ist nicht mehr CSU-Vorsitzender. Er muss sich nicht mehr als Hardliner profilieren, hat keine Machtkämpfe in seiner Partei mehr auszufechten.

Die andere Erklärung ist: Er kehrt zurück zu seinen Wurzeln. Lange bevor er in der Migrationspolitik den Law-and-Order-Mann markierte, gab es eine Zeit, in der Seehofer als „Herz-Jesu-Sozialist“ verspottet wurde – wegen seiner Leidenschaft für die Sozialpolitik. In Bezug auf die Migrationspolitik predigte er stets, diese müsse von Ordnung, aber auch von Humanität gegenüber Schutzbedürftigen geprägt sein. Nach 2015 stand für ihn offensichtlich die Ordnung im Vordergrund. Vielleicht bekommt für Seehofer nun die Humanität wieder mehr Gewicht. Vertreter der Kirche beispielsweise haben ihn schon länger bekniet, etwas gegen den Tod im Mittelmeer zu tun.

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