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Männer und Frauen, wie sie mal waren? Schon Arnold Schwarzenegger (l) und Sally Field (r) zeigen in diesem Bild eine ironische Distanz zu ihren Rollen. Der Neuen Rechten geht das ab.

© dpa

Sehnsucht nach Männlichkeit: Wie wir heldenhafter werden können

Die Neue Rechte hat Angst vor dem Verlust von „Wehrhaftigkeit“. Dafür wird sie von Liberalen belächelt. Die Begriffe mögen falsch sein, meint Armin Lehmann. Die Diagnose ist es nicht.

Nach einer Lesung in der Bibliothek für Konservatismus erzählte kürzlich im kleinen Kreis einer der Verantwortlichen der Wochenzeitung „Junge Freiheit“, Sprachrohr der neuen Rechten, wie verzweifelt er sei. Er schaffe es nicht, dem Sohn das „Soldatische“, also das Männliche, beizubringen – weil man in „postheroischen Zeiten“ lebe.

Ebenfalls kürzlich lachte die halbe Nation darüber, als der „Spiegel“ den Sohn eines AfD-Politikers zitierte, der ausplauderte, wie sehr der Vater sich abmühe, ihn nicht „verweichlichen“ zu lassen. Er habe ihn auch geschlagen – ein Vater-Choleriker im Alltag. Der Vater reiste demnach mit dem Sohn nach Berlin-Neukölln, um ihn abzuschrecken und abzuhärten von einer, wie es im Pegida-Jargon heißt, „links-grün versifften Gesellschaft“, in der Mann nicht mehr weiß, wer er ist.

Die Neue Rechte fordert mehr Wehrhaftigkeit

Wo Vertreter der neuen Rechten auftreten, ob bei AfD, Pegida oder Identitären sowie in Netzwerken und Publikationen, spielt der Topos der untergehenden Männlichkeit eine Rolle. Der Kampf für die „Männlichkeit“ ist im Kern aber auch ein Kampf gegen etwas: gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter und den Pazifismus der liberalen Gesellschaft. Beides will die Neue Rechte diskreditieren, weil sie glaubt, dass die Gesellschaft ihre Wehrhaftigkeit verliert, womit explizit Kampfbereitschaft gemeint ist.

Es geht der Neuen Rechten aber nicht nur um eine gesellschaftliche Fähigkeit, sondern um die Wiederherstellung von Macht und „Geschlechterordnung“. Der Rückkehr der ersehnten Wehrhaftigkeit folgt die alte Hierarchie von Mann und Frau. Beim thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke etwa hört sich das so an: „Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken. Denn nur, wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft. Und nur, wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft.“ In der „Blauen Narzisse“, einem neurechten Jugendmagazin, heißt es: „Heute versteckt sich der deutsche Großstadtmann hinter seiner Liebsten, da er ... vergessen hat, dass die Verteidigung ... seiner Verantwortung obliegt.“

Die Neue Rechte führt in ihrer Angst vor einer verlorenen Geschlechteridentität einen Feldzug gegen jede Form der Verunsicherung eines festen Geschlechterschicksals. Darin, schreibt Volker Weiß, einer der besten Analytiker der Neuen Rechten, wurzele die Todfeindschaft gegen alles, was diese Kategorien infrage stelle, sei es „der lebensplanerische Ausbruch aus den festgelegten Rollen, Trans- und Homosexualität oder eben die Hinterfragung ihrer Geschlechterwirklichkeit durch die Gender-Theorie“.

Die liberale Mehrheitsgesellschaft stellt sich dem zu Recht entgegen

Dem stellt sich die liberale Mehrheitsgesellschaft zu Recht entgegen. Die Neue Rechte will zurück zum biologisch festgelegten Unterschied zwischen Mann und Frau, zu der Vorstellung, Männer und Frauen würden mit bestimmten Charaktermerkmalen geboren und zu der hierarchischen Ordnung, die daraus abgeleitet wurde. Die Forderung nach mehr gesellschaftlicher „Wehrhaftigkeit“ erscheint der emanzipatorisch geschulten Gesellschaft deshalb schon allein wegen der Verknüpfung von „Wehrhaftigkeit“ und „Männlichkeit“ als Rückschritt und führt zu Abwehrreflexen.

Und dennoch berührt die Klage vom Verlust der „Wehrhaftigkeit“ der Gesellschaft einen wunden Punkt liberaler, postmoderner Gesellschaften, eine Wahrheit, die wir nicht sehen wollen.

Die Entwicklung einer in jeder Hinsicht diversen Gesellschaft hat den Blick auf das Land individualisiert und auf eigene Interessen reduziert: Man zieht sich in viele Minderheitsgruppen zurück, in die diverse, gegenderte Gesellschaft, in der die Mitglieder nur für diese Minderheit eintreten, aber nicht mehr für allgemeine, grundsätzliche Werte und Überzeugungen. Die Gleichberechtigung der ausdifferenzierten Geschlechter und anderer Minderheiten führt zu einem Nebenher an Kleinstinteressen, aber nicht zu kollektiven Überzeugungen. „Wehrhaftigkeit“ und Kampf gibt es für Unisextoiletten. Siege bestehen etwa darin, dass Facebook die Möglichkeit eröffnet, bei der Anmeldung unter 60 verschiedenen Geschlechtern zu wählen.

Die diverse Gesellschaft verliert ihre Identität als Gruppe

Als große Gruppe, als Kollektiv, treten wir auch als Nation nicht mehr in Erscheinung: Wir überlassen Viktor Orbán die Grenzsicherung oder den Libyern. Die Menschenrechtsverletzungen, die dabei geschehen, ignorieren wir – weil wir konfliktscheu und bigott sind. Wir liefern Waffen, ziehen aber nicht in den Krieg. Kriege wollen wir verhindern, wissen aber nicht wie, weil wir nie machtpolitisch argumentieren. Wir sagen, dass uns im Ernstfall die Nato verteidigen soll, wollen aber nicht wahrhaben, dass unsere Kinder selbst die Nato sind. Der ehemalige Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz hält das für verlogen. Er sagt: „Eine Nation muss ihre eigenen Interessen durchsetzen. Das ist ein Stück nationale Identität für jeden Staat. Wir Deutschen können das nicht.“

Die traditionelle Zurückhaltung Deutschlands in der Außen- und Verteidigungspolitik hat historische Ursachen. Machtpolitisch wollen wir nicht argumentieren, weil wir aus unserer Geschichte gelernt haben. Die diverse Gesellschaft aber, die sich immer weniger als ein Kollektiv versteht sondern in Kleinkollektive zerfällt, könnte diese deutsche Eigenschaft verstärken. Die Neue Rechte bezeichnet das als Mangel an „Wehrhaftigkeit“. Besser könnte man sagen: Der diversen Gesellschaft fehlen eine streitbare, kollektive Solidarität und ein durchsetzungsmächtiger Pazifismus.

In Zukunft wird es notwendig sein, den Begriff des Pazifismus neu zu denken, etwa als „Variante des Heroischen“, wie der Historiker Herfried Münkler in der „Neuen Zürcher Zeitung“ schrieb. Tatsächlich geht es nicht darum, eine Gesellschaft zu schaffen, die politisch keine Helden mehr nötig hat, sondern um neue Heldinnen und Helden, die die Gesellschaft im Alltag modernisieren und dennoch wieder wehrhaft machen. Wehrhaftigkeit heißt anders als bei der Rechten nicht Kriegsbereitschaft, sondern den Willen der Gesellschaft, Werte und Überzeugungen überhaupt wieder gemeinsam verteidigen zu wollen. Münkler schreibt, dass das Fehlen von Selbstgewissheit eine strategische Schwäche postheroischer Gesellschaften sei. Das, was neu entsteht, eine womöglich breit akzeptierte diverse Gesellschaft, muss gewährleisten, dass es in Zukunft dennoch ein kollektives Bewusstsein gibt. Ohne ein solches Bewusstsein für die eigenen Werte und Vorstellungen, ja ohne das Wissen darüber, worin diese Werte eigentlich bestehen, ist „Wehrhaftigkeit“, also die Verteidigung der eigenen Werte, nicht möglich.

Worin die Überlegenheit der diversen Gesellschaft besteht

Wer den Parolen der Rechten Argumente entgegensetzen will, muss sagen können, worin die Überlegenheit der diversen Gesellschaft besteht. Vielleicht wäre es ein Argument zu sagen, dass in einer emanzipatorischen Gesellschaft die Vielfalt der Geschlechter durch gegenseitige Anerkennung und Respekt „normal“ wird und dadurch langfristig neue Identitäten geschaffen werden, die wiederum eine neue und starke kollektive Identität bilden könnten. Es ginge nicht um „Geschlechter“, sondern um die Bündelung von diversen Kompetenzen und Charakteren.

Denn so sehr ihnen der Sinn für das Kollektive, der Sinn für die Wehrhaftigkeit fehlen mag – postheroische Gesellschaften zeichnen sich dadurch aus, dass sie im besten Fall über eine hohe Resilienz verfügen und dass sie komplexen Anforderungen gewachsen sind. Oder besser: Es sein könnten.

Armin Lehmann arbeitet seit 1993 beim Tagesspiegel und ist Redakteur für besondere Aufgaben. Er schreibt vor allem politische Porträts und Reportagen.
Armin Lehmann arbeitet seit 1993 beim Tagesspiegel und ist Redakteur für besondere Aufgaben. Er schreibt vor allem politische Porträts und Reportagen.

© Kai-Uwe Heinrich/TSP

Auch in liberalen Gesellschaften sitzen nach wie vor Männer an den entscheidenden Positionen. Und von denen erwartet man dann: Heldentum. Das gilt für Emmanuel Macron ebenso wie für Donald Trump. Trump bedient die nicht nur männliche Sehnsucht nach einfachen, kompromisslosen Antworten. Er ist Dezisionist, trifft Entscheidungen, ohne sie zu begründen und ohne, dass sie anderen logisch erscheinen müssen.

Die Dezisionisten in modernen liberalen Gesellschaften sind fast immer männlich – rein statistisch betrachtet, das soll nicht heißen, dass sich hier eine biologische Veranlagung zeigt. Ihr Gegenpol sind die Differenzversierten, also Menschen (statistisch gesehen noch meist Frauen), die versuchen, Macht auszutarieren und über Beziehungen und Diskurse Kompromisse zu finden.

Diese Differenzversiertheit, die im besten Fall durch Diversität gestärkt würde, ist nicht nur die wichtigste Kompetenz moderner, demokratischer Gesellschaften, sie könnte auch einen selbstbewussten, interessengeleiteten, ja durchsetzungsmächtigen Pazifismus begründen. Man könnte den Begriff des durchsetzungsmächtigen Pazifismus gegen den allzu missverständlichen Begriff der „Wehrhaftigkeit“ stellen, ohne das Bekenntnis zur eigenen Nation zu schwächen.

Wie aber kann diese neue Gesellschaft den Gefahren von Terrorismus und an Europa heranrückenden Kriegen trotzen? Wer kämpft und opfert sich?

Die Lösung ist: Geschlechterbilder weiter auflösen

Ironischerweise könnte die Entwicklung eines streitbaren kollektiven Bewusstseins und eines durchsetzungmächtigen Pazifismus im genauen Gegenteil der von der Neuen Rechten propagierten Rückkehr zur „Männlichkeit“ liegen, nämlich im weiteren Abbau von Stereotypen, darin, dass mehr Männer Rollen leben, die traditionell Frauen zugeschrieben wurden, und mehr Frauen Rollen, die traditionell Männern zugeschrieben wurden.

Ein Beispiel: In Schweden und Norwegen gibt es eine allgemeine Wehrpflicht für Männer und Frauen. Ein Armeesprecher in Norwegen sagt, die Armee profitiere von der Erweiterung, denn so habe sie „besseren Zugang zu Kompetenzen“. Die allgemeine Wehrpflicht wurde in Deutschland ausgesetzt. Dabei könnte sie eine Erzählung darüber liefern, was uns dieses Land wert ist. Die Bundeswehr erneut als freiwillige Wehrpflicht- statt Berufsarmee stünde sinnbildlich für eine Gesellschaft, in der Geschlechter nicht polarisieren, sondern in der die Fähigkeiten aller Menschen gleichermaßen genutzt werden.

Noch sind die neuen Männer nicht mehrheitsfähig

Ein anderes Beispiel: Männern müssten in einer diversen Gesellschaft ernsthaft und nachhaltig Kinder großziehen und in Familien und Haushalten wirklich präsent sein. Noch gibt es keine Kinder- und Söhne-Generation der „neuen“ Väter in Deutschland. Noch sind diese neuen Männer und Väter nicht mehrheitsfähig. Wenn sie es wären – es wäre der größte Beitrag des Geschlechts Mann zum Pazifismus.

Ein drittes: Bisher können Männer Sicherheit vor allem durch Ordnung herstellen, Frauen stellen sie durch Beziehung her. Gute Beziehungen sind der Kern für gute Gesellschaften – und ihre größte Friedensdividende. Wenn Männer diese Art der Sicherung von Ordnung erlernen, wäre das ebenfalls ein Beitrag zu einer „wehrhaften“ Gesellschaft, einer, die kollektive Solidarität kennt.

Die beste Antwort auf den Wunsch nach dem, was die Neue Rechte „Wehrhaftigkeit“ nennt, lautet: Verantwortung. Eine progressive Gesellschaft erkennt an, dass sie hart und widerstandsfähig, also resilient sein muss, dass sie aber auch berührbar und verwundbar zugleich sein darf. Ein neuer Alltagsheroismus darf das Postheroische gern besiegen.

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