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An neuer Wirkungsstätte: Steffen Seibert im Saal der Bundespressekonferenz.

© AFP

Seiberts Amtsantritt: Welche Bedeutung hat ein Regierungssprecher?

Selten fand ein Regierungssprecher schon vor Amtsantritt so viel Beachtung wie Steffen Seibert. In seiner täglichen Arbeit wird er sich jedoch nicht nur auf seine Popularität verlassen können.

Eine „Informationsdrehscheibe“ zwischen Bürgern, Medien und Bundesregierung will das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA) laut Selbstbeschreibung sein. Die Ernennungsurkunde als Staatssekretär hat Steffen Seibert schon am vergangenen Mittwoch entgegengenommen; am Montagvormittag werden die Hauptstadtjournalisten im Saal der Bundespressekonferenz den neuen Regierungssprecher zum ersten Mal befragen können. Mit Andrang ist zu rechnen, und das Interesse wird sich mehr auf den Neuen als auf die Politik der Bundesregierung richten, die der vormalige ZDF-Nachrichtenmoderator jetzt zu vertreten hat. Am frühen Nachmittag wird die Bundeskanzlerin Seibert dann als Leiter des BPA offiziell seinem Haus vorstellen.

Mit 460 Mitarbeitern ist das Bundespresseamt eine große Bundesbehörde. Dass es jedenfalls eine Drehscheibe im Gefüge der schwarz-gelben Koalition ist, zeigt die politische Mischung an seiner Spitze. Seiberts Stellvertreter Christoph Steegmans ist von der FDP, Sabine Heimbach von der CSU in diese Funktion geschickt worden.

Dass diese drei ein loyales Team bilden werden, kann man sich leicht vorstellen. Viel schwieriger wird es sein, ein neues Bild der schwarz-gelben Koalition zu schaffen. Denn wie sehr Erfolg und Wirkung eines Regierungssprechers von der politischen Substanz der Regierung selbst abhängen, zeigt das Beispiel von Seiberts Amtsvorgänger Ulrich Wilhelm, der im nächsten Jahr seinen neuen Job als Intendant des Bayerischen Rundfunks antreten wird. Wilhelms Ansehen hätte besser kaum sein können, das der Bundesregierung befindet sich auf einem Tiefpunkt.

Seibert, Angela Merkels personalpolitischer Überraschungscoup, bringt ein Pfund mit ins Amt, das noch nicht erprobt ist. Er ist, als erster Sprecher überhaupt, einem Millionenpublikum bekannt. Die Popularität des als klug, sympathisch und verbindlich geltenden Seiberts wird die Journalisten im Regierungsviertel zwar kaum beeindrucken. Vielleicht kann dieser Regierungssprecher zu einem „Gesicht“ der schwarz-gelben Koalition werden. Doch der Rollenwechsel vom beliebten Fernsehjournalisten zum unbedingt loyalen Mann hinter Merkel wird sicherlich die größte Bewährungsprobe für den neuen Sprecher.

Was erwarten Journalisten und Medien vom Regierungssprecher?

In den Augen der Korrespondenten wird Seibert wie seine Vorgänger daran gemessen, wie viel er weiß und was er bereit und fähig ist zu sagen, das über die täglichen Botschaften in die Kameras und Mikrofone hinausgeht. Das setzt den Zugang zum inneren Machtzirkel der Kanzlerin, ihr Vertrauen voraus. Es gab Sprecher, die diesen Zugang hatten, wie der legendäre Adenauer-Sprecher Felix von Eckardt oder Helmut Schmidts langjähriger Sprecher Klaus Bölling. Aber es finden sich auch zahlreiche Inhaber dieses Amtes, die dieses Vertrauen ihrer Chefs nicht hatten oder in deren Augen nicht zufriedenstellend genutzt haben.

Der begrenzte Einfluss der Regierungssprecher zeigt sich an ihrem Verschleiß. Merkel ist die achte Kanzlerin der Republik, Seibert der 24. Sprecher. Adenauer verbrauchte in 14 Kanzlerjahren sieben, Kohl in 16 Jahren acht Regierungssprecher. Wer wissen wollte, was Kohl denkt, hat von seinen langjährigen Vertrauten im Kanzleramt Eduard Ackermann oder Andreas Fritzenkötter mehr erfahren als von seinen Regierungssprechern. Merkel gilt als misstrauisch, der Kreis ihrer Vertrauten ist sehr klein. Auch der loyale und von ihr geschätzte Wilhelm war ein Vertrauter in der zweiten Reihe, kein enger Berater.

Der Regierungssprecher hat formelle und informelle Möglichkeiten der Kommunikation „nach außen“, mit und über die Medien. Dreimal in der Woche muss er sich mit seinen Kollegen aus den Ministerien auf offener Bühne, im Saal der Bundespressekonferenz, den Fragen der Journalisten stellen. Regie führt hier nicht der Sprecher, sondern die Bundespressekonferenz, gefragt werden kann zu allen Themen. Seibert, der heute die erste Regierungspressekonferenz bestreitet, hat zuvor noch nie an einer teilgenommen. Der Sprung vom Mainzer Lerchenberg nach Berlin-Mitte ist eben groß. Nur halb im Scherz hat man in letzter Zeit im BPA die Regierungspressekonferenzen auch als „wilhelminische Grillfeste“ bezeichnet.

Sieben Tage in der Woche und beinah rund um die Uhr wird informell kommuniziert, telefoniert, geredet. Pflichtgemäß, um Anfragen abzuarbeiten. Und gezielt, um ausgewählten Journalisten die eigene Sicht der Dinge nahezubringen. Dieser „Spin“ ist eine der wichtigsten Aufgaben von Merkels Sprecher.

Welche Bedeutung hat die Kommunikation „nach innen“?

Das Bundespresseamt ist die Schaltstelle, die das Kanzleramt laufend über Ereignisse und Medienmeldungen informiert, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Die Arbeit an Pressemappen und Medienspiegeln, früher fast eine gemütliche Angelegenheit , unterliegt heute den Mechanismen der Beschleunigung. Für die Bundeskanzlerin beginnt der Tag mit der Pressemappe über Amtsführung und Person. Zweimal an jedem Wochentag wird ein Medienspiegel produziert, der über hundert deutsche Medien und 40 ausländische auswertet, dazu 40 bis 60 SMS- Spitzenkurzmeldungen des Tages. Die Schwierigkeit liegt auf der Hand: Je schneller die Informationen fließen können, desto schwieriger wird der Überblick und die Entscheidung: Was ist wichtig, was unwichtiger? Auch das Unwichtige könne eine zerstörerische Wirkung haben, lautete Wilhelms Befund. Man müsse folglich alles im Auge behalten.

Ist das Amt mächtiger oder ohnmächtiger geworden?

Es ist, siehe oben, sehr viel schwieriger geworden. In den vergangenen zehn Jahren hat – in der Regierung wie in den Parteizentralen – eine durchgreifende Professionalisierung der Kommunikationen stattgefunden. Unverkennbar aber ist: Das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik ist in dieser Zeit beständig gesunken. Politik ist in der entgrenzten Medienwelt mehr und mehr in eine Randlage geraten. Die „zerstörerische Wirkung“, die auch im Unwichtigen lauern kann, bindet und verbraucht mehr kommunikative Energien, als die neuen Formen und Technologien an Chancen eröffnen.

Seibert wird schnell lernen, dass kein Videopodcast der Kanzlerin, kein schlauer Spin fehlende Ideen ersetzen kann. Vielleicht spricht er einfach weiter wie bisher. Das wäre schon viel.

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