zum Hauptinhalt
Tomislav Nikolić hat die Präsidentschaftswahl in Serbien gewonnen.

© reuters

Serbien: Keine Sorge vor dem Präsidenten!

Die Wahl des Rechtspopulisten Tomislav Nikolić zum neuen Staatspräsidenten Serbiens nährt im Westen Befürchtungen vor erneuter Unruhe auf dem Balkan. Doch mit einer radikalen politischen Wende ist nicht zu rechnen, meint Dušan Reljić.

Tomislav Nikolićs überraschender Sieg bei der serbischen Präsidentschaftswahl ist an erster Stelle auf die geringe Beteiligung an der Stichwahl vom 20. Mai 2012 von nur 47 Prozent zurückzuführen. Laut vorläufigem Ergebnis gewann der Chef der rechtspopulistischen Serbischen Fortschrittspartei (SNS) mit 49,55 Prozent der Stimmen. Der bisherige Präsident Boris Tadić, Kandidat der Demokratischen Partei (DS), musste sich mit 47,3 Prozent der Stimmen begnügen. Noch wenige Tage vor dem Urnengang waren Tadić zehn bis fünfzehn Prozent Vorsprung vor Nikolić vorausgesagt worden. Die Wahlforscher wähnten sich sicher, dass auch die stärkste Mobilisierung im rechten politischen Lager Nikolić nicht zum Erfolg führen würde.

Tatsächlich hat Nikolić seinen Sieg den Wählern aus dem bürgerlichen und linksliberalen Lager zu verdanken, die nicht zu den Urnen gingen. Sie haben Tadić und seine Partei wegen der wirtschaftlichen Misere im Land, aber auch wegen seiner Überheblichkeit abgestraft. Als unangefochtener Chef der Demokratischen Partei setzte sich Tadić als Galionsfigur eines in die EU strebenden Serbiens, das sich schnell modernisiert, in Szene und überschritt dabei selbstherrlich die geringen Kompetenzen, die die Verfassung dem Staatspräsidenten gewährt.

Da er in allen innen- und außenpolitischen Angelegenheit das letzte Wort haben wollte, macht ihn die Bevölkerung nun zu Recht auch für alles verantwortlich: für die wirtschaftliche Misere, für das schleppende Vorankommen der Bemühungen um den EU-Beitritt, für die schrittweise Zurückdrängung des serbischen Staates aus der laut Verfassung nach wie vor serbischen Provinz Kosovo sowie für die Korruption in Wirtschaft und Politik. Tadić wähnte sich unersetzlich. Die Wähler sind anderer Meinung und verpassten ihm einen groben Realitätscheck.

 

Nikolić könnte Gefahr laufen, sich innen- wie außenpolitisch zu isolieren 

Das Parlament, das vor zwei Wochen neu gewählt worden ist, wird spätestens am 9. Juni zusammentreten. Bis dahin wird vermutlich geklärt sein, welche Parteienkoalition die Regierung stellen wird. Zwar hat Nikolićs SNS bei den Parlamentswahlen am 6. Mai die meisten Stimmen erhalten (24 Prozent). Jedoch sind Tadićs Demokratische Partei (DS) (22 Prozent) und ihr größter Koalitionspartner, die Sozialistische Partei Serbiens (SPS) des bisherigen Innenministers Ivica Dačić (15 Prozent) entschlossen, ihr Bündnis gemeinsam mit kleineren, meist liberalen Parteien fortzusetzen. Tadić hat gleich nach seiner Niederlage bei der Präsidentschaftswahl erklärt, diese Koalition nicht anführen zu wollen, so dass sich jetzt alle Augen auf den neuen Hoffnungsträger der DS richten: den Bürgermeister Belgrads, Dragan Djilas.

Er gilt als tatkräftiger jüngerer Politiker, der effizient regiert und sich dadurch für höhere Ämter qualifiziert hat. Djilas könnte nicht nur neuer Ministerpräsident werden, sondern auch Tadić an der Spitze der Demokratischen Partei ablösen. In diesem Falle wird sich Nikolić weitgehend auf protokollarische Funktionen beschränken müssen, da die Verfassung die wesentlichen Machtbefugnisse eindeutig dem Regierungschef zuweist. Solange eine solche Regierung stabil ist und gesellschaftlichen Rückhalt hat, riskiert ein Staatschef Nikolić im Falle einer Konfrontation mit ihr politische Isolation.

Der neue Präsident weckt böse Erinnerungen

Auch außenpolitisch muss Nikolić, zumindest am Anfang seiner fünfjährigen Amtszeit, vermeiden, sich zu isolieren, besonders unter den Staaten in der unmittelbaren ex-jugoslawischen Nachbarschaft und im Westen. Trotz aller Zusicherungen, am EU-Beitritt festzuhalten, weckt er im In- und Ausland böse Erinnerungen an die virulentesten Momente des serbischen Nationalismus in den letzten zwei Jahrzehnten. Bis 2008 standen er und seine Parteikollegen an vorderster Front des nationalistischen Populismus in der Region. Erst nach wiederholten Wahlniederlagen suchten sie ihr politisches Glück in der Orientierung auf den EU-Beitritt, in der Zusammenarbeit mit den Nachbarn Serbiens und in anderen "politisch korrekten" Ausrichtungen.

Der erste, der noch am Wahlabend Nikolićs Erfolg mit warmen Worten begrüßte, war Russlands Botschafter in Belgrad: Alexander Konuzin will die wirtschaftliche Zusammenarbeit der „beiden slawischen Staaten“ in den nächsten Jahrzehnten auf "Milliarden"-Höhe treiben. Doch Belgrads Bürgermeister Djilas, vielleicht der neue Premier Serbiens, möchte den Bau der Belgrader Metro, sein nächstes Vorzeigeprojekt, am liebsten an französische Firmen vergeben.

Dušan Reljić forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) u.a. zu aktuellen Entwicklungen im Westbalkan. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt".

Dušan Reljić

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false