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Serbien: „Wir hoffen auf EU-Beitrittsgespräche 2012“

Serbiens Außenminister über alte Seilschaften, die Beziehung zum Kosovo und den UN-Sicherheitsrat

Herr Minister, Serbien wartet auf ein Datum für den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der EU. Ist die krisengeschüttelte Union überhaupt noch attraktiv?

Natürlich. Es ist sinnvoll, seine Gesetze und Regeln an die Standards seiner Umgebung anzupassen. Wir leben nun einmal alle in Europa. Nur so kann der westliche Balkan sich wirtschaftlich weiterentwickeln und Investitionen anziehen.

Mit der Festnahme von Ratko Mladic hat Serbien eine wichtige Bedingung für die weitere Annäherung an die EU erfüllt. Was erwarten Sie nun konkret?

Konkret hoffen wir, dass die EU-Kommission den Mitgliedsstaaten im Oktober  empfiehlt, Serbien den Kandidatenstatus zu gewähren und ein konkretes Datum für den Auftakt der Beitrittsgespräche im kommenden Jahr zu nennen. Das wäre auch ein Signal der Kontinuität für die gesamte Region – jetzt, da Kroatien seine Beitrittsverhandlungen abschließt. Es wäre nicht gut, wenn die Integration des westlichen Balkans ins Stocken geriete. Das ist der beste Weg, um langfristig Stabilität zu sichern.  

Der Fall Mladic hat allerdings gezeigt, dass die alten Seilschaften der Ära Milosevic noch immer funktionieren. Wie sonst hätte sich ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher 16 Jahre lang in Serbien versteckt halten können?

Die Ergebnisse unserer Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag haben gezeigt, dass wir entschlossen sind, unseren internationalen Verpflichtungen nachzukommen. Dabei bleiben wir, denn Serbien ist ein Rechtsstaat.

Dennoch: Wie wollen Sie die alten Netzwerke zurückdrängen, die großen Einfluss auf Wirtschaft und Politik haben sollen.

Diese Behauptungen sind ein Mythos. In den vergangenen Jahren hat Serbien große Fortschritte beim Kampf gegen die Organisierte Kriminalität erzielt.

Trotz aller Fortschritte: Ohne eine Lösung in der Kosovo-Frage ist eine EU-Mitgliedschaft Serbiens schwer denkbar.

Das ist ein Problem, dass wir nicht von heute auf morgen lösen werden. Seit März führen wir unter Vermittlung der EU einen Dialog mit Pristina über technische Fragen des täglichen Zusammenlebens. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, ohne dass die Frage nach dem Status des Kosovo präjudiziert wird.

Serbien erkennt nun Personalausweise und Autokennzeichen des Kosovo an. Doch irgendwann wird man auch über den Status sprechen müssen.

Wir werden die einseitige Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkennen. Aber wir halten an dem nun begonnenen Prozess fest und hoffen, dass am Ende ein Kompromiss steht, den alle Seiten akzeptieren können. Es gibt allerdings auch Vorgänge, die kontraproduktiv sind. So hat Pristina kürzlich versucht, serbisch-orthodoxe Klöster und Kirchen auf seinem Territorium bei der Unecso als kosovarisches Kulturerbe anerkennen zu lassen. Das ist eine Art historischer Diebstahl. Hinzu kommt, dass viele orthodoxe Kirchen und Klöster 2004 bei Ausschreitungen von Kosovo-Albanern in Brand gesteckt wurden. Der ganze Vorgang ist geradezu bizarr.

Würden Sie aber sagen, dass sich die Beziehungen zum Kosovo verbessert haben?

Zumindest sind sie stabil. Und beide Seiten sind bestrebt, das Leben der Menschen zu erleichtern. Doch es gibt noch viel aufzuarbeiten. Auch Kriegsverbrechen – und zwar auch an Serben.

Der Europarat hat vor Monaten die Ergebnisse eines Berichts über Morde der kosovarischen Befreiungsarmee UCK an serbischen Kriegsgefangenen offiziell anerkannt. Danach wurden während des Kosovo-Krieges viele Serben von der UCK ermordet und ihre Organe später verkauft ...

Das war zweifellos eines der grausamsten Kriegsverbrechen überhaupt. Doch warum gibt es keinen Beschluss des UN-Sicherheitsrats, diese Vorgänge zu untersuchen? Man kann schon den Eindruck gewinnen, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Liegt es vielleicht daran, dass auch einige Führer der Regierung in Pristina in die Verbrechen verstrickt waren und eine offizielle Untersuchung diejenigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, die das Kosovo anerkannt haben, in Erklärungsnot bringen könnte? Wir werden jedenfalls weiter dafür kämpfen, dass die Ermittlungen in dieser Sache weitergehen und appellieren hier an die Fairness der Internationalen Gemeinschaft.

Vuk Jeremic (36)

ist seit 2007

Außenminister

Serbiens. Er ist

Vorstandsmitglied der Demokratischen Partei von Präsident Boris Tadic. Die Fragen stellte Ulrike Scheffer.

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