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US-Präsident Donald Trump.

© Reuters/Carlos Barria

Serie "Was ist Macht?": Rhetorik kann eine dunkle Kraft sein

Allein mit der Art und Weise, wie man etwas sagt, kann man andere davon überzeugen, dass sie das tun, was man von ihnen will. Ein Gastbeitrag.

In unserer Sommerserie zur Frage „Was ist Macht?“ drucken wir Texte der „The New York Times“-Reihe „The Big Ideas“. Bereits erschienen: Ex-US-General Wesley Clark zur Frage von Moral und militärischer Macht (30. Juni). Copyright: The New York Times Group. Übersetzung aus den Englischen: Anna Thewalt

In den vergangenen Jahren haben führende rechte Politiker eine raue Rhetorik gegen Minderheiten eingesetzt, vor allem gegen Immigranten. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass Genoziden, Terrorismus oder ethnischen Säuberungen immer Perioden vorangegangen waren, in denen politische und soziale Bewegungen solch eine Rhetorik benutzten. Im nationalsozialistischen Deutschland wurden Juden als Ungeziefer bezeichnet, und die Nazi-Propaganda behauptete, Juden würden Krankheiten verbreiten. Vor den ethnischen Säuberungen an dem Volk der Rohingya in Myanmar fand eine Phase der Propaganda statt, in deren Folge Männer der Rohingya mit Vergewaltigungen in Verbindung gebracht wurden.

In den Vereinigten Staaten gab es die Theorie vom „Superpredator“, zu Deutsch „Super-Raubtier“. Die Anzahl von Gewaltverbrechen ging ab 1993 zurück, eine Tendenz, die im gesamten Jahrzehnt zu beobachten war. Dennoch begannen Kriminologen ab 1996, eine unbegründete Panik vor den „Super-Raubtieren“ zu verbreiten – vor „verhärteten, erbarmungslosen Jugendlichen“, wie sie der Wissenschaftler John Dilulio nannte. Dies führte zu einer neuen Welle an Landesgesetzen mit heftigen Urteilen für Minderjährige. In den neunziger Jahren half die Bezeichnung von jungen schwarzen Männern als „Schläger“ und „Gang-Mitglieder“ durch Politiker dabei, die USA zum Staat mit der höchsten Inhaftierungsrate zu machen. Schwarze Amerikaner stellen 40 Prozent der Inhaftierten, während sie nur 13 Prozent der US-Gesamtbevölkerung ausmachen.

Die Macht über ein Individuum zu haben bedeutet, das Verhalten oder die Gedanken anderer gemäß der eigenen Wünsche zu verändern. Eine Möglichkeit, das Verhalten anderer zu kontrollieren, ist durch Zwang. Ein deutlich besserer Weg ist es, ihr Pflichtgefühl zu ändern. Wenn du jemanden davon überzeugen kannst, dass sie das tun sollten, was du von ihnen möchtest, ist deine Macht echte Autorität. Aber haben Worte wirklich die Fähigkeit, unser Verhalten zu ändern?

Rhetorik hat einen signifikanten Einfluss auf Verhaltensweisen

Literatur zu Marketingstrategien lehrt, dass Rhetorik einen signifikanten Einfluss auf Verhaltensweisen haben kann. Ein Beispiel: Stellt man Menschen rein hypothetische Fragen, verschieben sich unbewusst ihre späteren Präferenzen und Verhaltensweisen in dramatischer Art und Weise. In einer 2001 von den Marketingprofessoren Gavan Fitzsimons und Baba Shiv herausgegebenen Studie wurde den Teilnehmern im Vorhinein gesagt, dass ihnen rein hypothetische Fragen gestellt werden würden. Eine Gruppe wurde Folgendes gefragt: „Wenn wissenschaftliche Studien beweisen würden, dass Kuchen, Gebäck und Ähnliches nicht annähernd so schlecht für die Gesundheit wären wie bislang angenommen, und im Gegenteil sogar große gesundheitliche Vorteile mit sich bringen, wie würde sich das auf Ihren Verzehr solcher Lebensmittel auswirken?"

Den Studienteilnehmern wurde gesagt, dass es in der Studie darum gehe, welche Auswirkungen ein sich veränderndes Umfeld auf die Meinung der Konsumenten bezüglich bestimmter Produkte habe. Sie wurden schließlich in einen Raum geführt, in denen ihnen die Auswahl zwischen zwei verschiedenen Snacks angeboten wurde: Schokoladenkuchen oder Obstsalat. Einer weiteren Gruppe, der Kontrollgruppe, wurden keine hypothetischen Fragen gestellt.

In der Kontrollgruppe entschieden sich 25,7 Prozent für den Kuchen. Im Gegensatz dazu nahmen sich 48 Prozent von denen, die vorher die hypothetische Frage gestellt bekommen hatten, einen Schokokuchen. Die Gruppenmitglieder zu drängen, sorgfältig über ihre Wahl nachzudenken, führte schließlich nur dazu, dass 66 statt 48 Prozent den Kuchen wählten. Den Teilnehmern war ganz offensichtlich nicht bewusst, dass sie durch die hypothetischen Fragen manipuliert worden waren, da sie ohne Ausnahme bestritten, dass ihre Wahl von Fragen vorangegangener Interviews beeinflusst worden war. Jeder und jede behauptete, dass seine oder ihre Wahl unabhängig von den hypothetischen Fragen getroffen wurde.

Das empfundene Pflichtgefühl ändert sich

In den republikanischen Vorwahlen 2001 traten George W. Bush und John McCain gegeneinander an. Vor der Wahl im Bundesstaat South Carolina stellten Mitglieder der Kampagne von George W. Bush möglichen republikanischen Erstwählern eine hypothetische Frage: „Würden Sie eher für oder eher gegen John McCain stimmen, wenn Sie wüssten, dass er Vater eines unehelichen schwarzen Kindes wäre?“ George Bush gewann anschließend die Vorwahlen in South Carolina.

Dies ist ein Fall in dem die Sprache, die Art und Weise, wie etwas ausgedrückt wird, Macht besitzt; in einer hypothetischen Frage wird schließlich keine Begründung angegeben, warum man der Hypothese Glauben schenken sollte. Ein weiteres Beispiel sprachlicher Manipulation, vorgenommen vom Sozialpsychologen Christopher Bryan und seinen Kollegen: Wenn wir Sie fragen „Wie wichtig ist es, ein Wähler zu sein?“ werden Sie viel eher zur Wahl gehen als nach der Frage „Wie wichtig ist es, zu wählen?“ Die erste Frage führt dazu, dass Sie Ihre Eigenschaften in Bezug auf das Wahlverhalten reflektieren, die zweite führt nur dazu, dass Sie Ihre Pläne hinterfragen.

Rhetorik hat Macht, sie beeinflusst Einstellungen, Verhaltensweisen und das wahrgenommene Pflichtgefühl. Wer die Mechanismen von hasserfüllter Rhetorik versteht, erkennt auch die Gefahr, die dieser innewohnt. Rhetorik kann etwa empfundene Verpflichtungen verändern, indem sie Empfehlungen für bestimmte Gewohnheiten ausgibt. In einem 2012 veröffentlichten Artikel mit dem Titel „Genozidale Sprachspiele“ beschreibt der Philosoph Lynne Tirrell, wie die die Mehrheit stellenden Hutu in den Jahren vor dem Genozid in Ruanda ihre Tutsi-Nachbarn „Kakerlaken“ und „Schlangen“ nannten.

Rhetorische Macht verändert unsere Einstellungen durch Manipulation

Schlangen haben in Ruanda einen schlechten Ruf, sie sind oft giftig. Tirrell schrieb, dass „in Ruanda Jungen stolz sind, wenn ihnen zugetraut wird, Schlangen die Köpfe abzuschneiden“. Tutsi „Schlangen“ zu nennen stellte eine Verbindung her zwischen dem Abschlachten eines Tutsi und der heldenhaften Tat, Schlangen zu töten. Nennt man Immigranten Eindringlinge, so hat dies den Effekt, sie mit Taten in Verbindung zu bringen, die man sonst mit feindlichen Einbrechern verbindet. Wenn jemand gleichzeitig das Wertesystem des Nationalismus vorantreibt, wird mit der Benutzung des Wortes „Eindringling“ für Immigranten ein ganz bestimmter Umgang empfohlen: Gewalt.

Diese Rhetorik hat eine Macht, weil sie Menschen dazu verleitet, Macht gegen Immigranten als obligatorisch anzusehen. In einer Rede im Oval Office im März verurteilte US-Präsident Trump Immigranten als „illegale Fremdlinge“. Er sagte weiter: „Menschen hassen das Wort ‚Invasion', aber das ist es. Es ist eine Invasion von Drogen und Kriminellen und Menschen.“ Wenn die rhetorische Macht, die damit verbunden ist, Immigranten als Eindringlinge zu bezeichnen ebenso wie die Autorität des Präsidenten ausgeweitet wird, kann dies das empfundene Pflichtgefühl besonders signifikant verschieben.

Rhetorische Macht scheint eine magische Idee zu sein. Die Tatsache, dass die Kraft der Wörter weniger ernst genommen wird als andere Formen von Macht, trägt allerdings nur zu ihrer Bedeutung als soziale Kraft bei. Rhetorische Macht verändert unsere Einstellungen durch Manipulation. Doch Manipulation ist meistens etwas verborgenes, wohingegen Sprache im Offenen stattfindet. Diese Offenheit normalisiert die Praktiken, die die Rhetorik empfiehlt.

Jason Stanley, David Beaver

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