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Unter Druck: Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln.

© dpa

Sexueller Missbrauch: Die Verstrickung des Kölner Erzbistums

Die Katholische Kirche wird von einem neuen Fall sexuellen Missbrauchs erschüttert. Dabei haben hohe Würdenträger offenbar viel getan, um den Fall zu vertuschen.

Wenn diese beiden Zeitungen nicht lockerlassen, dann wird es ernst. Sie kommen von unterschiedlichen Seiten mit einander ergänzenden Informationen: "Bild" für den Boulevard und "FAZ" fürs Bürgertum befassen sich einem neuen, nur zeitlich zurückliegenden Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche.

Und der bringt gleich mehrere hohe Geistliche in Erklärungsnot, darunter der Hamburger Erzbischof Stefan Heße und Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki, früher einmal Berliner Bischof.

In einem Brief, über den FAZ berichtet hat, konfrontierte Woelki schon im Frühjahr 2019 Heße und weitere vormalige Verantwortliche im Erzbistum Köln damit, dass sie sich „in mehrerer Hinsicht rechtswidrig“ verhalten hätten. Es geht um den Fall mutmaßlich schweren sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch einen Geistlichen in den Jahren 2010 und 2011.

Das einflussreiche Kölner Erzbistum wird von der Krise schwer getroffen. In der katholischen Nomenklatura gilt es als das "Rom des Nordens", außerdem als eine der reichsten Erzdiözesen der Welt. In der hat Heße, heute in Hamburg, früher die Hauptabteilung Personal-Seelsorge geleitet.

In dem vorliegenden Fall sieht er sich als unschuldig an, das sagte er "Bild" im Oktober, die als erste berichtet hatte, und noch einmal im Gespräch mit "Christ und Welt" der Wochenzeitung "Zeit".

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Kein Protokoll gefertigt, damit es keine Spuren gibt

Mittlerweile ist aber wohl erwiesen, dass Heße eine Telefonnotiz mit seiner Paraphe versehen hat, in der es heißt, von einem Gespräch des mutmaßlichen Täters, in dem dieser „hier alles erzählt“ habe, dass „von uns aus kein Protokoll“ gefertigt werde, „da dieses beschlagnahmefähig“ wäre.

Es bestünden lediglich „eigene handschriftliche Notizen“, die „notfalls vernichtet werden“ könnten. „Prälat Dr. Heße ist mit dem Prozedere einverstanden.“

Dem widerspricht, dass bereits im Herbst 2010 „alle Aussagen“ gegen den beschuldigten Geistlichen im Erzbistum „im Detail“ (Woelki) vorgelegen haben sollen. Zwar zogen Zeuginnen ihre Anzeige auf familiären Druck zurück und machten bei der Justiz von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.

Im Zentrum der Kritik: Erzbischof Stefan Heße.
Im Zentrum der Kritik: Erzbischof Stefan Heße.

© dpa

"Als Falschaussagen zurückgezogen wurden die Beschuldigungen aber bis heute nicht", schreibt die FAZ. Ein kirchliches Strafverfahren gab es nicht, der oberste Kirchenrichter ist bis heute im Amt, also auch unter Woelki.

Nachdem im Frühjahr 2011 die letzten Beschwerden gegen die Einstellung des Verfahrens durch die Kölner Staatsanwaltschaft abgehandelt waren, setzte Heße den Priester wieder an seiner früheren Wirkungsstätte ein.

Über Verhaltensauflagen ist nichts bekannt. Ein psychiatrisches Gutachten über den Geistlichen und ein von beiden Parteien unterschriebenes Gesprächsprotokoll, wie es in Köln damals schon zwingend vorschrieben war, gibt es nicht.

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Die Kölner Staatsanwaltschaft hat das Verfahren gegen den damals beschuldigten Priester inzwischen wieder aufgenommen. Neben diesem Rechtsstreit gibt es allerdings innerkirchlich einen Streit darüber, warum Köln ein kritisches Gutachten über den Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs nicht längst ebenso wie das Bistum Aachen vollständig veröffentlicht hat.

Die Behauptung, dass es presserechtlich mangelhaft und in seiner ganzen Methodik zu schlecht war, wird zugleich auch harsch bestritten. Ein Punkt, der zum Zwist geführt hat, ist die Frage, ob Geistliche zu identifizieren sind und damit Persönlichkeitsrechte verletzt werden.

"Gegen die Veröffentlichung ankämpfen"

Die Nennung von Namen früherer Verantwortungsträger hatte Kardinal Woelki aber immer als Ziel der Aufklärung benannt. Sein Sinneswandel, so schreibt es die "FAZ", sei nicht damit zu erklären, dass er das Gutachten gelesen haben könne, sondern, dass er Juristen vertraue, "die von Verantwortungsträgern und seinem Generalvikar mandatiert wurden, um gegen die Veröffentlichung anzukämpfen".

Zwar bleibt, dass Woelki das damalige Handeln der Verantwortlichen als „in mehrerer Hinsicht rechtswidrig“ bezeichnet hat. So wurde über den Verdachtsfall nicht die vatikanische Kongregation für die Glaubenslehre informiert.

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Doch ließ der Kardinal den damaligen Generalvikar und heutigen Weihbischof Dominik Schwaderlapp, den damaligen Hauptabteilungsleiter Personal-Seelsorge, den heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße, den obersten Kirchenrichter des Erzbistums und die Justitiarin wissen, man werde „zum jetzigen Zeitpunkt mit Verweis auf die laufenden Untersuchungen nicht öffentlich über damalige Verantwortungen sprechen“. Allerdings könnten „zu diesem Fall Fragen aufkommen“.

Genau die sind jetzt aufgekommen. Und zwar auch die, wie viele der Geistlichen in Verantwortung Konsequenzen aus dem Fall und seiner Behandlung ziehen werden. Erzbischof Heße hat derweil sein Schicksal in die Hände der Bischofskongregation in Rom gelegt.

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