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Die Zukunft von SPD-Chefin Andrea Nahles könnte sich nächste Woche entscheiden.

© Fabrizio Bensch/Reuters

Showdown in der SPD: Nahles' Befreiungsschlag könnte im Fiasko enden

Andrea Nahles geht volles Risiko - dabei überrumpelt sie zwar ihre Gegner, könnte aber als Fraktions- und SPD-Parteichefin scheitern.

Andrea Nahles hat Freund und Feind überrascht, als sie in der ZDF-Sendung "Was nun, Frau Nahles?" ankündigte, die Machtfrage in der Bundestagsfraktion zu stellen. Sie spielt alles oder nichts. Nahles will mit ihrem Schritt ihre Gegner dazu zwingen, Farbe zu bekennen und die Spekulationen um ihre Zukunft damit ein für allemal zu beenden. Es könnte aber auch nächste Woche alles vorbei sein. Und die große Koalition in große Not stürzen.

Wenige Stunden vor der Volte es noch anders aus, aber nach diesem, Wahldebakel bei der Europawahl und in Bremen ist vieles im Fluss. Rückblick: Personaldebatten seien jetzt fehl am Platz, darüber sei sich der Parteivorstand einig gewesen, berichtete die SPD-Chefin zunächst am Montagnachmittag. In der Sitzung des Gremiums waren die niederschmetternden Ergebnisse der Europa- und Bremen-Wahl besprochen worden - das eine war mit 15,8 Prozent das schlechteste bei einer bundesweiten Wahl seit 1887, in Bremen landete die SPD erstmals hinter der CDU.

Wenige Stunden später dann kündigte Nahles selbst an, dass sie schnell eine Personalentscheidung herbeiführen wolle – durch das Vorziehen der eigentlich für Herbst geplanten Wiederwahl der Fraktionsvorsitzenden. Denn hier rumort es besonders, während es für den Parteivorsitz schlicht an Alternativen fehlt.

Parteifreunde fordern Rücktritt

Die gewiefte Gremienpolitikerin wollte mit diesem Schachzug ihre Macht sichern. Doch ihr Vorschlag trägt nicht zur Beruhigung einer Partei bei, die nach dem Blick in den Abgrund völlig verstört ist – im Gegenteil. Denn Nahles provoziert Abwehrreaktionen und offenen Widerspruch – und hat damit offenbar nicht gerechnet. "Ich habe von der vorgezogenen Wahl zum Fraktionsvorsitz aus den Medien erfahren", sagte der nordrhein-westfälische SPD-Landesvorsitzende Sebastian Hartmann dem Spiegel. Ins Rollen gebracht hatte die Dinge der Bundestagsabgeordnete Michael Groß aus Marl, indem er eine Sonderfraktionssitzung beantragte. „Entweder sie wird breit gestützt oder nicht“, schrieb er mit Blick auf Nahles an den Chef der NRW-Landesgruppe Achim Post.

Nun will sich Nahles am kommenden Dienstag zur Wiederwahl stellen – es geht längst weniger um ihre Politik als um ihre Person. „Das ist die absolute Flucht nach vorn“, heißt es aus der Fraktion. Halb anerkennend, halb kritisch meint ein Abgeordneter: „Intrigen kann die Frau.“ Über Sigmar Gabriel habe man sich oft geärgert, aber nie für ihn geschämt. Bei Nahles sei das anders. Verwiesen wird auch auf ihren schrägen Auftritt beim Wahlkampfabschluss in Bremen, als die SPD-Chefin mit Blick auf Regierungschef Carsten Sieling sagte, sie liebe zwar nicht Bremen, aber ihre Heimat die Eifel. „Aber ich liebe auf jeden Fall Carsten.“ Dazu ruderte sie wild mit den Armen.

Längst fordern Parteifreunde offen ihren Rücktritt. „Ich würde Andrea Nahles unbedingt zum Verzicht auf den Fraktionsvorsitz raten. Sie kann für die SPD kein Zugpferd mehr werden“, meint etwa der Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung. Auch der Bundestagsabgeordnete Sascha Raabe aus Hessen geht in die Offensive.

„Wir brauchen schnellstmöglich einen personellen Neuanfang. Weder Andrea Nahles noch Olaf Scholz sind aus meiner Sicht geeignet, um die SPD wieder zu Wahlerfolgen zu führen“, schrieb er auf Facebook. Die SPD brauche „neue, junge, unverbrauchte und glaubwürdige Persönlichkeiten“. Der Abgeordnete Groß schrieb in seinem Antrag für eine Sondersitzung, ein einfaches „Weiter so“ sei keine Option. Er könne nur davor warnen, jetzt ein Mehr desselben, das heißt mehr Klimaschutz, mehr Grundrente, durchzuziehen. „Wenn wir so weiter machen wie bisher sind wir bald eine gute 10 Prozent-Partei!“

Kritik von Schulz

Wie umstritten Nahles in der eigenen Fraktion mittlerweile ist, wurde im Geschäftsführenden Fraktionsvorstand deutlich. Dort wollte sich Nahles ihren Vorschlag absegnen lassen, die Fraktionsvorsitzenden-Wahl vorzuziehen. Dagegen gab es jedoch großen Widerstand, am Ende setzte sich Nahles nur knapp mit sieben zu vier Stimmen durch. Für diesen Mittwoch hat Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider als ersten Schritt zu einer Sondersitzung eingeladen, um noch einmal über die Niederlagen bei Europa- und Bremenwahl zu beraten. Auch soll der erweiterte Fraktionsvorstand das Vorziehen der Wiederwahl bestätigen, das der geschäftsführende Vorstand mit Mehrheit schon gebilligt hat.

Manche Abgeordnete fordern mit Blick auf die Geschäftsordnung, Nahles solle nächste Woche erstmal nur die Vertrauensfrage stellen. Verliere sie diese, könne es mit Einhaltung aller Fristen und Regeln eine reguläre Neuwahl geben. Eines hat Nahles aber erreicht, sie hat die Gegner überrumpelt. Ex-Parteichef Martin Schulz wird höchstwahrscheinlich nicht gegen sie antreten, heißt es. Schulz hat das Vorziehen der Wahl inzwischen scharf kritisiert. Bleiben noch zwei Kandidaten, sofern nicht noch Überraschungen kommen. Eine Kandidatur kann auch erst nächste Woche in der Showdown-Sitzung erklärt werden. Wenn der Sprecher der Parlamentarischen Linken, Matthias Miersch, und Fraktionsvize Achim Post, Mitglied des konservativen Seeheimer Kreises, kandidieren, könnten sie sich gegenseitig Stimmen wegnehmen und am Ende Nahles den Sieg bescheren. Daher müsste es im Vorfeld wohl eine Klärung für einen Kandidaten geben. „Die Jungs müssen sich einigen“, sagt eine mit den Gesprächen vertraute Person.

Denkzettel und Misstrauensvotum

Der Chef der Seeheimer, Johannes Kahrs, ein enger Vertrauter von Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz, versucht Abgeordnete von Nahles-Sturzplänen abzubringen. Andere Seeheimer sagen dagegen, sie würden auch den Linken Miersch wählen, alles sei besser als Weiter mit Nahles. Die Höchststrafe für sie wäre es, ohne Gegenkandidat anzutreten – und keine Mehrheit auf sich zu vereinigen. So oder so ist klar: scheitert Nahles mit der Wiederwahl, wären auch ihre Tage als Parteichefin gezählt.

Um die Dramaturgie dieses 4. Juni perfekt zu machen, findet abends auch noch die traditionelle Spargelfahrt des Seeheimer Kreises auf dem Wannsee statt – normalerweise ein Pflichttermin für die Abgeordneten, Minister und die Parteivorsitzende. Doch ob die MS Havel Queen zu Swingmusik bei schweren Verwerfungen zuvor in der Fraktion in See stechen wird? Offiziell erklärt hat sich noch keiner, aber ein Gegenkandidat könnte dies theoretisch auch erst in der Showdown-Sitzung selbst tun.

Fällt Nahles, könnte das auch in die Koalition erschüttern. Wo es zunächst so aussah, als wolle die Koalition trotz der historisch schlechten Ergebnisse für die Union (28,9 Prozent) und SPD einfach so weitermachen, könnten Dämme brechen. Wäre die Wahl eine Bundestagswahl gewesen, wäre die große Koalition jetzt abgewählt – sie war ein Denkzettel und Misstrauensvotum zugleich. „Die große Koalition hat ihre Legitimation verloren, der Ansehensverlust in der Bevölkerung ist zu groß. Deshalb wäre es besser, wenn wir jetzt einen Schlussstrich ziehen und das Bündnis beenden", sagt Fürths SPD-Oberbürgermeister Jung, ein Kommunalpolitiker mit Einfluss in der Partei. Er beschreibt aber auch das große Dilemma in Sachen Nahles: "Ich sehe aber niemanden in der SPD, der das Ruder herumreißen könnte."

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