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Sicherheitsexperte Markus Kaim: „Saubere Kriege sind eine politische Fiktion“

Markus Kaim ist Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Mit dem Tagespiegel sprach er über die neuen Herausforderungen der Nato.

Die Herausforderungen sind nicht neu, es geht jedoch um ihre Gewichtung. Bei der Entscheidung über das neue strategische Konzept der Nato zum Beispiel wird zu entscheiden sein, wo ihr Schwerpunkt liegen soll: in Artikel 5, der kollektiven Verteidigung der territorialen Integrität und politischen Souveränität ihrer Mitglieder – oder in Auslandsoperationen, mandatiert durch die Vereinten Nationen.

Die gleiche Frage hat Verteidigungsminister zu Guttenberg bei der Bundeswehrreform zu beantworten ...

Genau. Militärisch ist das aber mittlerweile keine Frage von Entweder-oder. Ausgehend von einer Bedrohungsanalyse wird man aus bundesdeutscher Perspektive sagen können: „Wir sind von Freunden umzingelt.“ Die klassische Territorialverteidigung mit der großen Panzerschlacht dürfen wir für sehr unwahrscheinlich halten.

Das Augenmerk wird also vor allem auf Auslandseinsätzen liegen?

Ja. Wobei der Appetit der Nato und der EU auf weitere Auslandseinsätze nach Afghanistan begrenzt sein wird. Das hat mit der Finanzkrise zu tun. Aber auch mit den operativen Erfahrungen am Hindukusch und der Tatsache, dass die Isaf-Mission nicht den angestrebten Erfolg hat. Was wir künftig sehen werden, sind wahrscheinlich zunächst einmal kleinere Einsätze. Eine Intervention in einem Bürgerkrieg zum Beispiel, wo es darum geht, die kämpfenden Gruppen auseinanderzuhalten. Oder vergleichsweise einfach abzuschließende Missionen wie im Kosovo, wo man davon ausgehen kann, dass man drei Wochen einen Gegner bombardiert und der dann schon klein beigeben wird.

Was folgt daraus für die Armeen der Zukunft?

Der Zwang zu einer verstärkten Interoperabilität: Die Armeen müssen noch ganz anders als bisher grenzüberschreitend zusammenarbeiten. Schon heute sind Auslandseinsätze fast durchgehend multilaterale Einsätze der Nato und der EU. Zusammenarbeit ist mithin auch schon heute nötig – aber erst die Finanzkrise und die damit einhergehenden Sparzwänge haben den politischen Druck so erhöht, dass jetzt mit substanziellen Schritten zu rechnen ist.

Wie realistisch ist die Erwartung, dass den Forderungen Taten folgen?

Die Chance dieser Krise ist die, dass es aufgrund der finanziellen Zwänge eine größere Bereitschaft gibt, über Pooling und Sharing – also die Zusammenlegung und das Teilen militärischer Fähigkeiten – nachzudenken.

Wird die Armee der Zukunft eine Hightecharmee sein?

Vor einigen Jahren, unter US-Präsident George W. Bush und Pentagonchef Donald Rumsfeld, zirkulierte das Diktum von der „revolution in military affairs“. Dabei wurde das Bild von der Armee der Zukunft als einer Hightecharmee gezeichnet und behauptet, die Zukunft der Kriegsführung orientiere sich ausschließlich an technologischer Überlegenheit, die mit einer Computer- und IT-Überlegenheit einhergehe. Das halte ich auch nicht für völlig falsch. Die USA haben jüngst zum Beispiel ein Cyber Command als vierte Dimension der Kriegsführung eingeführt, eine Dienststelle, die über 15000 Computernetzwerke auf 4000 Militärbasen in 88 Ländern gebietet.

Aber?

Das ist nur die eine Seite der Medaille. Wenn sich in Afghanistan ein Konvoi mit Kettenfahrzeugen der Bundeswehr in Gang setzt oder diese unter Mörserbeschuss gerät, sehen wir vergleichsweise traditionelle Formen der Kriegsführung.

Immer mehr Regierungen setzen Drohnen ein, greifen auf Spezialkräfte und private Sicherheitsfirmen zurück und machen damit den Krieg unsichtbarer.

Es gibt das Bild des sauberen Krieges. Das ist jedoch eine politische Fiktion. Krieg ist nicht deshalb „sauber“, nur weil wir ihn fast ausschließlich noch auf dem Computerbildschirm oder anderweitig medial vermittelt sehen. Aber der Rückgriff auf diese Vorstellung erleichtert es Regierungen, gerade in Demokratien, Zustimmung für ihr militärisches Handeln herzustellen.

Wird das Militär in Zukunft eine größere oder eher eine kleinere Rolle spielen?

Wir tendieren dazu, die Möglichkeiten des Militärs bei der Bewältigung von sicherheitspolitischen Herausforderungen generell zu überschätzen. Wenn es zum Beispiel heißt, die zentrale sicherheitspolitische Herausforderung ist die Proliferation von Massenvernichtungswaffen, dann wird man zu ganz anderen Instrumenten und Institutionen greifen müssen. Das Militär kann helfen, wenn es darum geht, jemanden vom Gebrauch solcher Waffen abzuschrecken. Das funktioniert aber schon nicht mehr, wenn sie sich in der Hand von Terroristen befinden, und noch viel weniger, wenn es darum geht, überhaupt zu verhindern, dass sie in unbefugte Hände gelangen. Vielleicht ist die EU mit ihrem System der Kontrolle von Finanzströmen dafür viel besser geeignet als die Nato mit ihren militärischen Ressourcen.

Markus Kaim ist Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Das Gespräch führte Michael Schmidt.

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