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Hier wird Straßenmaut verlangt.

© dpa

Sicherheitspolitik und Datenschutz: Gute Idee, schlechter Zeitpunkt

Innenminister Hans-Peter Friedrich wollte die Mautdaten zur Verbrechensbekämpfung nutzen, die SPD und auch eigene Parteileute liefen Sturm dagegen. Damit war der Vorstoß erledigt. Doch es wäre falsch, wenn die Snowden-Debatte auch die Koalitionsgespräche zur inneren Sicherheit beherrschte.

Von einem unpassenden Zeitpunkt zu sprechen, wäre untertrieben. Während der Geheimdienstenthüller Edward Snowden in Deutschland als Volksheld verehrt wird, legte die stärkere der beiden künftigen Regierungsparteien am Mittwoch in den Koalitionsverhandlungen ihre neuen Überwachungspläne vor: Nicht nur Mautdaten sollten zur Verbrechensbekämpfung zweckentfremdet werden, forderte Innenminister Hans-Peter Friedrich von der Mautpartei CSU, sondern offenbar auch die Möglichkeiten erweitert, Kameras auf Bahnhöfen zu installieren und wohl auch das Internet auszuspähen. Es ist viel verlangt von einer Gesellschaft, die derzeit ihre Empfindlichkeit in Sachen Datenschutz wieder entdeckt.
Die Idee für den Mautdaten-Zugriff war dann schneller vom Tisch, als man sich über sie empören konnte. Ihr Schicksal zeigt, dass die Reflexe funktionieren; ob dies jedoch mehr den von Snowden ausgelösten Erregungszuständen zuzuschreiben ist als dem tiefen Respekt vor Bürgerrechten, ist unklar. Von der SPD weiß man, dass sie in puncto Sicherheit die Union jederzeit rechts zu überholen in der Lage ist. Es ist alles eine Frage der Situation. Nach dem 11. September regierte die Angst vor Terror, die einen sozialdemokratischen Innenminister zum schwarzen Sheriff werden ließ. Aktuell ist es eben die vor dem amerikanischen Geheimdienst. Mit etwas bösem Willen könnte man das Populismus nennen.

Wer zuerst mit Vorschlägen kommt macht sich verdächtig

Angst macht immer Politik. Doch sie darf sie nicht ersetzen. Auch Union und SPD werden sich fragen lassen müssen, wie Terrorabwehr und polizeiliche Ermittlungen Schritt halten können im Zeitalter entgrenzter Information und Kommunikation. Wer hier zuerst mit Vorschlägen kommt, wie jetzt Friedrich, macht sich verdächtig. Dies ist eine ungute Basis für sinnvolle Überlegungen zum Stand der Verbrechensbekämpfung, wie sie verantwortungsvolle Koalitionäre anzustellen haben. Denn ob Trojaner, Funkzellen oder die Speicherung von Telefonnummern und Internetadressen – Daten sind Spuren, und Fahnder müssen sie lesen können, weshalb sie – unter strengen Auflagen – auch befristet aufzubewahren sind. So werden sich Union und SPD auch auf einen Kompromiss zur Vorratsdatenspeicherung einigen müssen. Viel spricht dafür, dass der Europäische Gerichtshof die überzogenen Vorgaben dazu stutzen wird. Doch das enthebt die Partner nicht ihrer Aufgabe.

Damit erscheint zweifelhaft, ob die berechtigte Front gegen die amerikanischen Machenschaften auch die sicherheitspolitische Linie in den Koalitionsgesprächen bestimmen sollte. Klar, wir sind alle gegen Missbrauch, Big Brother und Big Data. Aber Schlagworte lösen kein Problem. Im Gegenteil, sie können den Blick darauf verstellen. Im Juni wurde ein Kriminalfall aufgeklärt, für den 3,8 Millionen Kfz-Kennzeichendaten und 600000 Handydaten erfasst worden sind, um einen einzigen Mann zu ermitteln, der Lastwagenfahrer mit Gewehrschüssen terrorisierte. War das eine Massenüberwachung, die Kriminalisierung Millionen Unschuldiger? Sicher nicht. Es sollte deshalb auch kein Frevel sein, über den Nutzen von Mautautomaten nachzudenken, um solche Polizeiarbeit zu erleichtern.

Ist eine Datenwende ausgeschlossen?

Die Deutschen haben es geschafft, den Datenschutz in einer weltweit einzigartigen Weise in ihr Verständnis von Kultur und Recht einzuarbeiten. Erstaunlich viel davon wird auch auf europäischer Ebene rezipiert, nicht zuletzt dank des Verfassungsgerichts mit seiner Garantie auf informationelle Selbstbestimmung. Doch die griffige Formel stößt vielfach an Grenzen; es ist klar, dass – Stichwort Google etc. – längst andere unser informationelles Selbst mitbestimmen. Die Frage ist nur, ob und wie etwas davon reguliert und international durchgesetzt werden kann. Widerstand ist zwecklos. Es geht darum, Wandel zu gestalten. Etwas von diesem Pragmatismus wünscht man sich auch in künftigen sicherheitspolitischen Debatten, wenn es etwa um das heikle Thema geht, wie das Zusammenspiel privater Datensammlung und staatlichem Zugriff zu organisieren ist. Weiter kommen müssen wir. Eine Energiewende mag noch möglich sein, eine Datenwende ist ausgeschlossen.

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