zum Hauptinhalt

Sicherheitspolitik: Wie denken wir über Gefährder?

Warum wir in der deutschen IS-Rekrutin eine Schwester sehen, in einem algerischen Gefährder aber jemanden, der abgeschoben werden muss. Eine Kolumne.

Ein Mädchen aus Sachsen hat Stadt und Land verlassen und sich dem Terrorismus angeschlossen. Etwa zur selben Zeit findet ein Mann in Bremen den Tod „der Ungläubigen“ richtig, speichert Videos von Hinrichtungen auf seinem Telefon. Er ist „Gefährder“: Also jemand, der keine Straftat begangen hat, dem die Behörden aber zutrauen, dass er eine begehen könnte. Nicht Terrorist, sondern potenzieller Terrorist. Jemanden wie ihn abzuschieben, so hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, ist vereinbar mit dem Grundgesetz. Es handelt sich um eine „vorbeugende Abschiebung“.

Das Mädchen hat sich dem IS angeschlossen. Hat Vorkehrungen getroffen, Geld besorgt, ist über die Türkei nach Syrien gelangt. Etwa ein Jahr später ist es in der Stadt Mossul von der irakischen Armee zusammen mit anderen IS-Terroristen festgenommen worden. Im Oberschenkel eine Schusswunde, in den Armen ein Scharfschützengewehr – so wird zumindest berichtet. Das Mädchen sitzt jetzt in einem irakischen Gefängnis. Alles weist darauf hin, dass es sich durch die Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation strafbar gemacht hat. Das Auswärtige Amt sei konsularisch tätig geworden und versuche die Aushändigung des Mädchens nach Deutschland zu bewirken. Einer wird abgeschoben. Eine wird zurückgeholt. Warum gehen wir unterschiedlich mit diesen Fällen um?

Was legitimiert eine Abschiebung?

Indes soll klar sein, dass ich nicht die Entscheidungen von Gericht und Bundesregierung diskutieren möchte: Das Mädchen muss in jedem Fall zurückgeholt werden, mindestens, weil ihm im Irak die Todesstrafe drohen könnte. Auch die Abschiebung des Mannes wäre bei möglicher Folter oder Todesstrafe in Algerien nicht verfassungskonform. Über die generelle Problematik von Abschiebungen muss anderswo nachgedacht werden. Dass „vorbeugende Abschiebungen“ gegen die Verfassung nicht verstoßen, bedeutet jedenfalls nicht, dass sie richtig sind. Was mich interessiert, ist nicht, wie Richter, Anwälte und Diplomaten in ihren Funktionen über diese Fälle denken, sondern nach welchen Kriterien wir, die Bürger dieses Staates (oder eines Staates), es richtig finden, dass die eine Person zurückgeholt und die andere abgeschoben wird.

Wir erkennen das Menschsein der einen mehr als das der anderen

Das Mädchen ist Deutsche. Der Mann ist Algerier. Aber die Antwort auf das Staatsbürgerrecht zu reduzieren wäre zu bürokratisch. Es gibt Deutsche, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Wie reden wir über Linda W. und wie reden wir im Vergleich dazu über den Algerier? (Wie heißt er noch mal?) Von Linda W.s Mutter und Schwester wird berichtet, wie sie sich sorgten und erleichtert seien, dass die Tochter/Schwester lebe. Die Bürgermeisterin der Kleinstadt in Sachsen, aus der Linda W. stammt, redet von „seelischer Not“. In der Paraphrase des Gesprächs im Tagesspiegel heißt es: jung, pubertierend, nicht zum islamischen Kontext passend. Ist das der springende Punkt?

Bei Linda W. sehen wir eine Mutter, eine Schwester, wir können uns ein Leben vorstellen, einen Menschen. Bei dem Algerier gibt es in unserer Vorstellung keine Mutter, keine Idylle, da gibt es den islamischen Kontext, wir können uns keinen Menschen vorstellen. Aber genau das spaltet: dass wir das Menschsein der einen mehr erkennen als das Menschsein der anderen. So gelingt es dem „Gefährder“ in seiner Abschiebung noch, unsere Gesellschaft weiter zu verwunden. Hier, bei uns selbst, müssen wir ansetzen, um die Gefahren zu verringern. Vielmehr als eine Verschärfung des Sicherheitsapparates, der sich bei zunehmender Rigidität auch gegen uns selbst wendet.

Deniz Utlu

Zur Startseite