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Aufschluss. Nach Gerichtsurteilen sind Dutzende Verwahrte auf freien Fuß gelangt. Es sollen, nach dem Willen der Regierung, nicht zu viele werden.

© dapd

Sicherungsverwahrung: Wegsperren mal anders

Der Entwurf zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung soll gefährlichen Häftlingen ein freieres Leben hinter Gittern ermöglichen.

Berlin - „Wegsperren – aber anders und auch nicht für immer.“ Derart abgewandelt könnte das Motto lauten, unter dem Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) am Donnerstag in Magdeburg vor der Sonder-Justizministerkonferenz ihre Vorstellungen für eine neue Sicherungsverwahrung gefährlicher Täter präsentiert hat. Und sie sieht sich auf gutem Weg: „Die Unterstützung der Länder in wesentlichen Punkten für mein Konzept ist ein ermutigendes Zeichen, dass der parteipolitische Streit nicht mehr im Vordergrund steht.“

„Wegsperren – und zwar für immer“, hatte einst Kanzler Gerhard Schröder als Devise ausgegeben. In der Folge war die Haft unter Rot-Grün angesichts spektakulärer Gewalt- und Sexualtaten gegen Kinder ausgeweitet worden. Bis der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) 2009 Halt rief.

Das Bundesverfassungsgericht, das in dieser Frage zuvor anderer Meinung war, hat sich im Mai 2011 den Straßburger Kollegen angeschlossen, bestehende Regeln für nichtig erklärt und eine Grundlage geschaffen, um Schwerstfälle zumindest vorübergehend, bis ein neues Gesetz in Kraft ist, in Haft behalten zu können. Weil eine grundlegende Reform der Ministerin aber bereits seit 1. Januar galt und mit dem Spruch gekippt wurde, will sie die aktuellen Pläne nicht als erneute Reform verkaufen – die sie ist –, sondern schlicht als „Umsetzung“ des Urteils.

Falsch ist auch das nicht. Wer die Karlsruher Richter als eine Art Ersatzgesetzgeber kritisiert, bekommt mit den ministeriellen Plänen neue Argumente. Leutheusser-Schnarrenberger hatte dies auch nie verhehlt, es ging ihr stets darum, die Neufassung „eins zu eins“ entlang den Vorgaben zu formulieren.

Freigang und "vollzugsöffnende Maßnahmen" - lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Bundesregierung das Urteil des EGMR umsetzen will.

Wichtigstes Monitum der Richter war das „Abstandsgebot“; der Vollzug der Sicherungsverwahrung müsse anders – therapieorientierter, freiheitlicher – gestaltet sein als der der Strafhaft. Bei manchem stößt das auf gefühlsmäßigen Widerspruch, geht es doch meist um besonders rücksichtslose (Wiederholungs-)Täter. Hintergrund ist, dass Verwahrte ihre Schuld prinzipiell abgesessen haben, dass sie also eine Art „Sonderopfer“ erbringen, um die Gemeinschaft vor sich zu schützen. Strafjuristisch betrachtet sitzen sie „unschuldig“ hinter Gittern. Entsprechend müssten sie, auch wenn sie eingesperrt bleiben, so weit wie möglich leben können wie Menschen in Freiheit. Der Verwahrte soll demnach „eine individuelle und intensive, seine Mitwirkungsbereitschaft weckende und fördernde Betreuung“ angeboten bekommen, so schildert es der Regierungsentwurf, der laut Ministerin in diesem Punkt mit den Ländern abgestimmt ist. Die „Maßregel“, das ist der rechtstechnische Name, soll so bald wie möglich auf Bewährung ausgesetzt oder für erledigt erklärt werden können. Der Vollzug müsse in von der Strafhaft getrennten Gebäuden oder Abteilungen erfolgen, „den allgemeinen Lebensverhältnissen angepasst“ und wenig belastend. Lockerungen, beispielsweise Ausgang – hier heißen sie „vollzugsöffnende Maßnahmen“ –, sollen nur versagt werden, wenn „zwingende Gründe entgegenstehen“, etwa konkrete Fluchtgefahr.

Seit dem Urteil des EGMR und erst recht seit dem aus Karlsruhe kommen immer wieder Täter frei, die nach den neuen Maßstäben zu Unrecht inhaftiert waren. Betroffen sind Fälle rückwirkender Verschärfungen wie dem Wegfall der Zehn-Jahres-Höchstgrenze 1998. Solche „Altfälle“ sollen nur noch inhaftiert bleiben, wenn eine „psychische Störung“ vorliegt und eine „hochgradige Gefahr“ schwerer Gewalt- oder Sexualtaten besteht. Der Gesetzentwurf stellt damit die Übergangslösung des Karlsruher Gerichts auf Dauer. Bereits Freigelassene können nach dem geltenden „Therapieunterbringungsgesetz“ nach ähnlichen Voraussetzungen wieder eingefangen werden. Der Union kommt die Ministerin entgegen, indem sie ihr Konzept der im Urteil „vorbehaltenen“, also noch nicht angeordneten Sicherungsverwahrung, auf das Jugendstrafrecht ausdehnt.

Es bleibt bei dem in der Reform vom Januar schon angelegten Ausbau der vorbehaltenen Verwahrung, erfasst werden jetzt auch Ersttäter, sowie bei der Beschränkung auf Sexual- und Gewalttaten. Mehr als 500 Menschen sitzen in Verwahrung, darunter bisher auch Betrüger oder Fälscher.

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