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Politik: Sie heißt uns hoffen

Von Gerd Appenzeller

Mag sein, dass Charlotte Knobloch als Zentralratspräsidentin des Übergangs gelten wird – aber dann so wie vor ihr Ignatz Bubis und Paul Spiegel als Vertreter der deutschen Juden. Auch sie haben es, trotz weniger Jahre, geschafft, den jüdischen Gemeinden in der Öffentlichkeit ein Gesicht zu geben. Und Übergang heißt ja auch nicht, dass prägende Gestaltungskraft fehlt, bedeutet auch nicht Mangel an Kontur oder gar an Entschlossenheit, Probleme und Sorgen zu benennen. Bereits in ihrer ersten Ansprache nach der Wahl zögerte die 73-Jährige aus München nicht, direkt aus- und anzusprechen, was nicht nur den in Deutschland lebenden Juden zurzeit am meisten auf der Seele brennt: Es ist der vom iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad weltweit geschürte Antisemitismus und sein unverhohlener Hass auf Israel.

Nicht nur Charlotte Knobloch ahnt, dass hinter dem vorgeblich diplomatischen Kampf Teherans gegen Israels Besatzungspolitik und staatliche Existenz ein gegen die Juden als Volk insgesamt gerichteter Zerstörungswille steckt, von dem Extremisten in Europa infiziert sind. Deutsche Rechtsradikale fiebern geradezu einem möglichen Besuch Ahmadinedschads in Deutschland während der WM entgegen. Mehr als 60 Jahre nach der Zerschlagung des Naziregimes müssen sich Vertreter des Judentums in Deutschland also immer noch mit einem politischen Fanatismus auseinander setzen, der sich mit der Ermordung von Millionen Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus nicht erschöpft hat, sondern fortdauernd Juden und jüdische Einrichtungen zum Ziel von Anschlägen macht.

Eine solche permanente Bedrohung verändert gerade das Leben der obersten Repräsentanten der Juden. Ignatz Bubis und Paul Spiegel litten darunter, auch wenn sie es als unvermeidlich getragen haben. Salomon Korn, der neben Charlotte Knobloch als Kandidat für die Nachfolge Paul Spiegels genannt worden war, sieht sich als Mitglied des Zentralrats zwar in die Pflicht genommen, wollte aber, nach allem, was man weiß, mit Rücksicht auf seine Familie die Bürde des Vorsitzes nicht übernehmen. Die Münchnerin, die jetzt gewählt wurde, ist, wie alle ihrer Generation, von der Erinnerung geprägt. Ihre Rettung vor den NS-Schergen durch eine katholische Hausangestellte, die das kleine jüdische Mädchen als ihr uneheliches Kind ausgab, ist ein anrührendes Zeugnis der Menschlichkeit. Die Vergangenheit lebt in den Opfern länger als in den Tätern. Wer mordete, hatte ein gewisses Alter. Opfer konnte auch ein Kind sein. Das erklärt, warum noch die Stimmen der Überlebenden zu hören sind, kaum aber mehr jene, die schuldig geworden waren.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist – und er hat sich danach nicht gedrängt – so etwas wie eine moralische Instanz, deren Stimme man immer zu hören verlangt, wenn Exzesse von Rassismus, Extremismus und Fremdenhass das Land aufwühlen. Das ist seine Rolle nach außen. Aber seine eigentliche Aufgabe ist nach innen gerichtet. Jüdisches Gemeindeleben in einer nichtjüdischen Gesellschaft zu organisieren. Das bedeutet vor allem, 80 000 jüdische Einwanderer, meist aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, mit den 30 000 Überlebenden des Holocaust und ihren Kindern zu einer spirituellen Gemeinschaft zusammenzuführen. Angesichts der völlig unterschiedlichen Traditionen und der verbreiteten Unkenntnis jüdischer Traditionen bei den Zugezogenen eine Aufgabe, die die Integrationskräfte bis zum Zerreißen fordert. Der überwiegend konservativ-orthodoxe Zentralrat tat sich zudem mit der Vertretung der liberalen jüdischen Gemeinden lange sehr schwer.

Jude sein in Deutschland, das heißt heute nicht mehr, auf gepackten Koffern zu sitzen. Aber auch wenn auf Charlotte Knobloch – ihre Amtszeit währt vier Jahre – ein nach dem Krieg Geborener zum Vorsitzenden des Zentralrats gewählt werden sollte, wird diesen die Erinnerung an Auschwitz begleiten. Ihn und uns, die nichtjüdischen Deutschen. Nur aus dieser Erinnerung wachsen die Kraft für die Zukunft und die Hoffnung auf sie.

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