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Stiller Beobachter bei der Wahl im Thüringer Landtag: Benjamin-Immanuel Hoff.

© imago images/Karina Hessland

Linker Staatskanzleichef zu Kemmerich: „Sie sind Ministerpräsident von Gnaden derjenigen, die Millionen ermordet haben“

Thüringens linker Staatskanzleichef verabschiedet sich mit einem Vergleich zum Nationalsozialismus. „Ich gehe guten Gewissens“, sagt er zu Thomas Kemmerich.

Dass erstmals die AfD am Mittwoch der entscheidende Faktor bei der Wahl eines Regierungschefs in Deutschland war, hat viele schockiert und empört. Nachdem der FDP-Politiker Thomas Kemmerich im Erfurter Landtag mit den Stimmen von AfD, CDU und FDP zum Ministerpräsident von Thüringen gekürt worden war, waren mehrfach Vokabeln wie „Tabubruch“ und „Dammbruch“ zu hören.

Einige Kommentatoren stellten jedoch auch den direkten Bezug zum Aufstieg des Nationalsozialismus her.

Der Staatskanzleichef des abgewählten Linken-Regierungschefs Bodo Ramelow konfrontierte Kemmerich persönlich mit diesem Vergleich, wie er bei Twitter schilderte. Er habe „soeben“ die Staatskanzlei an den neuen Ministerpräsidenten übergeben, schrieb Benjamin-Immanuel Hoff – und fügte dann seine begleitenden Worte bei.

„Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, es war der Ordnungsbund, der sich von den Nationalsozialisten tolerieren und ins Amt hieven gelassen hat. Daraus entstand der Mustergau Thüringen“, sagte Hoff nach eigenen Angaben. „Sie müssen damit leben ein Ministerpräsident von Gnaden derjenigen zu sein, die Liberale, Bürgerliche, Linke und Millionen weitere in Buchenwald und anderswo ermordet haben. Ich gehe guten Gewissens.“

„Tiefpunkt der deutschen Nachkriegsgeschichte“

Damit erinnerte Hoff an eine entscheidende Etappe bei der Etablierung der nationalsozialistischen Macht in Deutschland Anfang der 1930er-Jahre: Vor 90 Jahren, im Januar 1930, wurde ausgerechnet in Thüringen die erste Landesregierung mit Beteiligung der NSDAP gebildet.

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In einer Antwort auf den Tweet schickte der SPD-Politiker Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, „solidarisch-kämpferische Grüße“. Zuvor hatte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil die Wahl Kemmerichs mithilfe der AfD schon als einen „Tiefpunkt der deutschen Nachkriegsgeschichte“ bezeichnet. Die FDP lasse sich von der AfD, „die mit Höcke einen waschechten Faschisten in den eigenen Reihen hat, an die Macht wählen.“ Und die CDU spiele „das gefährliche Spiel ohne Skrupel einfach mit“.

Die Wahl von Erfurt berührt die kollektive Identität der deutschen Sozialdemokraten. Einer ihrer wichtigsten historischen Bezugspunkte ist die Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes, mit dem Adolf Hitler im März 1933 die parlamentarische Demokratie von Weimar ausschaltete. Die SPD stimmte damals als einzige Fraktion dagegen.

In der Debatte im Reichstag sprach ihr damaliger Parteivorsitzender Otto Wels die berühmten Worte: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Heute ist der Fraktionssaal der SPD im Reichstaggebäude nach ihm benannt.

Mehr zum Politbeben in Thüringen:

Der Tag von Erfurt

Nach seinem Vertrauten Hoff zog auch Ramelow am Abend die Parallele zu den frühen Erfolgen der Nazis, die mit Thüringen verbunden waren. Er sagte zur Kür Kemmerichs: „Genau 90 Jahre nachdem es in Thüringen schon mal passiert ist: sich von Herrn Höcke und dem Flügel wählen zu lassen. Das war offenbar gut vorbereitet. Eine widerliche Scharade. Höckes Flügel wurde gerade umfassend gestärkt.“ Die Wahl des FDP-Politikers sei „ein deutscher Tabubruch“.

Eine halbe Stunde vor Mitternacht wurde der gescheiterte Ministerpräsident noch deutlicher – indem er ein Hitler-Zitat aus dem Februar 1930 twitterte: „Den größten Erfolg erzielten wir in Thüringen. Dort sind wir heute wirklich die ausschlaggebende Partei.[...] Die Parteien in Thüringen, die bisher die Regierung bildeten, vermögen ohne unsere Mitwirkung keine Majorität aufzubringen.“

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Dazu lud Ramelow zwei Bilder hoch: die Gratulation von Thüringens AfD-Chef Björn Höcke im Landtag an den gerade gewählten Ministerpräsidenten Kemmerich und den Handschlag von Adolf Hitler und dem damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg beim „Tag von Potsdam“ im März 1933, der als symbolischer Übergang von der Weimarer Republik zum Dritten Reich gilt.

Diesen Vergleich hatte zuvor schon ein europäischer Politiker gezogen. Der frühere belgische Ministerpräsident und heutige Europaparlamentarier Guy Verhofstadt erinnerte ebenfalls mit diesen beiden Bildern auf Twitter an den „Tag von Potsdam“ und schrieb dazu: „Was heute in Thüringen geschehen ist, ist völlig inakzeptabel. Meine Reaktion? Nicht in unserem Namen!“ Verhofstadt ist wie Kemmerich ein Liberaler.

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