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Politik: Sie sind sich zu sicher

DIE USA, TERROR UND WIR

Von Christoph von Marschall

Festung Amerika: Ein Flugzeug aus Mexiko muss auf halbem Weg umdrehen, die Kontrollen beim Abflug seien nicht sorgfältig genug gewesen. Transatlantikflüge von Air France und British Airways werden auf amerikanischen Wunsch gestrichen, Passagiere nach der Landung in Washington D.C. stundenlang verhört. Kampfjets eskortieren Zivilflugzeuge. Passagierlisten von Amerikaflügen wollen die USBehörden bereits vor dem Start im Ausland sehen; und sie erhöhen den Druck, bewaffnete „Sky Marshals“ sollten mitfliegen – was europäische Pilotenvereinigungen ablehnen: Schießereien über den Wolken seien womöglich gefährlicher als Entführungen.

Auch die politische Waffe der Wirtschaftssanktionen wird im Kampf gegen den Terror neu entdeckt. Das Embargo gegen Iran war vor über 20 Jahren nach der Besetzung der US-Botschaft in Teheran verhängt worden – auch um das Mullahregime an der Atomrüstung zu hindern. Nun dämpft Präsident Bush die Hoffnung auf ein Ende der Sanktionen nach dem Erdbeben mit der Forderung, erst müsse Iran Al-Qaida-Verdächtige ausliefern.

Steigert sich Amerika in eine Terror-Paranoia? In den zweieinhalb Jahren nach dem 11. September gab es keine neuen Anschläge in den USA. Wird die Terrorangst gar gezielt zur Hysterie gesteigert, um Freiheitsrechte weiter einzuschränken, wie das der Politaktivist Michael Moore der Bush-Regierung vorwirft? Oder sind wir in Europa zu cool? Die Gefahr bedroht auch uns, das sagen zumindest alle Experten: Al Qaida unterscheide nicht zwischen bösen Amerikanern und guten Europäern, nehme den ganzen Westen ins Visier – und Muslime, die mit ihm kooperieren, mit dazu. Das belegt auch die Erfahrung. Von den großen Anschlägen der Jahre 2002, 2003 – Djerba (Tunesien), Bali, Saudi-Arabien, Istanbul – waren Europäer nicht weniger betroffen als Amerikaner. Dennoch feierten Millionen Deutsche an potenziell besonders gefährdeten Plätzen wie am Brandenburger Tor sorglos Silvester – als ginge die Terrorgefahr sie nichts an. Und bei manchen Fluglinien werden wieder Metallmesser zum Imbiss gereicht.

Wer hier übertreibt, die Amerikaner mit ihrer Präventionsversessenheit oder die Deutschen mit ihrer Gefahrenvergessenheit, ist schwer zu beurteilen. Feste Maßstäbe fehlen. Mag sein, dass viele Warnungen blinder Alarm sind oder auf Irrtümern beruhen. Doch weiß auch niemand, wie viele Anschläge durch Wachsamkeit verhindert wurden. Wenn nichts passiert, entsteht allmählich eine Stimmung, man solle es nicht übertreiben; zu Recht erntet Amerika jetzt Spott wegen des mageren Ertrags seines drakonischen Luftschutzes und des peinlichen Eingeständnisses, Namen verwechselt zu haben. Nach einem schweren Attentat dagegen schlägt die Stimmung um: Viel zu lasch waren die Kontrollen.

Der entscheidende Unterschied zwischen den USA und Europa ist nicht der Grad der Liebe zu Demokratie und Freiheit oder der Illusionen über die Verlässlichkeit menschlichen Bemühens um Gefahrenabwehr. Sondern das Gefühl, ob man vom Terror betroffen ist. Fast alle Amerikaner fühlten sich gemeint, als die Flugzeuge ins World Trade Center rasten. Sie sind bereit, sehr viel hinzunehmen, um eine Wiederholung zu verhindern. Lieber fünf Mal Flug und wichtige Termine verpasst als einmal ein Attentat riskiert. Die Kontrollen bei inneramerikanischen Flügen sind seit Herbst 2001 wesentlich schärfer als jene, die Amerika jetzt aus dem Ausland einfliegenden Passagieren zumutet. Und was die Sanktionen und Drohungen gegen Schurkenstaaten betrifft, kann Bush zumindest Erfolge vorweisen: Libyens Gaddafi verzichtet auf Massenvernichtungswaffen, Nordkorea will nun doch wieder US-Kontrolleure in seine Atomanlagen lassen, auch Iran zeigt Entgegenkommen.

Höchstwahrscheinlich übertreibt es Amerika mit seinem Glauben an harte Sicherheitsmaßnahmen ein wenig. So wie es Europa vermutlich untertreibt. Es ist ein ständiges Abwägen. Demokratische Gesellschaften dürfen sich nicht daran gewöhnen, Grundrechte einzuschränken. Nur, wissen wir denn so genau, wie viel weniger Freiheit uns ein Mehr an Sicherheit wert wäre? Und umgekehrt: Wie viel weniger Sicherheit wir bereit sind hinzunehmen, um Freiheit zu bewahren – selbst wenn es eines Tages Tote kostet?

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