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Politik: „Sie wollen die schmutzige Bombe“

Gijs de Vries, Anti-Terror-Koordinator der EU, warnt vor einer realen Gefahr

Einer der am Sonntag unter Terrorismusverdacht verhafteten Männer hatte versucht, an radioaktives Material zu kommen. Wie groß ist die akute Gefahr eines Anschlags mit einer „schmutzigen“ Bombe?

Mehrere terroristische Gruppen haben bereits aktiv versucht, chemische, biologische oder radioaktive Substanzen in die Hand zu bekommen, um sie für terroristische Anschläge zu nutzen. Die Gefahr besteht ganz real.

Wie viele Versuche, solche Substanzen in die Hand zu bekommen, sind aus den letzten Jahren bekannt?

Die Internationale Atomenergiebehörde hat mehr als 600 Fälle aufgelistet, in denen seit 1993 nukleare oder andere radioaktive Substanzen gehandelt wurden.

Es gibt also einen Markt, auf dem Terroristen sich bestücken können?

Es gibt einen Schwarzmarkt für radioaktives Material – den die Regierungen jedoch sehr eng beobachten.

Die Regierungen weltweit konnten schon Terror-Gelder in Millionenhöhe stoppen – Mittel, die für radioaktives Material in großen Summen gebraucht werden. Ist nun weniger Geld in den Händen der Terroristen?

Das kann ich nicht sagen. Aber nach Angaben der Vereinten Nationen wurden schon mehr als 135 Millionen US-Dollar eingefroren. Terroristen, das beobachten wir jetzt, bedienen sich deshalb wahrscheinlich weniger der offiziellen Bankwege und verlegen sich auf inoffiziellere Wege der Beschaffung: Gemeinnützige Organisationen zum Beispiel oder den persönlichen Transport von Geld über die Grenzen. Dem müssen wir jetzt unsere Kontrollmechanismen anpassen.

Sie sind einer der Männer in Europa, die wohl den besten Einblick in die europäischen terroristischen Strukturen haben. Wie schätzen Sie die Situation ein: In welcher Gefahr leben wir?

Die terroristische Gefahr in Europa bleibt hoch. Und besteht wahrscheinlich langfristig.

Kommt die Gefahr von außen nach Europa oder kommt sie von innen?

Terroristen kommen nach Europa, aber wie die Anschläge in Madrid im vergangenen Jahr zeigen, darf man die Gefahr von innen nicht unterschätzen.

Sie sind bei Innenminister Otto Schily, auch um ihm Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Unternimmt die deutsche Regierung genug im Anti-Terror-Kampf?

Deutschland, Innenminister Otto Schily und Justizministerin Brigitte Zypries spielen eine führende Rolle im Kampf gegen den Terrorismus. Darüberhinaus kann ich nur sagen, dass der Europäische Rat allen Mitgliedsländern empfohlen hat, die Zusammenarbeit der verschiedenen Polizei- und Geheimdienstbehörden und den Informationsaustausch zu verbessern. Auch wenn der Weg, den die Länder einschlagen, je nach System – föderal oder einheitsstaatlich – natürlich unterschiedlich sein muss.

Das Gespräch führte Barbara Junge.

Der Niederländer Gijs de Vries (48) ist seit März 2003 EU-Anti-Terror-Koordinator. Bis 1998 war der Politologe Chef der Liberalen im EU-Parlament, bis 2002 Innenstaatssekretär in Holland.

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