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Politik: Siegen bis zum nächsten Krieg

Von Gerd Appenzeller

Hunderttausende sind auf der Flucht, Unschuldige werden Opfer von Raketen, ein Land wird um viele Jahre in seiner Entwicklung zurückgebombt, ist in seiner Existenz gefährdet. Libanon.

Tausende verbringen Tage und Nächte in Luftschutzkellern, Sirenen heulen, Raketen schlagen in den Städten ein, Unschuldige sterben, der Feind ruft auf, das Land zu vernichten. Israel.

Das Schicksal beider Länder ist offenbar untrennbar miteinander verbunden. Israel ist stark und der Libanon ist schwach, aber weil er so schwach ist, ist er für Israel so gefährlich. Mehr als 20 Jahre bestimmte Syrien, was im Libanon geschieht und machte das einst so reiche Land an der Mittelmeerküste zum Aufmarsch- und Rückzugsgebiet von Terroristen. Dann übernahm der Iran die Rolle der Macht hinter den Mächtigen. Wie massiv die Hisbollah durch die Fanatiker in Teheran aufgerüstet wurde, scheint Israel lange nicht bemerkt zu haben. Jetzt will das israelische Militär diese Strukturen zerschlagen und vernichtet dabei das halbe Land, macht sich zahllose neue Feinde unter den vielen Unschuldigen, die alles verloren haben, und die noch glücklich sind, wenn dieses „alles“ nur materiell war. Frieden kann Israel so nicht gewinnen, bestenfalls siegen bis zum nächsten Krieg.

Aber was soll der jüdische Staat tun? Damaskus und Teheran bombardieren? Dort regieren die Verursacher der libanesischen Misere, dort wird die Vernichtung Israels propagiert. Selbst wenn man die blumigen Sprachbilder der orientalischen Welt ihrer Wortgirlanden entkleidet, bleibt nichts als Zynismus. Wie schon 1947, bei der Gründung des Staates Israel, wollen seine Gegner dessen Zerstörung.

Der Großmufti von Jerusalem forderte vor einem halben Jahrhundert, die Juden ins Meer zu treiben. Irans Präsident Ahmadinedschad will sie in die europäischen Länder zurückschicken, aus denen ihre Vorväter kamen. Der Unterschied ist bestenfalls graduell. Nicht um Befreiung besetzter palästinensischer Gebiete geht es, sondern um Auslöschung des jüdischen Staates – als habe der nicht genauso viel Existenzrecht in dieser Region wie alle seine Nachbarn. Nur Libanon und Ägypten blicken auf eine ältere staatliche Tradition zurück, keiner von allen aber, Ägypten ausgenommen, hat eine vergleichbare kulturelle und geschichtliche Verankerung im Nahen Osten.

Es gab einmal eine Zeit, in der die USA eine vermittelnde Rolle im Nahen Osten spielten, gerade weil sie Israels Existenzrecht verbriefen konnten. Diese Zeit ist vorbei, verschüttet unter den Trümmern einer Außenpolitik, deren Platz die Sprache und die Machtmittel des Pentagon eingenommen haben. George W. Bush konnte beim G-8-Gipfel noch fluchend fordern, der „Scheiß“ müsse endlich aufhören. Aber Gesprächsfäden aufzunehmen im Nahen Osten, versucht er erst gar nicht – wo denn auch, mit wem denn auch, durch wen denn auch? Das Desaster im Irak bindet alle Kräfte. Und es hat, am Rande, eben auch dazu geführt, dass der Terror gegenüber Israel immer weiter wuchert.

Was amerikanische Diplomatie in Nahost vermochte, sieht man noch immer am Verhältnis zwischen Israel auf der einen Seite und Jordanien und Ägypten auf der anderen. Aber da amtierten eben im Weißen Haus auch Präsidenten, die selbstbewusst genug waren, den Mut zum Frieden zu stärken. Dass Europa diese Rolle der USA übernehmen könnte, ist vorerst nur eine Wunschvorstellung.

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