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Sigmar Gabriel

© ddp

Sigmar Gabriel: ''Wir können den Felsbrocken nicht mit dem Strohhalm aufhalten''

Umweltminister Sigmar Gabriel sprach mit dem Tagesspiegel über ein neues europäisches Konjunkturprogramm – und die Notwendigkeit, mit den USA an einem Strang zu ziehen.

Warum steht die SPD in der Debatte um ein zweites Konjunkturpaket auf der Bremse?



Wir stehen weder auf der Bremse, noch geben wir zu früh Gas. Über Ausmaß und Zuschnitt eines weiteren Konjunkturpakets können wir erst entscheiden, wenn die Wirtschaftsdaten des beginnenden Jahres vorliegen. Die Richtung hat unser Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier mit seinem Plädoyer für ein europäisch abgestimmtes Investitionsprogramm zur Stabilisierung von Wirtschaft und Beschäftigung vorgegeben. Ein europäisches Paket muss dann mit dem klassischen keynesianischen Konjunkturprogramm des neuen US-Präsidenten Barack Obama verkoppelt werden, das im Januar vorgestellt wird. Erklärtes Ziel der USA dabei ist, in Technologien für Energieeffizienz und Klimaschutz zu investieren.

Finanzminister Steinbrück will bei der Koalitionsrunde am 5. Januar über ein weiteres Konjunkturpaket noch nicht einmal diskutieren.

Ich verstehe das als Ausdruck seiner Sorge, dass angesichts des öffentlichen Drucks vor der Abstimmung in Europa und mit den USA Maßnahmen beschlossen werden könnten, die nichts bringen. Wir haben ja gerade erst ein Konjunkturpaket auf den Weg gebracht. Es macht doch Sinn, erst einmal zu sehen, welche Wirkung es entfaltet. Außerdem sind nationale Alleingänge wenig Erfolg versprechend. Wer die größte Weltwirtschaftskrise seit 1945 meistern will, darf nicht glauben, mit nationalen Ausgabeprogrammen allein dagegenhalten zu können Das wäre so, als wollte man einen anrollenden Felsbrocken mit einem Strohhalm aufhalten. Deshalb hat der SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier recht, wenn er ein europäisches Investitionsprogramm fordert.

Innenminister Wolfgang Schäuble rät seiner CDU, in der Wirtschaftskrise auf Nachfragepolitik zu setzen, während Peer Steinbrück über die „Spät-Keynesianer“ in der SPD spottet. Kann Ihre Partei so Erfolg haben?

Dass ausgerechnet die, die 30 Jahre Nachfragepolitik für Teufelszeug gehalten und den freien Markt wie ein goldenes Kalb angebetet haben, jetzt nach Investitionen von Vater Staat rufen, ist schon sehr eigenartig. Ich sage dazu: Der liebe Gott hat uns zwei Hände gegeben. Wir sollten daher die Unternehmen bei der Stärkung ihrer Wettbewerbsbedingungen unterstützen und die Nachfrage stärken. Eines ist klar: Wir stehen vor einem großen weltweiten keynesianischen Programm. Unsere Aufgabe ist es, die richtige Dimension zu finden und das Programm zwischen Europa und Amerika zu koordinieren.

Wer soll diese Programme bezahlen?

Wer Keynes bemüht, muss ihn ganz lesen: Es geht nicht nur um „deficit spending“ in schlechten Zeiten, sondern auch um „surplus saving“ in guten. Konkret bedeutet das, dass wir jetzt zwar das Maastricht-Kriterium der dreiprozentigen Verschuldungsgrenze in Europa überschreiten könnten, dann aber gleichzeitig festschreiben müssen, dass in besseren Zeiten die Obergrenze deutlich unter drei Prozent liegen muss.

Die USA wollen 700 Milliarden Dollar für ihr Programm ausgeben. Wie viel muss Europa investieren?

Der Rat der Wirtschaftsweisen lautet: Jeder EU-Mitgliedstaat sollte zwischen 0,5 und einem Prozent des Bruttosozialprodukts zusätzlich investieren. Das wären in Deutschland insgesamt rund 25 Milliarden Euro, die an Investitionen notwendig sind. Das jetzt gerade beschlossene Konjunkturprogramm soll ja sogar eine Hebelwirkung von 50 Milliarden Euro entfalten.

Ihr Finanzminister ist sich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel einig, dass Deutschland mit den bisherigen Konjunkturhilfen und anderen Maßnahmen wie der Kindergelderhöhung sein Soll bereits erfüllt hat.

Das geht zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch in Ordnung. Anfang des Jahres werden wir dennoch über ein weiteres, mit den USA abgestimmtes europäisches Investitionsprogramm zu entscheiden haben.

Wie sollte ein solches Programm aussehen?

Grundlage muss das Zukunftsinvestitionsprogramm für Europa von Frank-Walter Steinmeier sein. Es muss dafür sorgen, dass die Wettbewerbsfähigkeit nach der Krise höher ist als vor der Krise. Das bedeutet vor allem Investitionen in den Bereichen Energie und Klimaschutz. Ich spreche von einer Investitionsoffensive in Europas Zukunft, einem „New Deal“ für Arbeit und Umwelt. Konkret heißt das: Massiver Ausbau des europäischen Stromnetzes, massiver Ausbau der Offshore-Windparks vor den Küsten Europas und energetische Sanierung ganzer Wohnquartiere mit modernen Heizsystemen und Wärmeschutzinvestitionen. Diese Investitionen sind die wirksamen Konjunkturimpulse, weil jeder staatliche Euro sieben private Euro anzieht. Wir müssen außerdem massiv in öffentliche Einrichtungen investieren – in Schulen, Kindergärten, Pflegeeinrichtungen. Solche Maßnahmen wirken sofort auf dem Arbeitsmarkt.

Die Automobilindustrie fordert eine Abwrackprämie, um den Absatz von Neuwagen anzukurbeln. Wäre das sinnvoll?

Das Bundesumweltministerium hat auch einen solchen Vorschlag entwickelt. Aber auch wir müssen zugeben: Es gibt viele negative Nebenwirkungen. Allerdings sehe ich, dass es weitere Anreize für den Kauf von Neuwagen geben muss. Wir prüfen daher, ob es für die Käufer von Neuwagen ein Zinsprogramm geben kann. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau könnte ein solches Programm für Kauf oder Leasing auflegen, bei dem Käufern von Neuwagen zinsgünstigere Darlehen gegeben werden können.

Die Fragen stellten Stephan Haselberger und Antje Sirleschtov.

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