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Nach links? Nach rechts? Oder geradeaus? Pragmatismus würde den Verhandlern gut tun.

© dpa

Sinnfrage vor Sondierungen: Wozu soll Jamaika eigentlich gut sein?

Das potenzielle Regierungsbündnis zum Projekt zu erklären, würde alle überfordern. Dennoch müssen erstmal die Chancen benannt werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Robert Birnbaum

Nein, so wird das nichts mit der Jamaika-Koalition. Ganze zwei Tage haben CDU, CSU, FDP und Grüne jetzt erst ernsthaft inhaltlich miteinander verhandelt. Das Zwischenergebnis ist ein Finanzpapier, das nachträglich jeder anders auslegt, ein nichtssagendes Europa-Papier sowie jede Menge miese Stimmung. Dass es nicht glatt gehen würde in den Sondierungsrunden, war zu erwarten. Dass es bei der Klima- und der Flüchtlingspolitik zum ersten Mal kracht zwischen den Partnern in spe, ist auch keine wirkliche Überraschung. Aber der aktuelle Streit hat mit Sachfragen nur sehr am Rande zu tun. Das Quartett hat schlicht noch keine tragfähige Antwort auf die Frage gefunden, wozu „gemeinsam regieren“ überhaupt gut sein soll.

Das ist, zugegeben, auch nicht so einfach. Klassische Zweierkoalitionen – oder zweieinhalb, wenn die CSU dabei ist – können sich meist als eine Art Projekt definieren. Rot-Grün war das Projekt der Generation Öko mit den gefühlten Erben Willy Brandts. Schwarz-Gelb sollte ein bürgerliches Gegenstück werden, was dann allerdings schief ging. Die großen Koalitionen entwickelten von sich selbst ein „Mitte“-Verständnis, über das die je parteieigenen Ränder zwar stöhnten, das es aber erlaubte, selbst strittige Projekte anzugehen, ohne dass immer eine ganze Gruppe die Faust in der Tasche ballte.

Jamaika ist sehr viel schwieriger zu gründen. Die exotische Farbkombination ist ein Notbund. Sie zum Projekt zu erklären, würde alle heillos überfordern. Aus dieser richtigen Erkenntnis ziehen aber im Moment viele Beteiligte den falschen Schluss: Sie behandeln das Vorhaben als leere Hülle, in der sie sich mit ihrem eigenen Projekt zu verwirklichen versuchen.

Scheitert Jamaika, wäre auch die Kanzlerin schnell am Ende

Man kann das leicht dort erkennen, wo es krachte. Im Finanz-Kapitel deutet die FDP den „Abbau“ des Solidaritätszuschlags kurzerhand zum Komplett-Abbau um – denn das ist eine der wenigen konkreten Forderungen in Christian Lindners ansonsten recht vagen „Trendwenden“. Im Klima-Papier deuteten die Grünen das prinzipielle Bekenntnis zu den deutschen Klima-Zielen als Zusage für ihr Projekt Kohleausstieg und überhörten die Einwände von FDP und CSU. Im Streit um Flüchtlinge und Zuwanderung versucht die CSU den anderen nicht nur in der Sache das „Obergrenzen light“-Papier mit der CDU aufzuzwingen, sondern auch den eigenen Tonfall.

Dahinter stecken klare Interessenlagen. Alle Parteien brauchen ein Sondierungsergebnis, mit dem sie sich vor Parteigremien und Mitgliedern blicken lassen können. Im Groben heißt das für die FDP, dass sie nicht machtgeil erscheinen darf, die Grünen brauchen vertretbare Sachergebnisse in Kernfragen wie Klima und Europa. Die CSU steckt in der kompliziertesten Klemme, weil es für Horst Seehofer ums politische Überleben geht. Anggela Merkel braucht weniger konkrete Einzelerfolge als das Bündnis im Ganzen – scheitert Jamaika, bevor es zustande kommt, ist es mit der Kanzlerin auch schnell vorbei.

Bloß – so wie bisher geht es eben nicht. So lange jeder nur seine Privatstrategie verfolgt, bleiben Kompromisse Worthülsen und Auslegungsgefechte programmiert. Die Lage erinnert gerade an eine Autowerkstatt, in der sich jeder vorgenommen hat, die eigenen Finger bloß nicht schmutzig zu machen. Aber ob man ein Auto reparieren will oder ein Land regieren – mit blütenweißem Oberhemd kommt da keiner raus.

Niemand erwartet eine Revolution

Vielleicht sollten die Chefs, wenn sie sich dieser Tage zusammensetzen, vor der Suche nach praktischen Kompromisslinien bei Klima und Zuwanderung ein paar Gedanken an das „Warum“ und „Wozu“ verwenden. Auch ein Notbündnis hat seine eigenen Chancen. Zum Beispiel muss es kein Projekt sein. Niemand, der seine Sinne beisammen hat, erwartet von Grünen in einer Regierung mit FDP und Union eine ökologische Revolution. Keiner kann glauben, dass eine Koalition aus CSU und Grünen das Willkommen in Reinkultur oder, im anderen Extrem, die möglichst komplette Abwehr praktiziert. Niemand kann von einer FDP in einer solchen Konstellation eine Steuergroßreform erwarten.

Im Grunde könnten die Verhandler also ziemlich entspannt bleiben. Der Kompromiss, der Abstrich, die verölten Finger sind eingepreist. Nur müssen sie langsam mal anfangen, das auch selber deutlich zu sagen. Horst Seehofer könnte in kleiner Runde sicher einen Erfahrungsbericht anhand des Flüchtlingsstreits darüber geben, was passiert, wenn man bei den eigenen Leuten zu lange zu hohe Erwartungen schürt und dann plötzlich keine Zeit mehr hat, sie von den Bäumen zu holen.

Kurz: Die Jamaikaner müssen gemeinsam ein pragmatisches Selbstbild entwerfen. Was zu tun ist, ist gar nicht strittig: Europa zusammenhalten in einer Donald-Trump-Welt, mit der Migrationskrise human, aber nicht blauäugig umgehen, Deutschland digital und industriell konkurrenzfähig erhalten, die Umwelt bewahren, den sozialen Zusammenhalt kräftigen. Instrumentenfragen sind wichtig, aber zweitrangig. Diesem Anspruch muss Jamaika genügen. Sonst lassen sie es besser sein.

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