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Skandal-Serie: Sex-Videos mischen türkischen Wahlkampf auf

Heimlich aufgenommene Soft-Pornos könnten die politische Landschaft der Türkei verändern. Einer der Vize-Chefs der Nationalistenpartei MHP, der auf den Videos zu sehen ist, trat zurück. Kritiker von Ministerpräsident Erdogan sehen die Regierung hinter dem Skandal.

Der Mann auf dem Sofa will etwas Besonderes von der Frau, die neben ihm liegt. "Zieh' dir einen Schleier an, das macht mich an, das glaubst du gar nicht." Die Frau lacht. Ein anderes Pärchen im selben Zimmer kichert mit. Später wird noch etwas geknutscht auf dem Sofa. Die Szenen, mit versteckter Kamera aufgezeichnet und im Internet veröffentlicht, gehört zu einer Serie von Videos, die kurz vor der Parlamentswahl am 12. Juni die türkische Politik erschüttern. Die heimlich aufgenommenen Soft-Pornos könnten die politische Landschaft verändern - und sogar Auswirkungen auf den Inhalt der geplanten neuen Verfassung des EU-Bewerberstaates haben.

Der Mann mit seiner außerehelichen Gespielin auf dem Sofa ist Recai Yildirim, bis vor kurzem einer der Vize-Chefs der Nationalistenpartei MHP, zuständig ausgerechnet für Frauen- und Familienpolitik. Yildirim ist inzwischen zurückgetreten, genauso wie sein ebenfalls auf dem Video zu sehender Kollege Metin Cobanoglu und acht weitere führende MHP-Funktionäre, die in anderen Aufnahmen zu unfreiwilligen Hauptdarstellern wurden. Selbst den Generalsekretär hat es erwischt.

Für die Nationalistenpartei, die sich als Verein ehrenhafter Patrioten und Saubermänner präsentiert, sind die Videos und die Rücktritte eine Katastrophe. Der Skandal könnte die MHP am Wahltag unter die Zehnprozent-Hürde drücken und damit aus dem Parlament fegen. Sie liegt in den Umfragen ohnehin bei höchstens 15 Prozent, ihre konservativen Wähler sind wütend und verunsichert.

Hauptnutznießer eines Absturzes der MHP wäre wahrscheinlich die religiös-konservative Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Dass die AKP die Wahl am 12. Juni gewinnen wird, gilt angesichts eines Stimmenanteils von rund 45 Prozent in den Umfragen ohnehin als ausgemacht. Sollte die MHP aus dem Parlament fliegen, könnte sich der Anteil der AKP-Sitze in der neuen Legislaturperiode von derzeit 331 auf mehr als 367 erhöhen. Damit hätte die AKP eine Zweidrittel-Mehrheit, was ihr angesichts der nach der Wahl anstehenden Beratungen über eine neue Verfassung für die Türkei eine wichtige Machtposition einräumen würde.

Deshalb sehen Erdogans Kritiker die Regierung hinter dem Skandal. Einer der zurückgetretenen MHP-Funktionäre sprach von einem politischen "Mordanschlag im Auftrag der AKP". MHP-Chef Devlet Bahceli deutete an, dass er regierungsnahen Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen im Verdacht hat, die Videos angefertigt zu haben. Beweise konnten die Regierungsgegner bisher nicht vorlegen.

Die Videos wurden auf der Internetseite von MHP-internen Dissidenten veröffentlicht, die nach eigenen Angaben den Rücktritt von Bahceli erzwingen wollen. Die "Anderen Nationalisten", wie sie sich nennen, werfen dem Parteichef eine inhaltsleere Klüngelpolitik vor. Bahceli und seine Leute müssten weg, damit sich die Partei erneuern könne. Doch wer die "Anderen Nationalisten" sind, weiß bisher niemand, die Website wurde inzwischen auf behördliche Anordnung gesperrt.

Es ist nicht das erste Mal, dass Videos von außerehelichen Affären türkische Spitzenpolitiker zu Fall bringen. Im vergangenen Jahr trat Deniz Baykal, der langjährige Vorsitzende der größten Oppositionspartei, der linksnationalen CHP, nach einem ähnlichen Skandal zurück.

Auch Baykal beschuldigte damals die Regierung - doch er galt selbst bei den eigenen Anhängern als verbohrter Betonkopf ohne Hoffnung auf Mehrheitsfähigkeit, war für Erdogan also ein idealer, weil ungefährlicher Oppositionschef. Viele Beobachter sind deshalb sicher, dass Baykal von parteiinternen Gegnern bloßgestellt wurde, die ihn loswerden wollten.

Ohnehin ist fraglich, ob Erdogan wirklich das Risiko eingehen würde, die MHP mit schmutzigen Tricks zu attackieren. Allein die Diskussion über eine Verwicklung der AKP in den Skandal könnte der Regierungspartei schaden. Schon bringt Erdogan die Theorie ins Gespräch, die Video-Show sei in Wirklichkeit von militanten Regierungsgegnern der mutmaßlichen Putschisten-Gruppe Ergenekon angezettelt worden: Letztes Jahr hätten diese dunklen Kräfte die CHP nach ihren Wünschen neu geformt, jetzt sei die MHP an der Reihe.

Ein Ende der Debatte ist nicht in Sicht. Angeblich warten zwei weitere Videos und ein Tonbandmitschnitt noch auf die Veröffentlichung. Bis zum Wahltag dürften die Skandal-Serie in der Türkei weitergehen.

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