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Politik: Slowakei

Michal Hvorecký,Generation 25Ich gehöre zur unzufriedensten Nation Europas. Diese Stimmungslage drückt sich in einer aktuellen Umfrage der Europäischen Union aus.

Michal Hvorecký,
Generation 25

Ich gehöre zur unzufriedensten Nation Europas. Diese Stimmungslage drückt sich in einer aktuellen Umfrage der Europäischen Union aus. Noch unzufriedener als die Slowaken sind nur die Bewohner der Ukraine, die aber nicht zur EU gehört. Die ökonomischen Reformen, eine der größten Herausforderungen der europäischen Politik seit Jahrzehnten, schlagen sich nicht auf das Bewusstsein der Slowaken nieder. Die Autoindustrie erlebt mit den neuen Fabriken von Volkswagen, Peugeot-Citroën und Hyundai-Kia einen Boom und verhilft dem Staat zu einem Wachstumsschub. Die Mehrheit der Einwohner denkt trotzdem, die Neuerungen haben keinerlei Veränderungen bewirkt.

Die sanfte Revolution führte 1989 die Slowakei zur Demokratie und schließlich am 1. Mai 2004 zurück nach Europa. Für die slowakische Bevölkerung schienen sich viele Hoffnungen bestätigt zu haben, doch bei genauerem Hinsehen zeigen sich immer noch große Widersprüche: eine Gesellschaft geprägt von sozialen Gegensätzen und nationalen Spannungen, ein unabhängiger Staat aufgenommen in die EU und NATO, aber konfrontiert mit Nationalismus, Armut, hoher Arbeitslosigkeit, Kriminalität und nüchterner Skepsis.

Kaum zu glauben wie unterschiedlich man in so einem kleinen Land in Mitteleuropa leben kann: in Bratislava als Boomstadt der ersten Welt, oder in Roma-Siedlungen wie Svinia oder Lefantovce, wo man sich wie in der dritten Welt fühlt. 74 Prozent der Bewohner wünschen sich die Abschaffung dieser Unterschiede und mehr Gleichberechtigung. Doch den Slowaken geht es wirtschaftlich besser als ihren Nachbarn im Süden und im Osten. Warum fühlen sie sich dennoch immer benachteiligt? Meine Landsleute sind unzufrieden, denn sie wissen im Moment nicht so richtig, wo ihre eigene neue Identität in der Europäischen Union liegt.

Die Slowakei ist ein Land der Supermodels wie Adriana Sklenarikova, Linda Nyvltova oder Denisa Dvoncova und das Land der Weltherrschaft im Eishockey. Aber mein Land ist tief geteilt und wartet auf einen Dialog zwischen den Regionen mit ihren radikal unterschiedlichen Erfahrungen und Wertvorstellungen.

Der Autor, Jahrgang 1976, ist Schriftsteller und Künstlerischer Leiter von young.euro.connect. Im August 2007 erscheint sein Roman "CITY: der unwahrscheinlichste aller Orte" im Berlin Verlag.



Andrej Durkovský,
Generation 50

Wenn über die Verbesserung des europäischen Dialogs gesprochen wird, entscheiden nicht nur Brüssel und die Mitgliedstaaten darüber, wie die verschiedenen Angelegenheiten bewältigt werden sollen. In den einzelnen Staaten darf die Kommunikation über die europäischen Angelegenheiten nicht nur auf der höchsten Staatsebene stattfinden. An dem Gesamtprozess müssen sich vielmehr auch die örtlichen und regionalen Stellen, die Organe der Selbstverwaltung, so wie die Bürger beteiligen.

Die Stärkung dieses Aspektes ist unumgänglich, nicht nur für das Wachstum der Demokratie im Sinne eines faktisch gesamtgesellschaftlichen freien Dialogs, sondern auch für die Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftswachstums, Bildung von neuen und besseren Arbeitsstellen, für mehr Investitionen in die Innovationen, sowie das Wachstum der regionalen Wirtschaftskraft und der Landschaftsverbände als Lebens- und Arbeitsräume der Bürger des jeweiligen Staates. Es sind stets die Regionen oder Landschaftsverbände, in denen wir die Erkenntnisse und die professionelle Sicht finden, welche die Identifizierung der Stärken und Schwächen, das Bestimmen und Definieren der konkreten Politik und die Strategiebildung gemäß der Bedürfnisse der konkreten Region oder des Landschaftsverbands ermöglicht. Fortan kommt die Zeit für die Bürgerdemokratie, die Zeit, um unser Europa aus den diplomatischen Sälen und Konferenzräumen an die Bürger weiter zu reichen, damit es tatsächlich uns allen gehört.

Der Autor, Jahrgang 1958, ist seit 2002 Oberbürgermeister von Bratislava. Übersetzt aus dem Slowakischen von Irena Mosig.


Miroslav Kusý,
Generation 75

Als die Tschechoslowakei noch ein Bestandteil des sowjetischen Blocks war, hatten wir die Gewohnheit zu betonen, dass wir Mitteleuropa angehören. Es diente uns als Schutz davor, uns durch die Russen oder durch den Westen Osteuropa zuordnen zu lassen, dort haben wir aus unserer tiefsten Überzeugung wahrhaftig nicht hingehört, dort haben wir uns nicht heimisch gefühlt. Damals war es uns sehr wichtig, die mitteleuropäische Tradition zu erneuern, wir haben uns an den Geist Mitteleuropas erinnert, diskutierten und schrieben über seinen ehemaligen Glanz und darüber, was uns in dem mitteleuropäischen Raum alles auch weiterhin verbindet und woran wir anknüpfen könnten.

Mit dem Zerfall des sowjetischen Blocks haben wir indessen angefangen, über die Rückkehr ins Europa zu sprechen. Nicht in das Mitteleuropa, sondern in das Europa generell, aus unserem Blickwinkel - geographisch, so wie auch politisch - sozusagen in das westliche Europa. In dieser neuen Situation haben wir aufgehört, mit dem Mittleren Europa zu argumentieren, es war für uns nicht mehr unvermeidbar, hinter ihm unsere tatsächliche Orientierung zu verbergen. An die Tschechoslowakei in ihrer Gestalt zwischen den beiden Weltkriegen, zu Masaryks Regierungszeiten, wollten wir ja anknüpfen, denn diese besaß eine hoch entwickelte europäische Demokratie, für die wir uns gewiss nicht schämen mussten.

Obwohl wir Europa körperlich nie verlassen haben, mussten wir uns hier politisch neu einordnen. Diese unsere Rückkehr ins Europa hat formal statt gefunden, als wir am 1. Mai 2004 der Europäischen Union als neues Mitglied beigetreten sind. Für meine Generation hat dieses lang erwünschte und doch so unerwartete comeback den Beigeschmack einer siegreichen Vollendung unseres leidvollen Lebensweges. Geboren in der demokratischen Vorkriegs-Tschechoslowakei; die Pubertät in dem klerikal-faschistischen Slowakischen Staat überwindend, dessen Präsident als Kriegsverbrecher verurteil wurde; heranwachsend in dem Nachkriegschaos der wiederhergestellten Tschechoslowakei; in das Leben eintretend bereits hinter dem eisernen Vorhang, während der kommunistischen Gewaltherrschaft der fünfzigen Jahre; als Erwachsene haben wir dann in unserer Heimat einen Demokratisierungsversuch gestartet, genannt Prager Frühling und seine Niederlage, gefolgt von einer Zeit der neostalinistischen Normalisierung, überstanden; während dieser haben wir schließlich auch das Rentenalter erreicht; als beginnende Senioren führten wir die Samtene Revolution an, welche uns zum Fall des Kommunismus geführt und somit auch zurück ins Europa gebracht hat.

Nach der ersten Euphorie begann jedoch die Zeit der rationellen Überlegungen. Der dabei verworfene Gedanke an Mitteleuropa gewinnt wieder an Reiz und Wert. Nicht als eine Alternative zur Europäischen Union, vielmehr als Ergänzung und Zwischenglied. Die kleinen Landschaften dieser Region erreichen dadurch eine Chance, sich ins Licht zu setzen und ein gleichwertiger Partner der europäischen Mächte zu werden. Dabei müsste das Konzept Mitteleuropas ab ovo umgestaltet werden, geopolitisch so wie auch organisatorisch. Womöglich würde es sich lohnen.

Der Autor, Jahrgang 1931, war als Professor für Philosophie an der Comenius-Universität Bratislava nach seiner Beteiligung am Prager Frühling 1968 mehrfach im Gefängnis. Bei der Samtenen Revolution war er eine der führenden Persönlichkeiten der Bewegung "Öffentlichkeit gegen Gewalt" und wurde später der erste frei gewählte Rektor der Comenius-Universität Bratislava. Übersetzt aus dem Slowakischen von Irena Mosig.

Juraj Kukura

Europa ist ein Erdteil wo auf relativ kleinem Gebiet viele Völker mit unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Mentalitäten leben. Auf Grund des gegenwärtigen Trends zur Globalisierung leben hier auch viele Menschen aus Asien und arabischen Ländern. Wenn es uns gelingt, auf unserem kleinen Gebiet eine Form der Koexistenz zu finden, dann gelingt es sicher auch dem Rest der Welt. Die Grundlage liegt in der Toleranz des Andersseins, im gegenseitigen Respekt. Ich glaube, dass die Menschen in Ost- und Mitteleuropa dankbar sind für die Investitionen, welche nach dem Fall des Kommunismus in ihren Ländern stattgefunden haben. Ohne Rücksicht auf die Größe der jeweiligen Staaten sind sie keine Kolonien geworden, sondern fühlen sich als gleichwertige Partner, auch mit Staaten ohne kommunistische Vergangenheit.

Der erste Schritt in Richtung eines gemeinsamen Europa ist gelungen, der zweite sollte Investition in Kunst, Kultur und Bildung sein, denn Kunst ist ein Mittel für einen Dialog zwischen den Ländern. Wir haben eine Chance bekommen gemeinsam zu leben: wir müssen sie nützen, d.h. wir müssen tolerant sein.

Der Autor, Jahrgang 1947, ist Schauspieler. 1985 emigrierte er nach Deutschland, woraufhin seine Filme bis zum Ende des kommunistischen Regimes 1989 in der Slowakei verboten blieben.

Peter Machajdik

Die Zukunft Europas? Ich hoffe, dass die Regierungen den Menschen die Augen dafür öffnen, dass es um "ihr" Europa geht und dass die Bürger sich immer häufiger und intensiver ums Geschehen rund um sich interessieren werden. Für mich ist besonders wichtig, dass alle Länder und deren einzelne Regionen ihre Tradition und ihre eigene Identität behalten, damit man weiterhin spürt, welcher Kultur man angehört. Es ist mir ebenso wichtig, dass die Europäer mit ihren Gedanken, Ansichten, Bräuchen nicht in ein und dieselbe Substanz verschmelzen, damit sie auch das, was für sie neu und scheinbar fremd ist, zu verstehen und zu schätzen lernen. Ich stelle mir das Europa der Zukunft als einen toleranten, friedlichen Teil der Welt vor, in dem jeder die Möglichkeit bekommt, überall zu studieren, zu arbeiten und würdevoll zu leben.

Ein modernisierter Arbeitsmarkt, Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen, modernisierte Sozialsysteme in einem wettbewerbsfähigem und dynamisch wissensbasiertem Wirtschaftsraum, das sind die Themen, über die offen diskutiert werden muss. Genauso beantwortet werden müssen die Fragen zur Sicherheit, zur Rente, zum Umweltschutz und zum Lebensstandard.

Der Autor, Jahrgang 1961, wurde in den 80er Jahren wegen seines damals von der westlichen Avantgarde geprägten Musikdenkens nicht an die Musikakademie Bratislavas aufgenommen Er ist der preisgekrönteste zeitgenössische slowakische Komponist.

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