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Präsident Sepp Blatter. Die Fifa ist sein Leben.

© dpa

So funktioniert die Fifa unter Sepp Blatter: Zuhause in der Wagenburg

Auf dem Papier sind die Strukturen des Fußball-Weltverbands Fifa ausgewogen. Doch Präsident Joseph Blatter hat sie sich ganz nach seinem Sinn zurechtgebogen.

Von Johannes Nedo

Eigentlich ist es ganz einfach, jedenfalls aus Sicht der Fifa. Was der Fußball-Weltverband tut, kann er in nur dreieinhalb Minuten selbst erklären – anhand eines Youtube-Videos im Sendung-mit-der-Maus- Stil. Da präsentiert sich die Fifa als die Vereinten Nationen des Fußballs. Die UN des schönen Spiels. Die dafür da ist, dem Fußball zu dienen, ihn zu schützen und weiterzuentwickeln.

In dem Filmchen auf der eigenen Internetseite werden mit niedlichen Animationen und Illustrationen die Fifa-Strukturen dargestellt – mit bunten Logos für die sechs Konföderationen, mit bunten Fähnchen für die 209 Mitgliedsländer und mit bunten Fotos von den Gremien- und Kommissionssitzungen. Dazu erzählt eine väterliche Stimme, was die Fifa so macht. Und dabei fällt der Satz: „Um die richtigen Entscheidungen für den Fußball zu treffen, muss man die richtigen Leute zur richtigen Zeit zusammenbringen – damit eine Person nicht zu viel Einfluss hat.“ Ein schöner Satz, der ja auch Sinn ergibt. Allerdings ist es so, dass die Fifa nun mal nicht so wahrgenommen wird. Im Gegenteil.

Denkt man an die Fifa, denkt man an Joseph Blatter. Den ewigen Präsidenten, der zwar oft viele Leute zusammenbringt – aber seinen Weltverband vollkommen im Griff hat. Doch warum ist das so, wenn es all diese klaren Strukturen gibt? Strukturen, die auf den ersten Blick ganz übersichtlich, ausgewogen und eindeutig erscheinen (wie in dem Organigramm).

Aber so unabhängig und frei die einzelnen Fifa-Organe auch wirken, Blatter hat sie sich so zurechtgebogen, dass am Ende eben nur eine Person und ein kleiner Günstlingskreis viel Einfluss haben. Zu viel Einfluss.

Wie hat Blatter das geschafft? Und wie ist es tatsächlich um die Strukturen und Kontrollinstanzen des Weltverbands bestellt? Die Antworten auf diese Fragen sagen einiges darüber aus, wie das Gebilde Fifa funktioniert und die Beteiligten ticken. Denn all die Verbindungen innerhalb des Weltverbands sind vor allem eines: nicht so simpel wie eine Sendung-mit-der-Maus-Erklärung.

Formal gesehen gibt es bei der Fifa zwei Entscheidungsgremien – den Kongress und das Exekutivkomitee. Im Kongress kommen einmal jährlich alle 209 Mitgliedsstaaten zusammen. Es ist der Ort für die Grundsatzentscheidungen, zur Sache geht es dort aber kaum: Die Mitglieder bestimmen über die Statuten, entscheiden über die Aufnahme neuer Verbände oder den Ausschluss von Nationalverbänden. Wirklich interessant wird es eigentlich nur alle vier Jahre, wenn der Präsident gewählt wird.

Schlechte Presse kann Sepp Blatter relativ egal sein

Den Rückhalt im Kongress hat sich Blatter durch zwei Punkte gesichert: die Stimmenverteilung und großzügige Überweisungen. Weil jedes Mitgliedsland exakt eine Stimme besitzt, haben große kritische Verbände wie England und Deutschland bei der Wahl genauso viel – oder eher wenig – Einfluss wie Vanuatu und die Komoren. Blatter nennt das demokratisch, nutzt dieses System aber vor allem, um die Kleinen zu umgarnen. Staaten, in denen nicht genau geschaut wird, was mit den jährlichen Bonuszahlungen der Fifa von 250 000 US-Dollar an die Nationalverbände passiert. Staaten, in denen der Fußball gar nicht so sehr im Rampenlicht steht und wo solch ein konstanter Geldregen den Fußballfunktionären vor Ort ganz neue Möglichkeiten verschafft – in jeder Hinsicht.

Außerdem weiß Blatter, dass schlechte Presse ihm relativ egal sein kann, solange nur die Mehrheit der 209 Mitgliedsländer hinter ihm steht. Das zu erreichen ist ein Kinderspiel im Vergleich zu den Verhandlungsmarathons von Angela Merkel bei der EU. Blatter muss nur die vergleichsweise kleine Gruppe Delegierter protegieren. Das fällt ihm auch deshalb so leicht, weil der Schweizer der Dagobert Duck des Fußballs ist. Der Fifa-Geldspeicher füllt sich immer mehr. In den vergangenen vier Jahren verzeichnete der Weltverband Rekordeinnahmen von 5,7 Milliarden US-Dollar, der Gewinn betrug 338 Millionen, die Reserven wuchsen auf 1,5 Milliarden US-Dollar.

Neben den Fifa-Zahlungen ermöglicht Blatter den Verbandsoffiziellen angenehme Reisen um die Welt, bei denen sie in edlen Hotels logieren und sich wichtig vorkommen, weil sie von Fifa-Mitarbeitern und einem schicken Shuttle-Service abgeholt werden. Der nächste Kongress am Donnerstag und Freitag findet im schönen Zürich statt, 2016 geht es nach Mexiko-Stadt, 2017 nach Kuala Lumpur. Für die Ausrichtung der Kongresse müssen sich interessierte Länder übrigens auch bewerben.

Der zweite, noch kleinere Kreis an Entscheidungsträgern sitzt im Exekutivkomitee, der sogenannten Weltregierung des Fußballs. 25 Mitglieder hat das Gremium, dazu gehört ab Freitag auch der Präsident des Deutschen Fußball-Verbands (DFB), Wolfgang Niersbach. Er löst dort Theo Zwanziger ab. Das Exekutivkomitee verantwortet unter anderem alle Fifa-Wettbewerbe, und es besetzt die Ausschüsse und Kommissionen der Fifa – davon gibt es derzeit mehr als 20, von der Beach-Soccer-Kommission bis zur Entwicklungskommission. Auch das ist eine elegante Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für viele Verbandsvertreter aus aller Welt.

Im Exekutivkomitee hat Blatter die Zügel ebenfalls fest in der Hand. Und das nicht nur, weil dessen Mitglieder selbstverständlich den Komfort von Erste-Klasse-Flügen und Fünfsternehotels genießen. Blatter handelt dort nach der Devise: Wenn du mich unterstützt, lasse ich dich in Ruhe deine krummen Dinger durchziehen. Wie zum Beispiel beim Kameruner Issa Hayatou. Der Fifa-Vizepräsident und Präsident des Afrikanischen Fußball-Verbands (CAF) ließ die Altersgrenze von 70 Jahren ändern, damit er beim CAF weiter amtieren kann. Blatter sagt dazu nichts, so lange Hayatou ihm die 54 afrikanischen Stimmen garantiert. Zudem enthält der Fifa-Präsident dem Exekutivkomitee oft wichtige Informationen vor – etwa, dass er einen Jubelfilm über die Geschichte der Fifa-Gründer mit Schauspieler Tim Roth für mehr als 20 Millionen Euro in Auftrag gab. Meistens ist das Exekutivkomitee nur ein Abnickgremium für Blatter.

Überhaupt geht in der Fifa nichts ohne seine Zustimmung. Bis 2013 war er sogar berechtigt, Verträge allein zu unterschreiben. Mittlerweile muss noch eine zweite Person unterzeichnen. Aber Blatter hat natürlich darauf geachtet, dass dies eine ihm vertraute Person ist. Wieder und wieder gelingt es dem 79-Jährigen, sich zu winden, die Kontrolle über seinen Weltverband jedoch nie zu verlieren. Das Schattenspiel im Kongress und dem Exekutivkomitee beherrscht er perfekt. Denn wenn die Fifa-Regierung vielleicht doch mal anders entscheiden könnte als ihm lieb ist, wird die Zuständigkeit einfach zum Kongress verlagert – wie beim Thema Altersbegrenzung der Funktionäre. Der Fifa-Kongress lehnte das 2014 in Brasilien dann selbstverständlich ab. So spielt Blatter gekonnt die Gremien gegeneinander aus und nutzt die Strukturen allein zu seinem Vorteil. Viele solcher Finten zugunsten des Fifa-Präsidenten gehen oft unter. Das Exekutivkomitee kam jedoch immer wieder in die Schlagzeilen, wegen seiner wichtigsten Aufgabe: Es entschied über die Vergabe aller vergangenen Weltmeisterschaften. Dies verlieh den Mitgliedern natürlich Bedeutung. Obendrein zeichnen sich einige aktuelle Vertreter – und besonders viele ehemalige Exko-Vertreter – durch die Eigenschaft aus, sehr offen für Beeinflussung zu sein und sehr bestimmt für die eigene Familie zu sorgen. Ob beim Geschäft mit Fernseh- und Marketingrechten, Tickets oder anderen Mauscheleien.

Skandale begleiteten zuletzt jede WM-Vergabe

Skandale um Korruptions- und Bestechlichkeitsvorwürfe begleiteten zuletzt jede WM-Vergabe. Negativer Höhepunkt war die Doppelvergabe im Jahr 2010 an Russland (2018) und Katar (2022). Stets gab es Ermittlungen und Reforminitiativen wie aktuell von der Ethik- Kommission, stets waren es aber von der Fifa kontrollierte Ermittlungen und Reformen. Mit kleinen Bauernopfern am Rande, doch nie gefährlich für Blatter, der sich nun wieder als Erneuerer der Fifa brüstet. Schließlich wird 2017 in Kuala Lumpur die WM 2026 erstmals nicht mehr vom Exekutivkomitee vergeben, sondern vom gesamten Kongress.

Doch auch das ändert nichts an Blatters Machtbasis – denn er kontrolliert auch die dritte wichtige Kraft im Fifa-Konstrukt: die Zentrale in Zürich. Dort arbeiten etwa 450 Fifa-Angestellte. Es ist eines der besten Verwaltungssysteme im Sport. Trotzdem nutzen die meisten Angestellten des Weltverbands diese hervorragenden Möglichkeiten nicht aus, sagen Fifa-Kenner. Unbestritten ist es schwer, aus der Zürcher Zentrale heraus genau zu kontrollieren, was die Nationalverbände mit all dem Geld anstellen. Und wenn Mittel etwa in Afrika versickern, wird dafür zuerst immer die Fifa verantwortlich gemacht. Zumal es wirkliche Opfer, denen Geld weggenommen wird und die sich beschweren könnten, nicht gibt. Denn es ist ja nicht transparent, ob mit dem Fifa-Geld zum Beispiel eigentlich drei Fußballcamps organisiert werden sollten, aber tatsächlich nur eines stattfindet.

Andererseits scheint Blatter auch nicht zu wollen, dass seine Angestellten alles so genau prüfen. Überhaupt bekommt man den Eindruck, die meisten Fifa-Mitarbeiter arbeiten nicht für das Wohl der Organisation, sondern für das Wohl des Präsidenten. Besonders in den oberen Ebenen sind sie absolut loyal zu Blatter. Warum auch nicht, schließlich haben sie ihm ihre bestens bezahlten Jobs zu verdanken. Vor allem der zweite Mann im Weltverband, Jerome Valcke, steht voll hinter Blatter. Aus gutem Grund, 2006 war er als Marketingdirektor von der Fifa entlassen worden, weil ein US-Gericht ihn für schuldig befunden hatte, gegen das Erstverhandlungsrecht mit dem langjährigen Sponsor Mastercard verstoßen zu haben. Valcke hatte schon mit dem Konkurrenten Visa verhandelt. Er nahm alle Schuld auf sich, und Blatter stellte ihn 2007 in einer höheren Position wieder ein: als Generalsekretär.

So herrscht in der Fifa eine Wagenburg-Mentalität. Redet man mit Mitarbeitern, rechtfertigen sie sich sofort, selbst wenn man sie gar nicht auf das schlechte Image des Weltverbands anspricht. Es existiert eine konstante Abwehrhaltung, so wie sie Blatter auch für sich kultiviert hat. Er hat diese Mentalität auf die Fifa übertragen. Er hat die Fifa im Griff. Alles läuft so, wie Blatter es will. Ganz einfach.

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