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Politik: So nah, so fern

Von Moritz Schuller

Vor fast genau 35 Jahren ging ein deutscher Kanzler in Warschau auf die Knie. Am Morgen sei es ihm plötzlich aufgegangen, sagte Willy Brandt später, dass er am Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettos nicht „einfach nur so den Kopf wiegen“ könne.

Heute fährt als deutsche Kanzlerin Angela Merkel nach Warschau, und da ihr Willy Brandt in diesen Tagen offenbar sehr nahe ist, wird sie wissen, dass sie in Polen nicht einfach nur den Kopf wiegen sollte. Es ist eine schwierige Mission, denn mitten im „deutsch-polnischen Jahr“ und seinen mehr als 1000 Veranstaltungen herrscht zwischen den Nachbarn eine „Psychologie des Missverständnisses“, wie es der polnische Publizist Adam Krzeminski nennt. Der Antrittsbesuch der neuen Kanzlerin bei der neuen polnischen Regierung bietet beiden Seiten die Gelegenheit, einen Strich unter vieles zu ziehen, das die Beziehungen in den vergangenen Monaten belastet hat – sie müssen ja nicht gleich „mehr Kniefall wagen“.

Merkel hat eine deutsche Polenpolitik geerbt, die sicher besser war als deren Ruf in Polen. Dass aber die geplante Ostseepipeline, die russisches Gas direkt nach Westeuropa transportiert statt über polnischen Boden, von manchen in Polen gleich als Fortschreibung des Hitler-Stalin-Paktes wahrgenommen wird, hängt auch mit der so instinktlos inszenierten Nähe – man denke nur an die Feierlichkeiten zum 8. Mai in Moskau! – zwischen Gerhard Schröder und Wladimir Putin zusammen. Aus polnischer Sicht taten sich da die alten Großmächte des 19. Jahrhunderts zusammen. Auch wenn wenn Merkel nur einen Satz auf Polnisch sagen kann – „es gibt keine Eier“–, sollte es ihr nicht schwer fallen, hier mehr Fingerspitzengefühl an den Tag zu legen.

Dass sie darüber zu verfügen scheint, macht auch ihr Umgang mit dem anderen deutsch-polnischen Politikum deutlich, dem Zentrum gegen Vertreibungen. Das Zentrum wird als Versuch der Deutschen gesehen, die Geschichte umdeuten und sich zu einem Opfervolk machen zu wollen. Offensichtlich hat Merkel jedoch verstanden, dass der Widerstand in Polen (und in der SPD) gegen das vom Bund der Vertriebenen geplante Zentrum zu groß ist. Dass die große Koalition, wie es im Koalitionsvertrag schwammig heißt, „auch in Berlin ein sichtbares Zeichen setzen“ wolle, um an das „Unrecht von Vertreibungen“ zu erinnern, kann kaum noch als Unterstützung des ursprünglichen Projekts verstanden werden.

Angela Merkel erbt aber auch ein neues politisches Polen. Sie trifft auf Präsident Lech Kaczynski und seinen Zwilling Jaroslaw, die bisher geringe Neugier auf den Nachbar verspürten. Lech sagt, er kenne in Deutschland nur den Frankfurter Flughafen, und Jaroslaw sagt: Fragen Sie meinen Bruder, der kennt Deutschland besser als ich. Die Kernkompetenz der von den Kaczynskis geführten konservativen Regierungspartei liegt nicht in der Außenpolitik. Der Name „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) ist Programm, ihre Themen sind nationale: innere Sicherheit, soziale Gerechtigkeit, Korruption. Im Wahlkampf profilierte sich die PiS sogar ausdrücklich als antieuropäische Kraft.

Merkels Aufgabe, wenige Tage vor dem großen Gipfel zum EU-Haushalt, liegt also auch darin, dieses Polen ein Stück zurückzuholen nach Europa. Das Ziel, dem die polnische Außenpolitik lange vieles untergeordnet hatte, war der Beitritt zur Union; nun lässt sich das Land, vielleicht erschöpft von der Anstrengung, wieder zurückfallen auf alte, national geprägte Deutschland- und Europarezeptionen. Auch das ist ein Thema, bei dem es nicht reicht, schlicht den Kopf zu wiegen.

Merkel sollte versuchen, mit Hilfe einer Ost(europa)politik, die sich nicht ausschließlich auf Russland bezieht, die PiS „europäisieren“ und auch dieses nationalkonservativere Polen stärker einzubinden. Dabei könnte das Land auf die positive Rolle verpflichtet werden, die es etwa während der Revolution in der Ukraine gespielt hat – als Brückenkopf der Europäische Union im Osten Europas.

„Give PiS a chance“, lautete nach der Wahl in Polen ein Kalauer. Angela Merkel sollte bei ihrem Besuch deutlich machen, dass Chancen immer auch mit Verantwortung einher gehen.

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