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Politik: „So systematische Täuschungen waren bisher unvorstellbar“

Der Chef der Transplantationsgesellschaft über mögliche Ursachen des Organspendeskandals und Konsequenzen für das System.

Herr Bechstein, wie konnte es aus Ihrer Sicht zu dem Transplantationsskandal in der Göttinger Universitätsklinik kommen?

Wenn alles stimmt, was zu hören ist, dann sind Werte vonseiten eines Arztes erheblich manipuliert worden, damit Patienten in der Warteliste nach oben rutschen und früher ein Organ bekommen. Womöglich war auch ein zweiter Arzt beteiligt. Es braucht schon erhebliche kriminelle Energie, um das auf die Dauer durchzuziehen.

Warum ist man dann nicht eher auf die Machenschaften aufmerksam geworden? Erste Vorwürfe gegen den Arzt gab es wohl schon im Jahr 2006 .

Derlei Auffälligkeiten kann von außen eigentlich nur die Vermittlungsstelle Eurotransplant feststellen. Dahin haben die Ärzte ihre Daten ja übermittelt.

Braucht es also mehr unabhängige Kontrollen?

Wir müssen uns fragen, wer das System wie überwachen kann. Dafür gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Zum einen gibt es die Möglichkeit der internen Kontrolle, dann ist nicht nur ein Arzt für das Meldeverfahren verantwortlich, sondern auch ein zweiter – das sogenannte Vieraugenprinzip, das in einigen Kliniken auch schon stattfindet. Die externe Kontrolle ist schon schwieriger, denn die Prüf- und Überwachungsstelle wird erst dann tätig, wenn der Verdacht einer Manipulation gemeldet wird. Prävention ist nur vor Ort möglich.

Am Mittwoch tritt das novellierte Transplantationsgesetz in Kraft: Es soll Sicherheit und Qualität von Organverpflanzungen garantieren. Fürchten Sie nicht, dass die Menschen jetzt eher verunsichert sind?

Die unmittelbaren Auswirkungen auf die Spendenbereitschaft wird man in drei Monaten beurteilen können. In früheren Fällen spendeten die Menschen jedoch oft trotzdem. Es geht hier um Patienten und ethische Aspekte. Da brauchen wir ein hohes Maß an Verantwortung und Vertrauen. Der aktuelle Fall stellt nach Ansicht mancher Menschen nicht nur die betroffenen Ärzte infrage, sondern auch das gesamte Transplantationssystem.

Ist das System, in dem die wichtigsten Aufgaben von privatrechtlichen Stiftungen übernommen werden, generell anfällig für Betrug?

Das glaube ich nicht. Kein System ist perfekt und schwarze Schafe gibt es überall. Dass jemand so systematisch und dauerhaft täuscht wie im aktuellen Fall, hatte ich bisher für unvorstellbar gehalten. Es ist unfassbar.

Trotzdem verlangen nun einige, das sensible Organspendewesen in öffentliche Hände zu legen.

Es gibt schon länger Stimmen von Juristen, die das fordern. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich der Ausweg ist. Das Grundproblem, dass Akten und Daten gefälscht werden, könnten auch Behörden nicht verhindern.

Was kann dann kurzfristig getan werden?

Ich halte es für notwendig, dass effizientere Kontrollen stattfinden. Außerdem müssen Betrügereien früher festgestellt werden. Es muss zum Beispiel auffallen, wenn ein Transplantationszentrum plötzlich sehr viele Organverpflanzungen vornimmt.

Das Gespräch führte Katrin Schulze.

Wolf Otto Bechstein ist Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft, einer wissenschaftlichen Vereinigung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Transplantationsmedizin zu fördern.

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