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Politik: So wirklich wie möglich

Von Stephan-Andreas Casdorff

Das sind ja Zustände wie im alten Rom. Weil in der Republik alles durcheinander geht? Das auch, aber an diesem einen Tag eher, weil der alte Bundespräsident mit der Formel „Er hat sich um unser Land verdient gemacht“ vom Bundestagspräsidenten verabschiedet worden ist. Dieses Urteil, das schon so historisch klingt, hallt nach. Denn Johannes Rau, der geht, hat mehr Maßstäbe gesetzt, als ihm am Anfang der Amtszeit zugetraut worden war. Auch daran wird Horst Köhler, der jetzt sein Amt angetreten hat, zu messen sein.

Es gibt, überraschend auffällig an diesem Tag, Übereinstimmungen zwischen beiden. Wie Rau damals wird Köhler von einem Gutteil der Menschen noch immer mit Skepsis betrachtet. Wie Rau wird Köhler noch eine Weile damit leben müssen, dass er als Kandidat eines politischen Geschäfts gilt; unterschiedlich war nur die Art des Handels. Aber das Amt ist zu Rau gekommen, wie die Schwaben so schön sagen. Er hat bemerkenswerte, in ihrer Langzeitwirkung unterschätzte Reden gehalten: zur Gentechnik, wo er die Moral vor den Markt stellte; zu Ausländern und Juden in Deutschland, als er sich vor diese Mitbürger stellte; zur Globalisierung, wo er den Blick auf die Verlierer lenkte; zu den Eliten, denen er die Leviten las. Die Macht des Wortes entscheidet über die Macht des Präsidenten, sagt man – zum Schluss hatte Rau seine eigene politische Macht. Und zwar, indem er, ein Linker in mancher These, dem Wertekonservativismus in Deutschland energisch das Wort redete.

Der in Schwaben aufgewachsene Köhler ist jetzt ins Amt gekommen – und seine erste Rede hat gezeigt: Er wird es mit Macht gut ausfüllen wollen. Dass Köhler zu neoliberal sei, um parteiübergreifend sein zu können, diese Vorhersage lässt sich mit seinen Einstandsworten nicht belegen. Im Gegenteil. Längst ist die These vom notwendigen Umbau der Gesellschaft und ihrer Sozialsysteme „Mainstream“ hier zu Lande, nicht nur in der internationalen Hochfinanz, in der sich Köhler Jahre bewegt hat. Vielmehr ist deutlich geworden, dass er gerade als IWF-Chef in der so genannten Dritten Welt eines gelernt hat: Eine Politik, bei der die Mehrheit nach Veränderungen schlechter dasteht als vorher, ist nicht durchzuhalten. Reformwilligkeit ist Voraussetzung, reicht aber allein nicht, ein Teil der Arbeit ist, die gesellschaftliche Balance zu finden. So hat Köhler seine Aufgabe definiert, wenn auch nicht ganz in diesen Worten. Damit ist sein Amt, wie unter Rau, oberste Integrationsagentur des Staates.

Ein politisch Konservativer, der permanent zum Aufbruch mahnt, nach einem strukturkonservativen Sozialdemokraten? Köhler fordert von der Politik konstruktive Kompromisse, von den Eliten Maß und Mäßigung, von der Opposition klare Konzepte. Er steht damit in der Tradition des Vorgängers, mehr als es Union und FDP von Fall zu Fall angenehm sein wird. Rot-Grün und dem Kanzler kann es recht sein. Uns, den Bürgern, aber auch. Denn Köhler war in seinem alten Amt neugierig auf die Lebenswirklichkeit. In seinem neuen trifft er schon von Amts wegen Hinz und Kunz. Er wird die hören, die sich sonst nicht wehren. Da wird sich manches Urteil relativieren, auch bei Köhler; und es wird sich manche Wahrheit anders darstellen, auch für diejenigen, die mit Köhler als Frontmann rechnen.

Der Bundespräsident hat klar gemacht: Er will darauf hinarbeiten, dass alle mitmachen. Er will versöhnen, mit der Wirklichkeit. Das ist seine persönliche Reform. Wenn die Horst Köhler gelingt, macht er sich wirklich ums Land verdient.

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