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Politik: Söldner an Bord

Die Regierung will den Einsatz bewaffneter Sicherheitsleute auf Handelsschiffen regeln – die kämpfen aber längst gegen Piraten.

Berlin - Seit zwei Jahren wird im Bundestag diskutiert, ob private Sicherheitskräfte an Bord von Handelsschiffen eingesetzt werden sollen und welche Gesetze dafür geändert werden müssten. Erst vor einigen Wochen wurde der Entwurf eines Gesetzes zu den Zulassungsverfahren solcher Sicherheitskräfte im Parlament diskutiert. Doch während die Öffentlichkeit davon ausgeht, dass es solches Sicherheitspersonal nicht gibt, sind die Mitarbeiter dieser Firmen nach Recherchen des Tagesspiegels bereits seit Jahren im Einsatz.

Thomas (Name von der Redaktion geändert) ist einer von ihnen. Er leistete seinen Dienst bei einer Spezialeinheit der Bundeswehr, heuerte danach bei einer deutschen Sicherheitsfirma an. Bis vor kurzem war er in dieser Funktion vor der Küste Somalias auf einem Handelsschiff unterwegs. Den Auftrag dazu hatte die deutsche Reederei einer privaten Firma erteilt, einer von mehreren in der Bundesrepublik. „Schon vor Jahren haben die Reeder in Anbetracht der häufigen Überfälle, Geiselnahmen und Entführungen beschlossen, nicht mehr allein auf staatliche Hilfe warten zu können und Sicherheitsfirmen beauftragt“, sagt Thomas. „Mitarbeiter werden völlig offen gesucht und ausgebildet. Ich verstehe nicht, warum das bisher nicht wahrgenommen wird, wir sind praktisch täglich dort draußen unterwegs.“

Nach Angaben von Branchenkennern sind derzeit zwischen 200 und 300 Schiffe weltweit mit deutschen Sicherheitsteams besetzt, die sich in den Gefahrengebieten wie dem Horn von Afrika, einigen asiatischen Ländern oder vor der Westküste Afrikas bewegen. Nimmt man ausländische Anbieter hinzu, sind es derzeit wohl weit mehr als 1000 Handelsschiffe, die so geschützt werden. Wie Thomas waren viele Mitarbeiter früher bei der Bundeswehr tätig, aber auch Scharfschützen und Fallschirmjäger aus Belgien, ehemalige britische Spezialkräfte und ehemalige Polizisten sind dabei. Die Jobs auf den Schiffen sind gut bezahlt: In einer Woche auf See verdienen die Sicherheitskräfte so viel, wie sie früher bei der Bundeswehr in einem ganzen Monat bekamen.

Seit dem vergangenen Jahr hat sich die Sicherheitslage gerade vor Westafrika dramatisch verschärft. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit entsteht hier eine Situation, die mit der vor Somalia vergleichbar ist. Piraterie ist ein lohnendes Geschäft mit deutlichen Wachstumsraten geworden und bietet gerade den Ärmsten der Armen eine Perspektive.

Angesichts der Überfälle gleichen moderne Handelsschiffe zunehmend militärischen Festungen. Mit Stacheldraht werden die Wege an Deck versperrt und spezielle Sicherheitsschleusen errichtet. Schutzräume für die Besatzung sollen im Extremfall Leben retten – und die Extremfälle sind keinesfalls selten. „Beinahe wöchentlich haben wir Auseinandersetzungen mit Piraten, häufig wird dabei auch geschossen“, berichtet ein hochrangiger Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma.

Offiziell soll sich zwar zumindest die Sicherheitslage vor Somalia gebessert haben. So sank die Zahl der Übergriffe nach Angaben des International Maritime Bureau (IMB) von 199 im Vorjahr auf rund 70 in diesem Jahr. Für Thomas ist das aber kein Grund zur Entwarnung. „Die Zahl der Angriffe mag sinken, aber die Intensität der Überfälle nimmt zu“, sagt er. Die Piraten gingen immer brutaler vor und seien immer besser ausgerüstet, etwa mit Nachtsichtgeräten.

Vor Westafrika hat sich die Sicherheitslage verschärft. 2012 hat sich die Zahl der Überfälle dort vervielfacht, und die Piraten dehnen ihre Aktionsradien immer weiter aus. Da korrupte Behördenmitarbeiter vor Ort sie unterstützen, verschiebt sich die Problematik immer mehr in den Golf von Guinea.

Von alldem allerdings ist offiziell wenig zu vernehmen. Zwar haben die Sicherheitskräfte häufig Funkkontakt zu den Schiffen der deutschen Marine, die im Rahmen der europäischen Antipirateriemission „Atalanta“ vor Somalia im Einsatz sind. Doch eine tatsächliche Zusammenarbeit findet nach übereinstimmenden Angaben von Sicherheitsmitarbeitern nicht statt. „Die wissen von uns, und wir bieten immer wieder an, dass wir unser Vorgehen abstimmen wollen, doch nichts passiert. Offiziell tut man so, als gäbe es uns überhaupt nicht“, kritisiert Thomas.

Weitaus problematischer ist die häufig ausbleibende Unterstützung durch die Botschaften vor Ort. „Ich habe den Eindruck, dass man dieses Thema lieber nicht an die große Glocke hängen will. Die Botschaften und Konsulate kennen uns teilweise persönlich, wissen von unserer Arbeit. Doch offizielle Kanäle sind selten, man geht lieber auf Abstand“, sagt ein hochrangiger Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma. Das bestätigt auch das deutsche Wirtschaftsministerium: „Eine direkte Zusammenarbeit von der Operation Atalanta mit den von Reedern eingesetzten Sicherheitskräften ist nicht vorgesehen“, heißt es. Die Reeder seien lediglich zu einer formellen Mitteilung verpflichtet, wenn sie private Sicherheitskräfte einsetzten. Schwierig gestaltet sich für die Firmen die Ausstattung ihres Personals mit Dienstwaffen: Viele Staaten erlauben keine Einfuhr, ein Rücktransport nach Deutschland ist damit nicht möglich. Die Waffen, zumeist Gewehre aus ziviler Nutzung, müssen vor Anlaufen der Häfen vernichtet werden.

Gebraucht werden die Sicherheitsbegleiter inzwischen auf jeden Fall. Es stellt sich nur die Frage, warum die deutschen Behörden und die Politik hierbei bisher so eine Geheimniskrämerei betrieben haben. Das Bundeswirtschaftsministerium will noch 2012 die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz der Sicherheitskräfte schaffen. Seit November bietet das Institut für Sicherheitstechnik/Schiffssicherheit in Rostock einen Lehrgang an, der sich an diesen Vorgaben orientiert. Die Ausbildung von maritimen Sicherheitsleuten ist auf die Bedürfnisse der Reedereien zugeschnitten, schult die Teilnehmer etwa im Sprechfunkverkehr oder vermittelt spezielle nautische Kenntnisse. Träte das Gesetz wie vorgesehen 2013 in Kraft, wäre die Branche vorbereitet.

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