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Olaf Scholz, möglicher nächster Kanzler. Geht die Regierungsbildung mit KI schneller?

© dpa

Software vergleicht Wahlprogramme: So könnte Künstliche Intelligenz bei der Regierungsbildung helfen

Die Spracherkennungssoftware eines Start-ups hat die Wahlprogramme der möglichen Koalitionsparteien verglichen. Warum sollten die Parteien das nicht nutzen?

Für fast 800 Seiten Text benötigt die Spracherkennungssoftware Semantha knapp 30 Sekunden, inklusive der Aufbereitung der Daten für den Menschen. Damit wirbt Sven Körners Start-up Thingsthinking. Normalerweise wird Semantha auf juristische Vertragstexte oder komplexe Dokumente bei Versicherungen angewandt. Doch dann rückte die Bundestagswahl immer näher.

Körner dachte sich also: Warum die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz (KI) nicht so nutzen, dass sie bei der Regierungsbildung helfen könnte? Und so ließen er und sein Team die Software die Wahlprogramme der für eine künftige Koalition in Frage kommenden Parteien vergleichen. Semantha verglich die Programme nicht nur so, wie es auch jeder halbwegs begabte Mensch über eine Dokumentensuche machen könnte, sondern extrahierte sogar die Bedeutung der Aussagen.

So erkennt Semantha nicht nur wortgleiche Äußerungen, sondern auch semantische Überschneidungen zwischen den Parteien. Die Ergebnisse dieser Vergleiche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden listete die Software dann in einer Excel-Tabelle nach Themen sortiert auf. Passagen mit hoher Übereinstimmung wurden grün markiert, potenziell umstrittene Passagen gelb und rot. Sogar einen Prozentsatz der Überschneidungen berechnete die KI, den sogenannte Score.

Dass beim Vergleich zweier Parteien vieles rot ist, muss allerdings nicht heißen, dass es in diesen Punkten große Unterschiede gibt. Es kann auch heißen, dass es zu diesen Punkten in einem der Wahlprogramme einfach keine Inhalte gibt – was per se nicht schlecht ist, sondern dann wieder zur Verhandlungssache wird. Denn eins war Körner von Beginn an klar: Die Politiker ersetzen, kann die Software sicherlich nicht.

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Körner war im Vorfeld der Bundestagswahl sogar mit verschiedenen Parteien im Gespräch. Warum letztlich keine Partei, auch wenn sie grundsätzlich interessiert war, mit der Software arbeitet, kann er nur erahnen. Körner vermutet: „Das Mindset hat gefehlt, im Wahlkampf war anderes wichtiger.“ Will heißen: Auf der Prioritätenliste stand die Möglichkeit, durch KI Zeit zu sparen oder zu schaffen, nicht weit oben.

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Doch Körner ist überzeugt davon, dass Semantha den Parteien gerade jetzt bei den Sondierungen oder auch später bei Koalitionsverhandlungen helfen könnte. Während sich das Spitzenpersonal der Parteien mit grundlegenden Streitthemen befasst, könnte die Software den Verhandlungsteams bei Details für einen Koalitionsvertrag helfen. „Das Gegenchecken könnte die Arbeit erleichtern“, sagt Körner. „Semantha ist eine kleine Fee, die zuarbeitet“, eine Art „Gabelstapler fürs Hirn“.

Sogar in der Entwicklungsphase der Wahlprogramme hätte die Software von Nutzen sein können, glaubt Körner. Wenn sie beispielsweise das Wahl- oder Parteiprogramm einer anderen Partei durchscannt, könnten etwaige Schnittmengen früh erkannt werden – oder Parteien sogar darauf aufmerksam machen, dass sie zu einem bestimmten Thema, zu dem sie noch nichts im Programm haben, sehr wohl eine Meinung haben.

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Den Nutzen fasst Körner so zusammen: „Wenn ich einen Cappuccino will, muss ich nicht noch eine Kuh melken.“ Doch, das sagt er auch: „Wenn ich einen guten Cappuccino haben will, muss ich ihn auch zubereiten können.“

Und um zu demonstrieren, was die Software kann, hat Körner die Ergebnisse der Vergleiche zwischen den Wahlprogrammen hochgeladen (sehen Sie hier). Auf der Website kann jeder die Wahlprogramme von Grünen und FDP sowie den Ampel- und Jamaika-Parteien untereinander vergleichen.

Dabei wird wieder deutlich, was bereits bekannt ist: Während es zwischen CDU und FDP sowie SPD und Grünen große Überschneidungen gibt, sind die Streitpunkte bei den anderen Parteien größer.

CDU und Grüne mit mehr Konsens als SPD und FDP?

Auffällig ist dabei, dass die Software bei den Grünen beispielsweise mehr Übereinstimmungen mit der FDP sieht als bei der SPD. Sucht man vom Grünen-Wahlprogramm aus nach Übereinstimmungen mit der FDP, gibt es etwa ein Drittel grüne, gelbe und rote Abschnitte. Vom SPD-Wahlprogramm ausgehend gibt es hingegen nur etwa halb so viele Übereinstimmungen (grün) und fast zur Hälfte potenziell umstrittene Themen (gelb).

Allerdings lässt sich daraus keine fixe Aussage herleiten – es gibt nur einen Hinweis darauf, zwischen welchen Parteien es größere Differenzen geben könnte.

Doch wenn man es schon vorsichtig anhand von semantischen Übereinstimmungen vergleicht: Zwischen CDU und Grünen hätte es wohl potenziell mehr inhaltliche Übereinstimmungen gegeben als zwischen SPD und FDP. Vom CDU-Wahlprogramm ausgehend gibt es rund ein Viertel übereinstimmende Punkte (grün), allerdings ebenso viele umstrittene Themen (gelb) wie zwischen SPD und FDP.

Mithilfe der Textgenerierungssoftware des Start-ups Aleph Alpha entstanden auf Grundlage der Gemeinsamkeiten in den Wahlprogrammen dann sogar Passagen für einen möglichen Koalitionsvertrag, die ebenfalls öffentlich einsehbar sind. Auch diese zeigen, welch nützlichen Beitrag Künstliche Intelligenz den Politikern leisten kann. Nur die Detailarbeit, die kann die Software ihnen auch hier nicht abnehmen.

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