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Verarmt: Szene aus Gelsenkirchen.

© dapd

Solidarpakt: Das Ruhrgebiet begehrt auf

Die Oberbürgermeister von Essen, Dortmund und Gelsenkirchen fordern, den Solidarpakt für den Osten vorzeitig zu beenden. Das aber ist schwierig, denn er ist bis 2019 fest vereinbart. Quer durch die Parteien heißt es daher: Nicht verhandelbar.

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Sie lassen nicht locker: die Oberbürgermeister des Ruhrgebiets, fast allesamt Oberhäupter hoch verschuldeter Kommunen mit wirtschaftlicher Schieflage und sozialen Problemen, möchten Fördergelder des Bundes stärker in ihre Region lenken – und weg vom Osten. Nicht die geografische Lage solle entscheidend sein, sondern die Finanzlage, so der Tenor der Forderung. Sie ist nicht ganz neu ist, aber der anstehende Landtagswahlkampf bedeutet, dass die Republik nach Nordrhein-Westfalen schaut. Und das soll genutzt werden.

Der noch bis 2019 laufende Solidarpakt gefällt den Kommunalpolitikern nicht. Ein „perverses System“ ohne inhaltliche Rechtfertigung, hat der Dortmunder OB Ullrich Sierau der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt. „Nicht mehr zeitgemäß“, lautet die Meinung des Essener Kollegen Reinhard Paß. Und der Gelsenkirchener OB Frank Baranowski meint: „Der Solidarpakt gehört in der jetzigen Form abgeschafft.“ Die drei Sozialdemokraten glauben, dass die finanzielle Solidarität in Deutschland falsch verteilt ist.

Ruhrgebiet: Wo die Eckkneipe noch lebt.
Ruhrgebiet: Wo die Eckkneipe noch lebt.

© picture-alliance/ dpa

Eigentlich rennen die Westdeutschen offene Türen ein. Ein nicht veröffentlichtes Gutachten für die Bundesregierung hat kürzlich erst empfohlen, die Förderpolitik neu auszurichten – mit dem Ziel, weniger in den Osten fließen zu lassen. Denn das Anliegen des Solidarpakts, den ostdeutschen Ländern und Kommunen eine konkurrenzfähige Infrastruktur zu finanzieren, ist zu einem guten Stück verwirklicht. Die Solidarpaktmittel gehen deswegen auch Jahr für Jahr zurück. Waren es 2005 noch 10,5 Milliarden Euro, so sind es in diesem Jahr 7,3 Milliarden, 2015 werden es gut fünf Milliarden sein, und 2019, wenn die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern ausläuft, sind nur noch gut zwei Milliarden Euro vorgesehen.

Im Osten kommt der Vorstoß West nicht gut an

Andererseits wächst das Volumen des Solidaritätszuschlags immer mehr. Die Ergänzungsabgabe (5,5 Prozent der Einkommensteuer) wird zwar nicht ausdrücklich zur Finanzierung des Solidarpakts erhoben, sondern fließt als Bundessteuer ohne Zweckbindung in den Etat, doch besteht natürlich ein Zusammenhang: Der Zuschlag wurde 1991 als Sonderfinanzierung für die Kosten der Einheit eingeführt. Nach der letzten Steuerschätzung wachsen die Einnahmen aus dem „Soli“ von 11,7 Milliarden Euro (2010) auf 15,7 Milliarden im Jahr 2016. Das lässt die Begehrlichkeiten möglicherweise auch wachsen.

Im Osten kommt der Vorstoß West nicht gut an. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) echauffiert sich: „Die Forderung nach einer sofortigen Abschaffung des Solidarpaktes ist Zeugnis beschämender Oberflächlichkeit und mangelnden Verständnisses innerdeutscher Solidarität.“ Wie der für den Osten zuständige Unions-Fraktionsvize Arnold Vaatz gesteht er den Städten des Ruhrgebiets zwar auch einen „außerordentlichen Finanzbedarf“ zu, aber bitte nicht auf Kosten von Sachsen, Brandenburg & Co. Thierse schlägt, wie zur Befriedung, im Gegenzug einen besonderen „Ruhrsoli“ vor. Laut Vaatz wiederum ist nicht die Bundes-, sondern die Landesregierung in Düsseldorf gefragt. „Sie trägt für die Finanzlage ihrer Kommunen die Verantwortung und nicht Ostdeutschland.“

Viel ist nun von „Bedürftigkeit statt Himmelsrichtung“ die Rede, das Schlagwort für die künftige Förderpolitik. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier äußerte sich in diesem Sinne (also im Kern pro Westen), ebenso Christian Lindner, der designierte FDP-Chef in Nordrhein-Westfalen. Aber Steinmeier wie Lindner teilten die Ansicht von Unions-Fraktionschef Volker Kauder, dass beschlossen sei, wie lange der Solidarpakt laufe. „Und dabei bleibt es“, sagte Kauder.

Was NRW, Berlin und Brandenburg sagen

Wie auch immer: Den Wahlkämpfern in NRW haben die Ruhr-OBs ein Thema gesetzt. „Der Hilferuf ist begründet“, sagte CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen, kritisiert aber auch die Landesregierung. „Rot-Grün hat nichts getan, nur acht der 400 Kommunen haben einen ausgeglichenen Haushalt“, rechnete Röttgen vor und machte ansonsten klar, dass am Solidarpakt nicht gerüttelt werde, weil die geltende Gesetzeslage kaum verändert werden könne. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) sieht eine Erblast. „Schwarz-Gelb hat die Kommunen ausbluten lassen, die Konsolidierungspolitik des Landes unter Jürgen Rüttgers wurde auf dem Rücken der Gemeinden betrieben.“ Den Solidarpakt will sie auch nicht ändern. „Er wird bis 2019 Bestand haben. Aber wir wollen, dass die Förderprogramme, die der Bund für den Bereich Infrastruktur, Straßen und Schienen, aber auch die für die Wissenschaftsinfrastruktur gibt, dass die stärker nach Westen ausgerichtet wird.“

„Der Solidarpakt ist eine Verteilung zwischen den Ländern und Teil der bundesdeutschen Finanzarchitektur. Da kann man nicht ein Element herauslösen“, sagte Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) dem Tagesspiegel. Berlin erhält in diesem Jahr rund 1,38 Milliarden, im kommenden Jahr 1,24 Milliarden Euro Solidarpaktmittel. Auch Nußbaum rät den verschuldeten West- Kommunen, „erst mal bei ihrer Landesregierung für einen verbesserten kommunalen Finanzausgleich zu werben“. Die gesamtstaatliche Solidarität werde dann 2020 „neu aufgestellt“, sagte Nußbaum. „Wir sehen diese Debatte gelassen“, ergänzte Senatssprecher Richard Meng. Es gehe nicht darum, Ost gegen West auszuspielen. Man müsse den Finanzbedarf der Kommunen im Gesamtpaket sehen. „Es ist zu wenig für Länder und Kommunen da, da der Staat unterfinanziert ist.“

Brandenburg erhält in diesem Jahr rund 1,04 Milliarden Euro aus dem Solidarpakt. Für Finanzminister Helmuth Markov (Linke) ist ein vorzeitiges Ende des Solidarpakts „nicht verhandelbar“. Er sei weiter notwendig, „da Ostdeutschland und so auch Brandenburg im Vergleich zum westdeutschen Durchschnitt bei der Infrastruktur nach wie vor einen Nachholbedarf hat“.

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