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Sommerpressekonferenz der Regierung: Die Probleme der Bundeskanzlerin

Die sorgende Mutter der Nation – dieses Bild will sich Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht kaputt machen lassen. Nicht von Prism, dem US-Geheimdienst oder der Opposition. Auf ihren Innenminister ist sie ganz schlecht zu sprechen.

Von Robert Birnbaum

Die Frau Bundeskanzlerin scheint nicht völlig bei der Sache. Dabei ist der sommerliche Auftritt vor der Bundespressekonferenz für Angela Merkel doch jetzt wirklich seit Jahren Routine. Nicht weniger Routine ist die einleitende Erfolgsbilanz. Also sitzt Merkel auch diesmal wieder vor dem rappelvollen Saal auf dem Podium, harmoniert farblich mit ihrem Kostüm in der Modefarbe „Aqua“ mit der blauen Wand in ihrem Rücken und bilanziert ihre Haben-Seite; die guten Taten der Bundesregierung im Umgang mit der Flutkatastrophe zum Beispiel oder die Euro-Rettung.

Schulterzucken ist keine Lösung

Merkel weiß natürlich, dass das alles die Hauptstadtpresse gerade einen Deubel interessiert. Trotzdem will sie noch mal daran erinnern, dass sie die „erfolgreichste Regierung seit der Wiedervereinigung“ führe. „Und die Bürger und Politiker profitieren von unserer Politik ...“ – Merkel stutzt, dann korrigiert sie: „Die Bürger und die Betriebe, natürlich.“ Allgemeines Kichern. Sieh an – die Frau Bundeskanzlerin, der Lapsus lässt es ahnen, konzentriert sich auf die eigene Erfolgsbilanz im Moment auch nicht so richtig.

Dazu hat sie allen Grund. Der Grund heißt Prism. Seit der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden dieses Schnüffelprogramm seines Ex-Arbeitgebers, der Nationalen Sicherheitsbehörde (NSA), verraten hat, steht ein übler Verdacht im Raum: Der große Bruder jenseits des Atlantik habe sich womöglich wirklich als Großer Bruder betätigt, massenweise Telefon- und Internetverbindungen abgehört – und das alles auch mitten in Deutschland.
Die Bundesregierung hat gesagt, dass sie davon nichts wisse, dass das aber, wenn es stimmen sollte, so nicht gehe und dass man mal in Washington nachfragen werde. Das ist mittlerweile passiert. Das Ergebnis ist mager. Es war eigentlich zu erwarten, weil es im Wesen von Geheimdiensten liegt, dass sie selbst gegenüber Freunden mit Aufklärung geizen. Aber Schulterzucken ist keine Lösung. Nicht in einem Sommer, in dem das Thema schon mangels Alternativen nicht aus den Schlagzeilen verschwindet. Nicht im Wahlkampf. Schon gar nicht in einem Wahlkampfsommer.

Für Merkel ist keine Analyse von Prism möglich

Und so kommt es, dass die Bundespressekonferenz diesmal eine andere Angela Merkel erlebt als sonst. Bisher dienten diese Auftritte in Ferienlaune dazu, eine Regierungschefin zu präsentieren, die in den Details besser drin ist als die meisten ihrer Minister, aber trotzdem oder gerade deswegen leicht über den Dingen schwebt. Diesmal aber will das Schweben erst hergestellt sein. Und dabei wäre diesmal Kenntnis irgendwelcher Einzelheiten nur Ballast.
„Mir ist es völlig unmöglich, mich in die Analyse von Prism einzuarbeiten“, stellt Merkel denn auch gleich fest. „Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland habe ich eine übergeordnete Aufgabe, die Verantwortung für zwei Werte: Freiheit und Sicherheit.“ Die stünden seit jeher in einem gewissen Spannungsverhältnis, zumal nach dem 11. September 2001, nach dem ja übrigens selbst die damalige rot-grüne Bundesregierung ihre „uneingeschränkte Solidarität“ mit dem angegriffenen Amerika bekundet habe. „Aber auch dann gilt: Der Zweck heiligt nicht die Mittel.“ Auf deutschem Boden habe sich jeder an deutsches Recht zu halten. Oder, wie ihr Vorgänger Gerhard Schröder richtig festgestellt habe: Es gelte nicht das Recht der Stärke, sondern die Stärke des Rechts.
Zwei Mal Schröder zu Hilfe nehmen, ist für Merkels Verhältnisse ziemlich viel. Aber der Zweck heiligt das Mittel. Und der Zweck ist offensichtlich. Das Bild von der sorgenden Mutter der Nation, das ihr so vorteilhafte Werte beschert, will sich Merkel nicht kaputt machen lassen. Nicht von einem US-Geheimdienst, nicht von einer Opposition, die in ihrem finsteren Umfrageloch plötzlich Morgenluft wittert, und schon gar nicht von den Tapsigkeiten der eigenen Truppe.

Den Namen "Friedrich" meidet sie. Eine ganz spezielle Ehre.

Die nehmen inzwischen ein bedenkliches Ausmaß an. Erst haben alle versichert, dass sie von einem Prism nie etwas gehört hätten. Dann stellt sich raus, dass der Name vor Jahren in einem Nato-Befehl im fernen Afghanistan schon mal aufgetaucht ist als Programm zur Überwachung mutmaßlicher Terroristen. Dann gibt der sonst eher mitteilungsarme Bundesnachrichtendienst kategorisch bekannt, das afghanische Anti-Terror-Prism sei etwas anderes als das NSA-Anti-Terror-Prism und gehöre der Nato. Einen Tag später aber erläutert der Verteidigungsstaatssekretär Rüdiger Wolf dem Verteidigungsausschuss, dass das afghanische Prism ein rein amerikanisches System sei. Falls jetzt jemand nicht mehr mitkommt: Im Klartext heißt das, es gibt wohl nur ein Prism, wenn auch vielleicht mit regionalen Ablegern.

Bild der Ahnungslosigkeit könnte den Ausschlag im Wahlkampf geben

Man könnte diese Verdoppelung der Prismen als nebensächliche Posse abtun und den Lügen-Vorwurf der Opposition als obligatorisches Wahlkampfgeschrei. Aber erstens lehrt das kleine Handbuch des Skandals, dass solche Pannen im Umgang mit einer Affäre viel fataler sein können als die Affäre selbst. Die Deutschen mögen, so wie es alle Daten der Demoskopen nahelegen, in ihrer großen Mehrzahl sich nicht vor einer amerikanischen Datenkrake fürchten. Aber das Bild einer Regierung, die nicht weiß, was sie tut und sagt, kann genau den Image-Schaden anrichten, der bei einem knappen Wahlausgang den Ausschlag geben kann.

Insofern ist es auch völlig verständlich, dass Angela Merkel auf ihren Innenminister nicht gut zu sprechen ist. Hans-Peter Friedrich war als ihr Gesandter in Washington. Mitgebracht hat er wenig. Und mit dem Wenigen hat der CSU-Mann nicht mehr zu machen gewusst als den Eindruck eines Überforderten, der zwischen Freundschaft zu Amerika, angelernter sicherheitspolitischer Hardlinerei und Ja-irgendwie-auch-Datenschutz umhertaumelt. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass dort eine ordentliche Arbeit geleistet wird“, sagt Merkel, auf ihren Kanzleramtschef Ronald Pofalla und auf Friedrich angesprochen. Den Namen des Innenministers nennt sie in den ganzen eineinhalb Stunden nicht. Diese spezielle Ehre ist sonst dem SPD- Kandidaten Peer Steinbrück vorbehalten.

Das Risiko liegt im Unberechenbaren

Aber selbst wenn Friedrich ein besserer Darsteller wäre – in Wahrheit könnte er das Problem Prism für Merkel nicht lösen. Das Risiko liegt im Unberechenbaren. Auch wenn die Opposition gerade so tut, als wäre bei ihr alles anders – in Wahrheit gibt sich niemand in Berlin dem Glauben hin, dass die NSA der deutschen Bundesregierung ihre Ausspäh-Aktion offenlegen würde. Für alle anderen hat es NSA-Chef Keith Alexander gerade erst auf die rüde Tour klargestellt: „Wir sagen ihnen nicht alles, was wir machen oder wie wir es machen – jetzt wissen sie es“, verkündete der General bei einem Forum in Aspen in Colorado.

Eine schöne Arbeit ist das, sagt Merkel. Der Saal lacht.

Wer solche Freunde hat, braucht wenig Feinde mehr. Merkel versucht dem Spruch trotzdem irgendetwas Gutes abzugewinnen: Habe sie doch gesagt, dass die Bundesregierung nicht informiert war über Art und Umfang des Spähprojekts. Und ansonsten bemühe sich die Bundesregierung weiter darum, Antwort auf ihren konkreten Fragenkatalog zu bekommen, den sie der US-Seite übermittelt habe. „Wir prüfen, ob es die Spitze des Eisbergs ist oder weniger oder noch anderes.“ Und ja, wenn es ihr der geeignete Weg erscheinen würde, werde sie auch noch mal mit US-Präsident Barack Obama reden. Aber wenn sich der selbst Zeit zur Prüfung ausgebunden habe, bevor er sich dazu äußere, was sein Dienst getan habe und was nicht – was solle sie tun? „Mir hilft doch auch keine Zusage, die sich hinterher als falsch herausstellt!“ Zwingen kann sie den Amerikaner sowieso nicht. „Wir haben ein hohes Interesse“, heißt das bei Merkel. „Aber es liegt eben nicht nur in meiner Hand.“

Niemand weiß, was Snowden weiß

Noch etwas liegt nicht in ihrer Hand. Niemand weiß, was der Enthüller Snowden weiß. Der sitzt immer noch in Moskau auf dem Flughafen Scheremetjewo fest. Aber ein britischer Blogger droht inzwischen fast täglich neue, ungeheuerliche Enthüllungen an, die ihm der Amerikaner per verschlüsselter Datenleitung zugänglich gemacht habe. Wer sich heute inhaltlich auf etwas festlegt, kann morgen als Blamierter dastehen oder schlimmer, als Lügner.
Bei Merkel verfängt deshalb nicht mal der Versuch, sie bei der Ehre zu packen. Als Physikerin interessiere sie sich doch bestimmt dafür, wie so ein Daten-Staubsauger funktioniere, schmeichelt ihr listig ein Fragesteller. „Das ist nicht meine Aufgabe, mich in die Details von Prism einzuarbeiten“, gibt Merkel kühl zurück. „Ich habe den Beruf gewechselt!“

Ein Acht-Punkte-Plan für den Datenschutz

Den neuen Beruf will sie behalten, diese „übergeordnete Aufgabe“. Deshalb versichert sie ein ums andere Mal, dass auf deutschem Boden deutsches Recht zu gelten habe. Deshalb stellt sie einen Acht-Punkte-Plan vor zur Verbesserung des Datenschutzes in der Zukunft, in Europa, in der Welt und im Allgemeinen. Und deshalb wirbt sie zugleich um Verständnis für die Grenzen ihrer Macht, die im Fall des Datenschutzrechts ganz exakt den Grenzen dieses Deutschlands folgen. Irgendwann fragt jemand, was sie eigentlich antreibe, dass sie noch vier Jahre diesen Job machen wolle. Das sei schon toll, schwärmt Merkel, dass man jeden Morgen ins Büro gehe und nicht wisse, was an diesem Tag Neues warte. „Eine schöne, inspirierende Arbeit ist das, die jedenfalls immer wieder neue Probleme hat…“ Der Saal lacht. Kann man wohl sagen, besonders im Moment! Merkel ist nicht nach Lachen. Plötzlich wird sie streng: „Wer das nicht aushält, kann nicht Bundeskanzler sein!“

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