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Politik: Sommertheater in Schwarz - es fehlen nicht erst die Antworten, sondern schon die Fragen (Kommentar)

Die SPD hat ihr Sommertheater gerade hinter sich, die CDU liefert jetzt ein kleines Nachspiel. In beiden Fällen sind die Hauptdarsteller Landespolitiker, die vor schwierigen Wahlen stehen - der Sozialdemokrat Reinhard Klimmt an der Saar, der CDU-Mann Jürgen Rüttgers an Rhein und Ruhr.

Von Robert Birnbaum

Die SPD hat ihr Sommertheater gerade hinter sich, die CDU liefert jetzt ein kleines Nachspiel. In beiden Fällen sind die Hauptdarsteller Landespolitiker, die vor schwierigen Wahlen stehen - der Sozialdemokrat Reinhard Klimmt an der Saar, der CDU-Mann Jürgen Rüttgers an Rhein und Ruhr. Man ist also schnell geneigt, ihre Vorführungen als die üblichen Profilierungsversuche gegen die jeweiligen Bundesparteien abzuhaken.

Und doch steckt sehr viel mehr dahinter: Ob Sozial-, ob Christdemokraten - wenn es um die Frage nach der künftigen Programmatik und Substanz ihrer Politik geht, haben beide Großparteien Probleme, eine Antwort zu finden. Sie haben sogar schon Probleme, eine Antwort darauf zu finden, welcher Art eine Antwort überhaupt sein könnte.

Die Wahl vom September 1999 hat bei CDU wie SPD ungeachtet der Tatsache, dass die einen auf der Verlierer- und die anderen auf der Siegerseite standen, einen Prozess rasant beschleunigt, der sich als Abschied von alten Prägungen beschreiben lässt. In beiden Fällen erhebt eine neue Politiker-Generation den Anspruch, die Wirklichkeit neu entdeckt zu haben - und siehe, sie ist nur bedingt deckungsgleich mit jenem Bild von der Wirklichkeit, das Parteiprogrammen und Kabinettsbeschlüssen zugrunde liegt.

Solange diese Ideologiekritik abstrakt bleibt, wirft sie kein größeres Problem auf. Die Schröder-SPD bezeichnet sich als Sachwalter einer Neuen Mitte und nimmt für sich in Anspruch, nicht sozialdemokratische, sondern "moderne", nämlich pragmatische Politik zu machen. Die CDU verortet sich selbst "Mitten im Leben" und erhebt damit ebenfalls zugleich den Anspruch des Zeitgemäßen wie des Pragmatischen. Rüttgers hat dafür die Formulierung gefunden, die CDU müsse aufhören, den Leuten sagen zu wollen, wie sie zu leben hätten.

Das klingt gut. Aber es wirft ein Problem auf, auf das bisher allenfalls vorläufige Antworten in Sicht sind. Einzig und allein pragmatisch lässt sich Politik nämlich nicht gestalten; sie braucht ein Werteraster, das Entscheidungen zwischen Alternativen überhaupt erst möglich macht. Dass die Politik der Regierung Schröder über weite Strecken so konfus daherkommt, liegt ja wesentlich daran, dass das zugrundeliegende Raster - wenn es denn eines gibt - nicht recht erkennbar wird. Der Klimmtsche Rückgriff auf alte Tugenden und Begriffe hilft freilich auch nicht weiter: Was bedeutet "Gerechtigkeit" heute?

Der CDU geht es nicht viel besser. Auch sie versucht, sich von ideologischem Ballast zu befreien, ohne indes schon sagen zu können, welche neuen Leitlinien denn künftig christdemokratische Politik ausmachen sollen. Und auch in der CDU kommen immer dann, wenn die neue Orientierung am wirklichen Leben konkret werden soll, die alten Probleme wieder hoch.

Wenn - um nur ein Beispiel zu nehmen - Rüttgers feststellt: "Man kann heute konservativ sein und trotzdem nichts dagegen haben, wenn junge Leute vor der Ehe zusammenleben", dann ist das ja einerseits eine Annäherung an einen realen Zustand. Aber was folgt daraus? Erkennt die CDU diese Realität an, hält sie aber im Grunde weiter für schlecht? Wenn nicht, was bedeutet das? Sollen - auch nur ein Beispiel - Unverheiratete also demnächst juristisch den Eheleuten gleichgestellt werden?

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