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Freundliches Händeschütteln zu Beginn der Sondierungen zwischen Angela Merkel und Martin Schulz.

© Hannibal Hanschke/Reuters

Sondierungen: Zum Erfolg verdammt

Für Angela Merkel, Martin Schulz und Horst Seehofer geht es bei den Sondierungen in Berlin um alles

Die geschäftsführende Kanzlerin kommt zuletzt. Sonntagmorgen vor dem Berliner Willy-Brandt-Haus, der Zentrale der Sozialdemokraten. Es ist der erste von fünf Tagen, an denen die Unterhändler von Union und SPD in straff organisierten Sondierungsgesprächen das Fundament für eine neue große Koalition legen müssen. Jedenfalls, wenn man die Dinge aus Sicht von Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz betrachtet, den angeschlagenen Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD.

Merkel sagt das natürlich nicht in ihrer kurzen, sorgsam vorbereiteten Ansprache zum Auftakt der Gespräche. Aber alle wissen, dass der Ausgang der Verhandlungen darüber entscheiden kann, ob die Frau, die Deutschland zwölf Jahre regiert hat, Regierungschefin bleiben wird. Stabilität, das war das große Versprechen dieser Kanzlerschaft, gleichsam Merkels politischer Kern. Ob sie dieses Versprechen noch halten kann, steht seit dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen infrage. Ein Scheitern der Regierungsbildung mit den Sozialdemokraten kann sich Merkel kaum leisten.

Merkel zeigt sich als tatkräftige Optimistin

„Ich freue mich auf den Beginn der Sondierungen“ – vor der SPD-Zentrale zeigt sich die CDU-Chefin am Morgen als tatkräftige Optimistin. Nach dem Jamaika- Aus hatte sie sich rar gemacht; zwei Auftritte im Konrad-Adenauer-Haus, eine Kurz-Visite beim EU-Gipfel in Brüssel, eine von vielen als bleiern empfundene Kanzlerinnen-Ansprache zum neuen Jahr. Das war’s.

Nun aber meldet sie sich zurück. In den Fernsehnachrichten soll später eine Kanzlerin zu sehen sein, die konzentriert in „gut vorbereitete Gespräche“ geht – mit dem Ziel, „die Voraussetzungen für eine stabile Regierung zu schaffen“. Ein „Riesen-Stück Arbeit“ liege vor den Verhandlern, sagt Merkel, aber man sei festen Willens, diese Arbeit „zügig und sehr intensiv“ zu leisten.

Wenn die Sondierungen fehlschlagen, enden politische Karrieren

Überhaupt fehlt es nicht an Willensbekundungen an diesem Morgen. Vor Merkel haben SPD-Chef Martin Schulz und CSU-Chef Horst Seehofer ihre Auftakt- Botschaften in die Kameras gesprochen. Wie Merkel sind auch sie zum Erfolg verdammt. Bayerns scheidender Ministerpräsident ist auch als CSU-Chef ein Spitzenpolitiker auf Abruf; seine letzte Perspektive ist ein Ministeramt in einer großen Koalition in Berlin. „Wir müssen uns verständigen“, diesen Satz sagt Seehofer gleich zweimal vor der SPD-Zentrale. SPD-Chef Schulz wiederum wäre vielleicht schon nicht mehr im Amt, wenn führende Genossen wie der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil nicht zu dem Schluss gekommen wären, dass der SPD-Vorsitzende gebraucht wird, um die Partei in das verhasste Regierungsbündnis mit der Union zu führen. Einem „Bild“-Bericht zufolge soll Schulz im vertraulichen Gespräch mit Seehofer und Merkel seine Lage so beschrieben haben: „Wenn das schiefgeht, ist meine politische Karriere zu Ende.“ Darauf Seehofer: „Nicht nur deine.“

Auch eine Minderheitsregierung ist noch nicht vom Tisch

Dass er die große Koalition unbedingt wollen muss, darf Gastgeber Schulz vor dem Willy- Brandt-Haus nicht so klar zum Ausdruck bringen wie Seehofer. Mit Rücksicht auf die erheblichen Widerstände in den eigenen Reihen hat sich die Parteiführung dazu verpflichtet, die Sondierungsgespräche weiterhin „ergebnisoffen“ zu führen, wie Schulz pflichtschuldig auch jetzt wieder betont. Er weiß: Selbst für Spitzen-Genossen wie die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer ist die Tolerierung einer CDU-geführten Minderheitsregierung noch nicht vom Tisch. Dennoch wächst in der SPD die Erkenntnis, dass sie am Ende nur die Wahl haben dürfte zwischen großer Koalition und Neuwahlen.

SPD will keine roten Linien - aber viel rote Politik

Um die widerspenstige Basis zu überzeugen, setzten Schulz und SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles darauf, der Union in den Sondierungen möglichst viele inhaltliche Zugeständnisse abzuringen. Allerdings liegen beide Seiten nicht nur beim Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus weit auseinander. Groß sind die Differenzen auch in der Steuer-, der Gesundheits- sowie der Rentenpolitik. Bei Fragen wie der nach dem Ausmaß von EU-Reformen oder der Höhe des Verteidigungsetats herrscht ebenfalls Uneinigkeit. „Wir ziehen keine roten Linien, aber wir wollen möglichst viel rote Politik in Deutschland durchsetzen“, sagt Martin Schulz am Tag eins der Sondierungen. Er verspricht „konstruktive" und zügige Gespräche: „Die Deutschen haben einen Anspruch darauf, dass es schnell geht.“ Bis zur Nacht auf den Freitag haben Schulz, Merkel und Seehofer nun Zeit, Kompromisse in ihren drei Parteien durchzusetzen. Am Freitagmorgen kommt dann, wieder im Willy-BrandtHaus, der SPD-Vorstand zusammen, um die Ergebnisse zu bewerten und eine Empfehlung für den SPD-Sonderparteitag am 21. Januar in Bonn abzugeben.

Wird es gutgehen? „Ich glaube, es kann gelingen“, sagt Angela Merkel am Sonntagmorgen vor der SPD-Zentrale. Eine Formulierung, die sie öfter mal gebraucht. Zuletzt im November – vor dem Scheitern von Jamaika.

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