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Sondierungsgespräch zwischen CDU und SPD: Nach Gemeinsamkeiten Ausschau gehalten

Noch hallt das Wort Peer Steinbrücks aus dem Wahlkampf nach: Die SPD wolle nicht Merkels „Steigbügelhalter“ sein – nicht noch einmal. Aber was dann? In Berlin treffen sich die Parteispitzen, um herauszufinden, wie eine große Koalition möglich ist.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Hans Monath

Ralf Stegner ist noch fast im Kampfmodus, aber das kann man in seinem Fall sogar verstehen. Der Genosse Stegner ist nämlich nicht nur SPD-Chef in Schleswig-Holstein und strömungspolitisch ein führender Linker, sondern auch auf dem Sprung zum nächsten SPD-Generalsekretär. Der Job bringt eine Pflicht zur Rauflust mit sich. Stegner hat damit wenig Probleme. Pünktlich zum Beginn der Sondierungsgespräche für die nächste Bundesregierung legt er eine Latte, über die er Angela Merkel und Horst Seehofer hüpfen lassen will: Für eine große Koalition, sagt Stegner in einem Interview, müsse die Union zum „Politikwechsel“ bereit sein.

„Politikwechsel“ – das ist ein großes Wort, das da über jener Runde von 21 Spitzenpolitikern schwebt, die sich am Freitagmittag bei strahlender Herbstsonne in der Parlamentarischen Gesellschaft versammelt. Seit dem Morgen haben sie beisammen gesessen – erst die sieben von der CSU beim Frühstück in der bayerischen Landesvertretung, dann die 14 von CDU und CSU bei Fraktionschef Volker Kauder im Jakob-Kaiser-Haus, fünfter Stock.

Die Tür ist zu. Man schellt

Das SPD-Septett trifft sich zur gleichen Zeit bei Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, gleiches Haus, vierter Stock. Beide Truppen trennt also bloß eine Geschossdecke. Die ist allerdings aus Beton. Der kurze Dienstweg über die Feuertreppe, den Kauder in der ersten großen Koalition zum vertraulichen Gespräch mit dem damaligen Kollegen Peter Struck wählte, ist vorerst stillgelegt.
Ob Kauder ihn wieder eröffnen kann – ungewiss. Um Viertel vor eins macht sich die SPD-Gruppe auf den Weg, schlendert draußen auf dem Platz zwischen Reichstag und Parlamentarischer Gesellschaft an den Kamerabatterien vorbei und rüttelt an der kleineren der beiden Eingangstüren. Die Tür ist zu. Man schellt. Es dauert ein paar Sekunden, bis von innen einer öffnet.

Eine Viertelstunde später tun sich die Doppelflügel der großen Haupttür auf. Die Unionstruppe walzt mitten hindurch, Kauder im Sturmschritt vorweg, die Kanzlerin in Türkis dahinter. Kleine Tür, große Tür, Anklopfen müssen und einfach durchrauschen können – das Leben erfindet oft komische Symbole. Gesagt hat übrigens keiner etwas, sieht man von Sigmar Gabriel ab, der auf die hingeworfene Frage nach seinen Hoffnungen zurückraunzt: „Dass das Wetter gut bleibt!“ Ansonsten schweigt der SPD-Chef, so wie er es im Prinzip seit einer Woche schon tut.

Das Wort "Politikwechsel" kommt nicht vor

Wenn er doch ein paar Sätze öffentlich sagt, kommt ein Wort wie „Politikwechsel“ darin nicht vor. Er weiß, warum. In dem Wort dröhnt der Wahlkampf nach; es hätte gut auf einem der Plakate stehen können, die hier und da noch an Laternen hängen. Aber wenn Angela Merkel ihren Wählern etwas versprochen hat, dann dass es gerade keinen Politikwechsel geben wird. Diese Schlacht ist geschlagen, auch wenn manche noch ganz erhitzt davon sind. Ab hier und heute geht es um etwas anderes: Zwei Wochen nach der Bundestagswahl tasten sich Gewinner wie Verlierer widerwillig vor zum Abkühlbecken.

Dabei darf man getrost unterstellen, dass die erste Riege der Unterhändler keine Tauchbäder nötig hat, um von Wahlkampfhitze auf Normaltemperatur zu kommen. Angela Merkel hat sich schon am Wahlabend zu Jubelbildern für die Anhängerschaft fast zwingen müssen. Die CDU-Chefin hat gleich gewusst: Das ist ein komplizierter Sieg. Sie hat ein grandioses Ergebnis erzielt – und kann damit bei Weitem nicht das anfangen, was fast 42 Prozent suggerieren.

Vor acht Jahren hieß das Schlüsselwort "Augenhöhe"

Gabriel hat an jenem 22. September nicht minder schnell erkannt: Das ist erstens eine Niederlage und zweitens erst recht kompliziert. Denn in der Niederlage steckt trotzdem eine Chance auf Macht. Aber er muss sehr klug und umsichtig sein, wenn er sie nutzen will. Schon gar als Chef einer Partei, die Macht eigentlich für unanständig hält.

Das unterscheidet seine Lage übrigens fundamental von der jener anderen SPD, die hier am gleichen Ort vor acht Jahren mit der Union über eine gemeinsame Regierung verhandelte. Damals hatte Angela Merkel einen scheinbar sicheren Wahlsieg fast verspielt und Gerhard Schröder eine Niederlage fast abgewendet. Die Union lag mathematisch einen Hauch vor der SPD. Psychologisch war Merkel die Verliererin, von Parteifreunden mit Messern in der Tasche umzingelt. Es dauerte annähernd drei Wochen, bis Schröder offiziell den Anspruch auf das Kanzleramt aufgab.

Damals hieß das SPD-Kampf- und Schlüsselwort „Augenhöhe“. Diesmal kann von einem Bündnis auf Augenhöhe keine Rede sein, schon wegen der Mathematik nicht: 41,5 gegen 25,7 Prozent. Wer sich heute in der SPD umhört nach einem Wort, das das sozialdemokratische Wunschergebnis von etwaigen Koalitionsverhandlungen auf den Begriff bringen könnte, bekommt „Selbstbewusstsein“ vorschlagen. Die Partei, die in diesem Jahr 150 Jahre alt geworden ist, will in den Spiegel schauen können.

Peer Steinbrücks Worte hallen nach

Aber noch sind sie längst nicht alle so weit, überhaupt nur vor den Spiegel zu treten. Was haben sie nicht in den Tagen nach der Wahl rumgetönt! Haben Bedingungen gestellt und das SPD-Wahlprogramm für unverhandelbar erklärt. „Politikwechsel“ eben.

Selbst einen so lebensklugen Menschen wie den Finanzexperten Joachim Poß konnte man noch kürzlich in einer dieser Talkshows schwärmen sehen, wie vernünftig und verantwortungsvoll das Steuererhöhungskonzept der SPD sei. Und dann die blanke Verblüffung in seinem Gesicht, als jemand aus der Runde einwirft: Aber Herr Poß, das kann ja sein, dass Sie das toll fanden – die Wähler aber nicht! Noch hallt auch das Wort des Spitzenkandidaten Peer Steinbrück nach, die SPD wolle „nicht noch einmal der Steigbügelhalter für Frau Merkel“ sein. Steinbrück hat inzwischen den Rückzug angekündigt. Anderen passt die Metapher aber weiter ins Konzept, allen voran Hannelore Krafts Nordrhein-Westfalen. Der größte SPD-Landesverband schießt seit Tagen gegen eine große Koalition.

Kraft sondiert jetzt mit. Gabriel, Steinmeier und Steinbrück haben auf einer großen Delegation bestanden, um alle in die Mitverantwortung zu nehmen. Die NRW-Ministerpräsidentin gibt ihre komfortable Rolle als Stimme der enttäuschten Basis aber vorerst nicht auf. Auch deshalb ist Gabriel auf die Forderung eingegangen, dass über eine etwaige Koalitionsvereinbarung die Parteimitglieder das letzte Wort haben.

Die Mitgliederbefragung ist Waffe - und Risiko

Die Mitgliederbefragung ist seine Waffe, um die internen Kritiker mundtot zu machen, und ein Risiko zugleich. Wenn er der Basis einen Kompromiss vorschlägt und die verwirft ihn, muss der Chef gehen. Bei der Union lächeln sie infolgedessen nur, wenn Sozialdemokraten davon reden, sie würden die eigene Basis als Druckmittel nutzen, um den Merkels und Seehofers Kompromisse abzuringen nach dem Motto: Sonst kriegen wir das nicht durch. „Das ist doch deren Problem!“, sagt ein Christdemokrat.

Die Union geht zurückhaltend in das Gespräch

Dass der SPD-Chef sich pädagogisch geschickt verhält, dass er seine Partei langsam von der Wohlfühlhaltung abzubringen versucht, aufrechte Opposition sei besser als kompromissgebeugtes Regieren, dass er dabei etwa so wie ein Vater vorgeht, der dem Kind den Schnuller abgewöhnen will mit dem schmeichelhaften Argument, es sei doch schon so groß – das alles sehen sie in der Union aber mit Verständnis. Die jüngste Stufe der Schnullerentwöhnung liest sich zum Tag der Sondierung in der „Süddeutschen Zeitung“ so: „Das Letzte, was die Menschen wollen“, sagt Gabriel, „ist die Fortsetzung des Wahlkampfs, an dessen Ende Neuwahlen stehen.“ Deren Ergebnis übrigens, wenn man zu Ende denkt, wahrscheinlich eine große Koalition wäre.

Die Union geht trotzdem mit einer gewissen Zurückhaltung in diese Gespräche. Sie haben sich geärgert über die anderen. Über solche wie die SPD-Vizevorsitzende Manuela Schwesig zum Beispiel, die erst längere Forderungskataloge aufstellt und dann beleidigt ist, wenn die Union Steuererhöhungen ausschließt.

Der Gedanke an Schwarz-Grün

Geärgert haben sie sich aber auch über sich selbst. Mit der eigenen Steuerdebatte, sagt einer aus dem CDU-Präsidium, habe sich die Partei nicht nur haarscharf am Umfaller-Vorwurf entlang bewegt, nein: „Wir haben uns auch ohne Not klein gemacht.“ Als ob der Wahlsieger sich eine Regierung zusammenbetteln müsse.

Dieses Gefühl ist übrigens eine wesentliche Triebfeder für die Offenheit, auf die neuerdings in der CDU der Gedanke an Schwarz-Grün stößt. Außerdem – die grünen Erfinder der Steuererhöhungen und des Veggie-Days haben abgedankt. In der Öko-Partei bewegt sich was. Das CDU-Präsidium hat geschlossen dafür plädiert, mit diesen Grünen in der Erneuerung ernsthaft ein Regierungsbündnis auszuloten. Ernsthaft meint: Nicht bloß so spielerisch wie 2008 die Jamaika-Koalition. Mindestens soll man hinterher mit Bedauern auseinandergehen können: Wir haben es versucht, doch die Zeit ist noch nicht reif.

In der Parlamentarischen Vertretung sitzen jetzt aber erst einmal die beiden anderen Truppen im Raum „Niedersachsen“, Merkel am einen Tischende, Gabriel am anderen. Die Atmosphäre werde wichtig sein für das erste Urteil und vielleicht auch für das letzte, sagt einer aus der Union: Geht das mit denen? Oder wird das ein Bündnis mit knirschenden Zähnen, bei dem jeder vom ersten Tag an nur an den Absprung denkt?

Große Koalition, große Pläne

Dazu kommt die Frage, ob beide Seiten ein gemeinsames Projekt finden, das eine große Koalition rechtfertigt: „Wer über 500 von 630 Stimmen im Bundestag verfügt, kann sich nicht bloß auf Kleinkram verständigen“, sagt ein Unionspolitiker: Große Koalition, große Pläne.

Nach drei Stunden steht Andrea Nahles auf der Fraktionsebene des Reichstags. Die SPD-Generalsekretärin hat sich einen Platz abseits des SPD-Fraktionsbereichs gesucht, neutrales Gelände sozusagen. Von einer „ausgesprochen konstruktiven Atmosphäre“ weiß Nahles zu berichten, worin sie, auf Nachfrage, auch den CSU-Chef einschließt: „Herr Seehofer war guter Dinge.“ Man habe Gemeinsames festgestellt, aber auch Strittiges, man habe Themenblöcke ausgesucht für die nächste Runde. Am 14. Oktober soll es weitergehen, vier Tage nach dem ersten schwarz-grünen Treffen. CDU-Mann Gröhe und sein CSU-Kollege Alexander Dobrindt können da nur zustimmen. Man habe, berichtet Dobrindt, nicht als Erstes über Trennendes geredet, sondern nach Gemeinsamkeiten Ausschau gehalten. Schließlich gehe es ja hier um Verantwortung. Ein Geist, den Gröhe ebenfalls vermelden kann. Es habe sich als notwendig erwiesen, erst mal weiter zu sondieren, sagt der CDU-Generalsekretär. Aber er fügt einen kleinen, wichtigen Satz an: „Es macht Sinn.“

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