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Politik: "Sozialdemokraten im Konzentrationslager Buchenwald": Gegen den Faschismus aber nicht gemeinsam

Viel Nachholbedarf gibt es nicht mehr bei der Erforschung von Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus. Zwar gab es in Ost und West politische Tabus: In der Bundesrepublik sprach man nicht gern vom kommunistischen Widerstand, in der DDR nicht gern von verfolgten Sozialdemokraten.

Viel Nachholbedarf gibt es nicht mehr bei der Erforschung von Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus. Zwar gab es in Ost und West politische Tabus: In der Bundesrepublik sprach man nicht gern vom kommunistischen Widerstand, in der DDR nicht gern von verfolgten Sozialdemokraten. In Gedenkstätten galt die alte Glaubensregel: Cuius regio eius religio. Hier 20. Juli, dort Rote Kapelle. Im ehemaligen KZ Buchenwald durfte zu DDR-Zeiten weder von dessen Nachkriegsgeschichte als sowjetisches Speziallager noch von dem Sozialdemokraten Hermann Brill als Urheber des Buchenwalder Manifests demokratischer Sozialisten 1945 gesprochen werden. Selbst der Sozialdemokraten Rudolf Breitscheid und Ernst Heilmann wurde dort nur als Befürworter einer Einheitsfront gedacht.

Sie konnten, anders als Hermann Brill, nicht mehr widersprechen, denn sie haben Buchenwald nicht überlebt. Ernst Heilmann wurde von der SS ermordet, Rudolf Breitscheid starb bei einem alliierten Bombenangriff auf Buchenwald im Splittergraben. Hermann Brill, der wie sie für die Einheit von Sozialdemokraten und Kommunisten im Widerstand eintrat, musste dagegen nach seiner Befreiung und Berufung zum Regierungspräsidenten von Thüringen 1945 seine Amtsenthebung durch die Sowjets und die Zwangsvereinigung mit der SED erleben. Selbst die Bezeichnung "Bund demokratischer Sozialisten" wurde den Thüringer Sozialdemokraten verboten. Von alledem durfte, seit Brill (bis 1959) im Westen lebte, in Buchenwald bis 1989 nicht die Rede sein.

Doch das ist seit 1990 vorbei. Wolfgang Röll, der jetzt ein Buch über Sozialdemokraten im KZ Buchenwald vorlegt, ist heute selbst Mitarbeiter in der Gedenkstätte Buchenwald. Sein "Beitrag zur Überwindung eines lange Zeit bestehenden einseitigen Geschichtsbildes über das KZ Buchenwald" schließt eine Lücke zu diesem Thema. Zwar hat schon Eugen Kogon als Parteiloser nach 1945 auf die dunklen Seiten dieses Kapitels - die Ausschaltung anderer Häftlingsgruppen durch die "Lagerfeme" des kommunistischen Lagerkomitees - hingewiesen, aber das blieb lange Zeit allenfalls ein Streitgegenstand im Kalten Krieg.

Vor dem Terror der Kapos bewahrt

Den will auch Wolfgang Röll nicht wiederbeleben, wenn er nach heutigem Wissensstand bestätigt, dass die Kommunisten ihre Schlüsselfunktion in der von der SS geduldeten Selbstverwaltung ausnutzten. Wie Kogon bestätigt aber auch er, dass sie dabei die politischen Häftlinge insgesamt vor dem Terror krimineller Kapos bewahrten. Der sozialdemokratische "Arztschreiber in Buchenwald", Walter Poller, hat überdies berichtet, wie sich das Verhältnis von Sozialdemokraten und Kommunisten im Lauf der Zeit - vom Hitler-Stalin-Pakt über den Kriegseintritt der Sowjetunion bis zur Wende von Stalingrad - veränderte. Röll kann das bestätigen und an den Schicksalen der rund 600 sozialdemokratischen Häftlinge in Buchenwald nachverfolgen.

Sie hofften auf die Einheit der Arbeiterbewegung gegen den Faschismus. Aber nicht alle Überlebenden fanden sie nach 1945 in der SED verwirklicht. Ihr Credo hat Brill im Manifest von Buchenwald mit so klaren Worten dargelegt, dass ein Mithäftling sich in seinem "Buchenwalder Tagebuch" an die Überraschung der Kommunisten von Buchenwald erinnert: "Erstens über die Zielklarheit des Inhalts dieses Manifestes und zweitens darüber, dass wir so schnell genau wussten, was wir wollen. Bei ihnen besteht nämlich eine große Unsicherheit über allerlei Fragen, weil sie nicht erfahren können, was Moskau will, und nicht den Mut haben, sich auf eigene Füße zu stellen." Aber da war die Gruppe Ulbricht schon aus Moskau unterwegs.

Hannes Schwenger

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