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Jetzt kommt zusammen, was wirklich eine große Koalition begründen könnte: Menschen, denen es heute unterdurchschnittlich gut geht, muss es in vier Jahren besser gehen.

© imago/Revierfoto

Soziale Gerechtigkeit: Ein Bild von einem Land

Die SPD hat das Land schlechtgeredet - die CDU hat es schöngeredet. Zusammen könnten sie dafür sorgen, dass es denen besser geht, denen es wirklich schlecht geht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Lutz Haverkamp

Deutschland lässt sich auf zwei Arten beschreiben. Die eine geht so: Die Wirtschaft brummt, nie zuvor waren so viele Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, die Massenarbeitslosigkeit ist besiegt, die Sozialkassen verzeichnen Überschüsse, die permanent steigenden Steuereinnahmen geben der Politik Handlungsspielräume, die in den Jahren zuvor unvorstellbar waren. Exportweltmeister. Die Lebenserwartung der Menschen steigt. Frieden mit den Nachbarn. Ein schönes Land.

Die andere Beschreibung ist weniger rosig: Mehr als 1,6 Millionen Kinder leben in Familien, deren einziges Einkommen Hartz IV ist. 350.000 Rentner gehen regelmäßig zur Suppenküche, Altersarmut droht in Zukunft vielen, denen das Thema heute noch ziemlich egal ist. Prekäre Beschäftigung war nie so verbreitet, viele können trotz Vollzeitjob ihre Familie mit dem Einkommen nicht unterhalten, von Urlaubsreisen und Kulturgenuss ganz zu schweigen. Die aktuelle Pflegekrise wird ihre fürchterliche Dimension erst noch entfalten. Eine Zwei-Klassen-Medizin teilt die Gesellschaft in Reiche und Arme, Gesunde und Kranke. Mieten sind für viele fast unbezahlbar. Stadtverwaltungen funktionieren nicht. Hass im virtuellen Netz und in der realen Welt. Zu wenig Digitalisierung und Bildung. Kaputte Schulen.

Die eine Beschreibung ist ohne die jeweils andere nichts wert. Weil dann nur ein Teil, ein Ausschnitt dieses Landes, dieser Gesellschaft beschrieben wäre. Sie gehören zusammen, weil sie nur zusammen die ganze Breite der Realität beschreiben. Sie gehören aber auch zusammen, weil nur dann sehr schnell klar wird, wo der Handlungsdruck der Politik am größten ist.

Konkurrenzfähigkeit, Steuereinnahmen? Läuft schon.

Auf der Prioritätenliste der Politik muss nichts ganz oben stehen, was nur der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft dient. Das läuft schon. Die Einnahmesituation des Staates muss nicht verbessert werden. Alles okay.

SPD-Chef Martin Schulz hat im Wahlkampf viel von Gerechtigkeit gesprochen. Auch wenn er das Thema nicht bis zum Ende durchdekliniert hat und am Wahlsonntag kläglich gescheitert ist – der Versuch, die Probleme des Landes und der Menschen in den Mittelpunkt der Debatte zu rücken, war richtig. Jetzt springt ihm der geschäftsführende Kanzleramts- und Finanzminister Peter Altmaier von der CDU zur Seite.

Was nach einem billigen Versuch aussieht, die Groko-skeptischen Sozialdemokraten wieder in eine Koalition zu zwingen, ist viel mehr. Es ist das Eingeständnis, dass der „Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben“-Wahlkampf der Union auch grandios gescheitert ist.

So wie Schulz im Wahlkampf vorgeworfen werden konnte, das Land schlechter zu reden als es ist, muss man der CDU den Vorwurf machen, es genau andersherum übertrieben zu haben. Sie hat soziale Schieflagen weitgehend ausgeblendet.

Besser muss es gehen, wem es unterdurchschnittlich gut geht

Jetzt kommt zusammen, was wirklich eine erneute große Koalition begründen und erfolgreich machen könnte. Das Ziel: Den Menschen, denen es heute unterdurchschnittlich gut geht, muss es am Ende dieser Legislaturperiode besser gehen.

Politik muss sich zuerst um die kümmern, die den Glauben an politische Gestaltungskraft und an ein eigenes halbwegs sorgenfreies Leben verloren haben. Das wäre eine Politik, die beide Beschreibungen des Landes akzeptiert – und zu einem neuen Bild zusammenfügt.

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