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Nach Ärger in sozialen Netzwerken wird Grünen-Chef Robert Habeck sein Mobiltelefon künftig vor allem zum Telefonieren nutzen.

© Kay Nietfeld/dpa

Soziale Medien: Eine Abkehr von der transparenten Gesellschaft

Ein Unbekannter stiehlt Robert Habecks Daten, der Grünen-Chef äußert sich ungeschickt im Netz. Twitter und Facebook will er nicht mehr nutzen.

Hoch im Norden, also dort, wo der Bundesvorsitzende der Grünen, Robert Habeck, seine Heimat hat, gibt es ein Sprichwort: Kann der Bauer nicht schwimmen, ist die Badehose schuld. Doch auch südlich von Niebüll und Quickborn ist Habecks jüngste Volte nicht nur auf Verständnis gestoßen. Unter der Überschrift „Bye, bye, Twitter und Facebook – Ein Blog zum Abschied“ begründete der Schriftsteller und promovierte Philosoph am Montag auf seiner Homepage, warum er seine Accounts bei den sozialen Medien löscht. Der Entschluss sei nach einer schlaflosen Nacht gefallen.

„Twitter ist, wie kein anderes digitales Medium, so aggressiv, und in keinem anderen Medium gibt es so viel Hass, Böswilligkeit und Hetze“, schrieb Habeck. „Offenbar triggert Twitter in mir etwas an: aggressiver, lauter, polemischer und zugespitzter zu sein – und das alles in einer Schnelligkeit, die es schwer macht, dem Nachdenken Raum zu lassen. Offenbar bin ich nicht immun dagegen.“

Habeck ist beliebt. Er denkt, bevor er redet, das ist sympathisch bei Politikern. Außerdem wirkt er, zumal in TV-Talkshows, ausgleichend, in sich ruhend, fast so, als habe er gerade mit Buddha zu Abend gegessen. Diesmal aber waren über ihn in rascher Folge zwei nervenstrapazierende Ereignisse hereingebrochen. Er war, erstens, eines der prominentesten Opfer des Hackerskandals, bei dem ein Unbekannter persönliche Daten von Politikern und Prominenten wochenlang über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitet hatte. Im Falle von Habeck betraf das unter anderem Chatverläufe mit seiner Frau und seinen Kindern sowie die Namen der Kinder.

„Twitter desorientiert mich“

Zweitens hatte der Grünen-Chef mit einem Videoaufruf zur Landtagswahl in Thüringen eine Empörungswelle verursacht. In dem inzwischen gelöschten Clip sagt Habeck: „Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird, ein ökologisches Land.“ Das Wort „wird“ wurde ihm sehr übel genommen, es sei falsch gewählt gewesen, meint Habeck rückblickend. Ähnlich ungeschickt hatte er sich allerdings vor der Landtagswahl in Bayern ausgedrückt, als er eine Videobotschaft mit dem Satz absetzte: „Endlich gibt es wieder Demokratie in Bayern. Eine Alleinherrschaft wird beendet.“ Nachdem er auch dafür viel verbale Prügel bezog, entschuldigte er sich.

„Wie dumm muss man sein, einen Fehler zweimal zu begehen? Diese Frage hat mich die ganze letzte Nacht nicht losgelassen“, schreibt Habeck nun erneut reuevoll. Offenbar tue Twitter ihm nicht gut. „Twitter desorientiert mich, macht mich unkonzentriert“, heißt es zerknirscht. Außerdem ertappte er sich dabei, „wie ich nach Talkshows oder Parteitagen gierig nachgeschaut habe, wie die Twitter-Welt mich denn gefunden habe“. Eitelkeiten können verletzt oder befriedigt werden, eines bleiben sie immer – Eitelkeiten.

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Die Reaktionen auf Habecks Abschiedserklärung fielen heftig und gegensätzlich aus. Gegner der Grünen, von liberal bis rechts, spotteten. „Wer will das Land regieren, wenn er schon von Twitter überfordert ist?“, fragte der Chefredakteur der „Welt“, Ulf Poschardt. Berlins Staatssekretärin Sawsan Chebli dagegen meinte: „Glaube keinem, der prominent auf Twitter unterwegs ist und behauptet, Twitter färbt nicht ab.“

Netz-Philosoph Michael Seemann schrieb: „Ich kenne den Mechanismus, den Robert Habeck beschreibt. Ich bilde mir ein, dass ich – nach sehr, sehr langem Training – das Polemik-Level, zu dem Twitter auch mich inspiriert, auf ein erträgliches Maß runtergeschraubt habe. Ich denke, das ist lernbar.“ Muss man den Umgang mit Twitter und Facebook lernen? Vermutlich ja. Twitter ist ein schnelles, hartes, polarisierendes, hypererregtes, aber auch schnell abgeregtes Medium. Die Empörungsgewitter entladen sich kurz und heftig. Das aktuellste Gerücht wird rasch zum jüngsten Gericht. Eine oft anonyme, amorphe Masse suggeriert Meinungsführerschaft.

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Ende der analogen Welt

Wer die Kommunikation via Twitter beherrscht, kann Debatten initiieren und seine Botschaften an traditionellen Medien vorbeilancieren. Ein Meister dieser Kunst ist Donald Trump. Dessen ideologisches System ist auf raffinierte Weise geschlossen. Die Logik geht so: Kritik der herrschenden, korrupten Klasse an ihm beweist, wie recht er hat mit seinem Feldzug gegen sie. Sie hat Angst vor ihm, weil er ihr mächtigster Gegner ist.

Facebook wiederum ist ein sowohl öffentliches als auch privates Medium. Wie jede Plattform, auf der digital kommuniziert wird, kann sie gehackt werden. Wer glaubt, ein kompliziertes Passwort biete ausreichend Sicherheit davor, verkennt die Grundregel: Verschlüsselungen werden entschlüsselt, Codes geknackt, es ist alles eine Frage der Zeit und Kompetenz. Begriffe wie Diskretion, Privatsphäre und Persönlichkeitsrecht verlieren an Substanz, weil die Verfasstheit des digitalen Kommunikationsraumes Vertraulichkeit nicht garantieren kann. Digitale Kommunikation gleicht eher einem Marktplatzgespräch als einem Brief.

Eine zweite Grundregel des digitalen Zeitalters lautet: Über immer mehr Menschen wird immer mehr bekannt. Das betrifft Fotos via Instagram, Whatsapp- und Facebook-Einträge, das Kaufverhalten bei Amazon, den Gesundheitschip, das Internet der Dinge. Wir sind auf dem Weg in eine gläserne Gesellschaft. „Vielleicht bewirkt unsere neue Öffentlichkeit, dass wir mitfühlender und versöhnlicher miteinander umgehen und mit den Irrtümern und Schwächen öffentlicher Personen ebenfalls“, hofft der Harvard-Philosoph David Weinberger. Möglich ist freilich auch das Gegenteil – mehr Hass, Verachtung und Zynismus.

Robert Habeck will den Weg in die transparente Gesellschaft nicht mitgehen. Das ist sein gutes Recht. Doch die alte, analoge Welt ist untergegangen. Ihr nachzutrauern, statt die neue Welt – trotz all ihrer Unzulänglichkeiten – mitgestalten zu wollen, erinnert an das Bild vom Ohnemichel. Twitter ist nicht schuld an Habecks schlafloser Nacht.

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