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Wer lässt wen im Regen stehen?

© picture alliance / dpa

Spaltung der Gesellschaft: Die Fremdenfeinde sind selbst die Entfremdeten

Die sich von der Demokratie verabschiedet haben, sind in einer eigenen Welt voller Ressentiments. Sie leben in einer abgeschotteten Parallelgesellschaft. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Caroline Fetscher

An der Kasse eines Supermarkts in Berlin-Spandau hat sich eine lange Schlange gebildet. Es ist heiß, die Leute schwitzen, leise dudelt Musik. Ruckweise wandern Bierdosen und Eispackungen auf dem Warenband voran. Es dauert. Im Korb einer Frau mittleren Alters liegt neben den Einkäufen „Der Spiegel“. Freundlich tippt sie jemand hinter ihr an, ein junger Mann, Ende zwanzig, sportlich gekleidet, kurzes Haar. „Die Zeitschrift legen Sie besser zurück ins Regal“, rät er beiläufig. „Was da drinsteht, kriegen Sie online gratis.“ „Ja? Alles?“ Geduldig führt er aus: „Füttern Sie lieber nicht die Journalisten, die erfinden sowieso das meiste oder schreiben von anderen ab.“ „Ach“, staunt die Frau und wird hellhörig, „wo erfährt man das denn?“

Vage verweist der junge Mann auf das Internet, er will aber illustrieren, was er meint: „Zum Beispiel, ein Reporter hat Fotos von Rechten gemacht, auf dem G-20-Gipfel. Mit denen hat zufällig gerade einer geredet, der nicht dazugehört, aber unter dem Bild stand, das wären alles Neonazis.“

„So was passiert sicher mal“, sagt die Frau, „deswegen ist ja nicht alles falsch, was Medien berichten. Wenn keiner bezahlt, können sie irgendwann nicht weiterarbeiten.“ In den höflichen Ton des jungen Mannes mischt sich für einen Augenblick Ingrimm: „Dann würden die mal sehen, wie es unsereinem geht!“ Wie es ihm geht? „Na, der nette Netto-Rest, den einem der Staat übrig lässt“, sagt er, beträgt für ihn als gelerntem Einzelhandelskaufmann um die 1200 Euro, in seiner Familie gibt es Arbeitslose: „So sieht das aus.“

Viele erzählen zurzeit von ähnlichen Gesprächen, Symptomen für die Brüche der Gegenwart. Der junge Mann klang besonnen, während hinter seiner spöttischen Illusionslosigkeit deutlich wurde, dass es in ihm brodelt, was er sagte, war explosiv gefüllt mit Subtexten. Das Auffälligste an solchen Einlassungen im Alltag sind ihre Auslassungen, es fehlt der ungenierte Klartext der anonymen Online-Foren. Aber zu ahnen ist er: Die Lügenpresse betrügt uns, der Staat kassiert zu viel Steuern, die Rente wird nicht reichen, den Asylanten geht es zu gut, die Regierung ist schuld am Terror, kurz, „wir“ sind „denen“ egal.

Das TV-Duell war eine populistische Untat

Indirekt hatte der junge Mann im Supermarkt seine Anschauung der Welt offenbart, reale Nöte neben Ressentiments, Verbitterung, Zynismus. Ohne Eifer, aber mit wattiertem Hohn gab er sich als tapferes Opfer. Die Warteschlange nutzte er als Gelegenheit, im Alltag, nebenher, seine Propaganda auszuprobieren.

Deren geübte Doppelbödigkeit hat etwas Unheimliches, denn die so reden, haben sich vom demokratischen Konsens verabschiedet. Sie glauben dem kein Wort mehr. Die Fremdenfeinde sind selber die Entfremdeten, sie sind ausgestiegen – eine Haltung, wie sie das sardonische Lächeln mancher AfD-Protagonisten verrät. Geben deren Anhänger bei Umfragen preis, was sie wählen? Für die Statistik der anderen, des Systems? Wohl kaum. Das haben sie in ihren Augen nicht nötig.

Unter dem Subtext scheint nämlich ein weiterer, noch tiefer liegender Subtext auf, ein vorweggenommener, heimlicher Triumph des Ihr-werdet-schon-sehen. Längst weiß man sich in der Parallelgesellschaft des Ressentiments nicht mehr allein, man sammelt hinter den Kulissen die verbalen Waffen und bestärkt einander, immer abgeschotteter. Darum muss es der demokratischen Mehrheit um das Einhegen auch solcher, nicht nur islamistischer Parallelgesellschaften gehen, die sämtlich nicht zuletzt wachsen, solange Chancen, Löhne und Renten von Millionen zum Verzweifeln gering sind.

Darum auch war das Fernsehduell der Kanzlerkandidaten eine populistische Untat. Nicht wegen Angela Merkel oder Martin Schulz, sondern wegen der Moderatoren, über deren Impetus ein Redakteur im Deutschlandfunk treffend anmerkte, ob es sich da um das Setting „AfD fragt, Politiker antworten“ gehandelt habe. Fast fünfzig der neunzig Minuten verwandten die fatalen Frager auf Migration, Islam, Terror und Abschiebung.

Nur am Rand oder überhaupt nicht kam die Sprache auf Arbeitsmarkt, Renten, Bildung, Klimapolitik, Gesundheitssystem oder Rechtsextremismus. Inzwischen wurde der Abend vielfach als unausgewogen kritisiert, das Zeitmanagement sei nicht gut gewesen.

Hoffentlich war es nicht mehr als das. Hoffentlich war da nicht ein Symptom dafür zu sehen, dass – und sei es aus Quotenkalkül – auch im öffentlich rechtlichen Raum schon Fische ins Netz des Ressentiments getrieben werden.

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