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Spanien: Später Sieg für Franco

Spaniens Starrichter Garzon wird abgesetzt – weil er Menschenrechtsverbrechen untersuchte. Garzon war durch seine Ermittlungen gegen Diktatoren in aller Welt und auch gegen Spaniens früheren rechtsgerichteten Gewaltherrscher Francisco Franco zum Weltgewissen der Nation geworden.

Der effektivste Ermittler des Landes, der Terroristen, Mafiabosse und Staatsverbrecher zittern ließ, muss seinen Stuhl räumen. Das hat der Oberste Richterrat Spaniens beschlossen und Baltasar Garzon (54) suspendiert, der seit 22 Jahren am Nationalen Gerichtshof als Untersuchungsrichter arbeitet.

Die Proteste von Angehörigen von Opfern der Franco-Diktatur konnten daran ebenso wenig ändern wie die Solidaritätsbekundungen von Menschrechtsgruppen, Friedensnobelpreisträgern und Völkerrechtlern aus vielen Ländern. In der Hauptstadt Madrid gehen sie auf die Barrikaden gegen das drohende Berufsverbot für Spaniens berühmtesten Verbrechensjäger: „Die Verbrechen der Franco-Diktatur zu untersuchen – das ist kein Delikt“, rufen die Menschen. Garzon war durch seine Ermittlungen gegen Diktatoren in aller Welt und auch gegen Spaniens früheren rechtsgerichteten Gewaltherrscher Francisco Franco (1939–1975) zum Weltgewissen der Nation geworden.

Seine vorläufige Absetzung fügt dem Starjuristen jetzt die größte Niederlage seiner Karriere zu. Und das ist nur der erste Schlag gegen den unbequemen Untersuchungsrichter, der sich durch sein unbeirrtes Vorgehen gegen korrupte Politiker aller Parteien viele einflussreiche Feinde in Spanien gemacht hat. Der zweite Angriff ist schon eingeleitet und besteht in einem bald beginnenden Prozess wegen „Amtsanmaßung“ – ein Gerichtsverfahren, das durch eine Klage ultrarechter Gruppen aus dem Dunstkreis der immer noch zahlreichen Franco-Sympathisanten provoziert wurde.

Garzon habe sein „Amt missbraucht“, behaupten sie, weil er es – übrigens als einziger Richter Spaniens – gewagt hatte, die schweren Menschenrechtsverbrechen der Franco-Diktatur zu untersuchen. Zu diesen bis heute ungesühnten Völkerrechtsverbrechen gehört die systematische Ermordung von mehr als 100.000 linken Oppositionellen in den ersten Jahren des Franco-Regimes. Deren sterbliche Überreste wurden in Massengräbern verscharrt und sind bis heute nicht aufgetaucht. Erstaunlicherweise fand die zunächst absurd anmutende Klage der Franco-Anhänger gegen den Franco-Ermittler einflussreiche Unterstützer: im Obersten Gerichtshof, der nun Garzon tatsächlich auf die Anklagebank setzt. In Spaniens großer konservativer Oppositionspartei, die viele Franco-Veteranen beherbergt und auch wegen Korruptionsvorwürfen gegen hohe Parteibonzen noch Rechnungen mit Garzon offen hat. Und schließlich auch in der sozialistischen Regierung – der nicht gefiel, dass Garzon an dem gesellschaftlichen Tabu rüttelte und die Leichen Francos unter dem Teppich der Geschichte hervorholen wollte. Ein fragwürdiges Amnestiegesetz aus dem Jahr 1977 sichert den Franco-Schergen Straffreiheit zu – obwohl dies dem Völkerrecht widerspricht, wie der Europäische Menschengerichtshof inzwischen festgestellt hat.

Mit der Suspendierung Garzons dürfte auch sein Plan erschwert werden, zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu wechseln und so seine Ermittlerkarriere doch noch würdig fortzusetzen. Der Chefankläger des Tribunals, Luis Moreno Ocampo, hatte dem Menschrechtsexperten Garzon angeboten, für ihn als Berater zu arbeiten. Der noch relativ junge Strafgerichtshof soll Völkerrechtsverbrechen in aller Welt untersuchen.

Garzon, der schon in den 90er Jahren gegen Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet und die frühere argentinische Militärjunta ermittelte und so als „Tyrannenjäger“ bekannt wurde, gilt weltweit als Vorreiter der „universellen Justiz“, also der weltweiten Ahndung von Menschenrechtsverbrechen. Sollte er vom Obersten Gerichtshof seines Heimatlandes Spanien aber tatsächlich verurteilt werden, dürfte dies das Ende seiner juristischen Laufbahn bedeuten – und einen späten Sieg Francos, dessen Erben mit der Erledigung Garzons ihren gefährlichsten Gegner in der Demokratie beseitigt hätten.

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